Die durch die Geldpolitik veränderten Rahmenbedingungen an den Kapitalmärkten sind auch an der Immobilienwirtschaft nicht spurlos vorbeigegangen. Nach Rekordjahren ist das Volumen der Emissionen und Anleihen im indirekten Markt deutlich geschrumpft und auch die Anzahl der Transaktionen am direkten Markt ist erheblich zurückgegangen. Neben der Unsicherheit bezüglich künftiger Preisniveaus angesichts steigender Finanzierungskosten und Diskontierungssätze ist auch das Erstarken alternativer Anlageklassen massgeblich für die Abschwächung ver- antwortlich. So hat der Anstieg der Rendite der 10-jährigen Staatsanleihe die Risikoprämie von Immobilien zum Ende des vergangenen Jahres deutlich schrumpfen lassen. Inzwischen haben sich die Spitzenrenditen am Immobilienmarkt etwas an die neuen Bedingungen angepasst und sind im Vergleich zu ihrem Tiefpunkt Anfang 2022 im Durchschnitt um 33 Basispunkte gestiegen. Der stärkste Anstieg wurde bei den Nettoanfangsrenditen im Wohnbereich (+50 Basispunkte) verzeichnet. Angesichts der starken Kompression in dem Segment in den vergangenen fünf Jahren ist dies wenig überraschend. Analog dazu sind die Anfangsrenditen im Verkaufsflächensegment, das eine deutlich moderatere Dynamik in den vergangenen Jahren verbuchte, um lediglich 22 Basispunkte gestiegen. Nach- dem auch die Rendite der 10-jährigen Staatsanleihe im Vergleich zum Höhepunkt Ende 2022 inzwischen wieder leicht gesunken ist, ist auch die Risikoprämie von Immobilien wieder leicht gestiegen (siehe Abbildung unten «Rendite 10-jährige Bundesobligation, Nettoanfangsrendite Prime-Immobilien und resultierende Risikoprämie»).

Erhebliches Mietsteigerungspotential im Mietwohnungsmarkt

Die Fundamentaldaten am Schweizer Wohnungsmarkt ändern sich derweil kaum. Die rekordhohe Zuwanderung im Jahr 2022 dürfte in diesem Jahr noch übertroffen werden. Somit steigt die Nachfrage nach Mietwohnungen weiter stark an, während die Ausweitung des Angebots anhaltend rückläufig ist. Die Jahressumme der Bau- bewilligungen ist im 3. Quartal 2023 mit knapp 33 500 Wohneinheiten 6% unter dem Vorjahreswert und rund 31% unter dem langjährigen Mittel. Der resultierende weitere Rückgang der Leerstandsquote treibt die Mieten nach oben: Gemäss Wüest Partner sind die Angebotsmieten im 3. Quartal 2023 schweizweit um 3,9% gestiegen. Dazu wurde der hypothekarische Referenzzinssatz im Juni erstmalig seit seiner Einführung 2008 angehoben. Die Erhöhung um 25 Basispunkte von 1,25% auf 1,5% erlaubt Vermietern, neben dem regulären Inflationsausgleich und der Umlegung der allgemeinen Kostensteigerung, eine Mieterhöhung von 3% umzusetzen. Die anhaltend höheren Finanzierungskosten dürften zudem im Dezember zu einer weiteren Referenzzinssatzerhöhung führen, womit erhebliches Mietsteigerungspotenzial nicht nur bei Angebots- sondern auch bei Bestandsmieten besteht.

Divergenz bei kommerziellen Immobilien

Auf dem Büromarkt hat sich die Flächennachfrage, trotz Etablierung hybrider Arbeitsmodelle, 2022 wieder belebt und die schweizweite Angebotsquote gemäss JLL von 4,7% auf 4,5% sinken lassen. Inzwischen zeigt sich, dass die Nachfrage nach Büroflächen an Bestlagen unverändert stark auf ein knappes Angebot trifft, wodurch die Angebotsquoten in den Zentren deutlich tiefer liegen als im Umland. Insbesondere ist die Nachfrage nach modernen, flexibel nutzbaren, gut erreichbaren Flächen, die den gestiegenen Nachhaltigkeitsansprüchen entsprechen, hoch. Während die Spitzenmieten so deutlich zulegen, sind die Angebotsmieten für Büroliegenschaften im Durchschnitt rückläufig.

Auch bei Verkaufsflächen besteht aufgrund der steigenden Omni-Channel-Präsenzen vieler Anbieter Nachfrage nach zeitgemässen Flächen an gut frequentierten, touristischen Lagen. Die Mietpreise von Verkaufsflächen zeigen derweil kein klares Bild. Nach deutlichen Rückgängen mit zunehmender Dauer der Pandemie erholten sich die Mietpreise im 1. Halbjahr 2023, bevor im 3. Quartal wieder ein Rückgang von 3,6% im Vorjahresvergleich verzeichnet wurde. Ähnlich wie bei den Wohnungsmieten besteht dazu auch im kommerziellen Segment durch Indexierung die Möglichkeit die Bestandsmieten anzuheben und damit ein gewisser Inflationsschutz.

Einkommensrendite rückt in den Vordergrund

In den vergangenen Jahren haben Immobilien weltweit von niedrigen Zinsen und sinkenden Diskontierungsraten profitiert. Mit dem Anstieg der Renditen auf Staatsan- leihen ist in näherer Zukunft nicht mehr mit einem Wertzuwachs durch sinkende Diskontierungsraten zu rechnen. Damit gewinnt die Einkommensseite wieder deutlich an Bedeutung, auch da sich die Frage stellt, ob auf der Cashflow-Seite der mögliche Verlust aus einem Anstieg der Dis- kontierungsrate zumindest teilweise kompensiert werden kann. Die Tatsache, dass die Einkommensseite von starker Knappheit und folglich steigenden Mieten und sinkenden Leerständen im Wohnsegment und von Indexierung im kommerziellen Segment profitiert, lässt den Schweizer Immobilienmarkt dem Gegenwind standhalten.

Dr. Kerstin Hansen Research & Strategy Real Estate DACH bei UBS