Der Druck von Anlegenden, Aufsicht, Branchenvertretenden und weiteren Anspruchsgruppen auf die nichtfinanzielle Berichterstattung steigt unerbittlich. Doch die Unsicherheit ist gross und die Handhabung der Offenlegung uneinheitlich, sagt Daniela Jorio, Team Lead ESG Real Estate DACH bei der UBS.

Die Schweiz hat sich durch die Ratifikation des Pariser Übereinkommens zum Ziel bekannt, die Finanzflüsse in Einklang mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen Entwicklung zu bringen und will gemäss Bundesrat ein führender Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen werden. Wie weit sind wir von diesem Ziel noch entfernt?

Daniela Jorio: Die Schweiz beherbergt eine Vielzahl von zentralen Akteuren und Organisationen im Klima-, Finanz- und Nachhaltigkeitsbereich und hat sich frühzeitig als internationales Kompetenzzentrum positioniert. Auch die grossen Branchenverbände, darunter die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg), Asset Management Association Switzerland (AMAS), KGAST und ASIP tragen mit ihren Initiativen wie Selbstregulierungen, Empfehlungen und Standards zur nachhaltigen Transformation des Schweizer Finanzplatzes bei.

Also auf gutem Weg?

Gemäss Swiss Sustainable Investment Market Study von Swiss Sustainable Finance (SSF) ist zum Beispiel der Schweizer Markt für nachhaltige Anlagen in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen (2022 um 30 Prozent auf CHF 1,982.7 Mrd.). Es gibt noch viele Handlungsfelder, aber die Branche ist auf einem guten Weg.

PWC hat in einer Studie festgestellt, dass die Emissionsintensität bei den Immobilienfonds in Kilogramm CO2 pro Quadratmeter eine grosse Spannweite von 1,8 bis 28,6 ausweist, obwohl sich die Akteure im gleichen Markt bewegen. Weshalb haben wir so eine hohe Spannbreite und wie aussagekräftig sind diese Kennzahlen?

Die CO2-Emissionen pro Quadratmeter Energiebezugsfläche sind stark abhängig vom Zustand des Gebäudes und von der Nutzung. Kommerzielle Liegenschaften benötigen tendenziell weniger Wärme und Warmwasser als Wohnliegenschaften. Zudem ist der Anteil an Ölheizungen in Wohngebäuden höher als bei kommerziellen Gebäuden.

Wie nahe sind wir an einer Vergleichbarkeit?

Die Kennzahlen zeigen momentan eher eine Grössenordnung, da die Vergleichbarkeit noch nicht gegeben ist. Für die Berechnung der Kennzahlen gibt es verschiedene Optionen und Annahmen, die getroffen werden müssen. Beispielsweise können unterschiedliche CO2-Emissionsfaktoren angewendet werden um von der verbrauchten Energie in Kilowattstunden (kWh) die CO2-Emissionen in Kilogramm zu berechnen. Hier hat die REIDA-Methodik für Energie- und CO2-Kennwerte einen wesentlichen Beitrag für die Branche geleistet und einen Standard für die Berechnung definiert. Wir unterstützen ihn und es freut uns zu sehen, dass er sich am Markt zunehmend durchsetzt.

Die SDFR in der EU hat bezüglich der Transparenzpflicht einen Grundstein gelegt. In der Schweiz gehen die Vorgaben in dieselbe Richtung. AMAS, KGAST, ASIP: Verschiedene Organisationen verlangen oder empfehlen umweltrelevante Kennzahlen zu publizieren. Was sind die Unterschiede und welche Kennzahlen sind etwa auszuweisen?

Die Asset Management Association Switzerland (AMAS) verlangt von ihren Mitgliedern im Zirkular 04/2022 das Ausweisen bestimmter Kennzahlen. Dazu gehören der Energieträgermix, der Energieverbrauch und die Energieintensität, die Treibhausgasemissionen und deren Intensität sowie der Abdeckungsgrad der ausgewiesenen Kennzahlen. Die Treibhausgasemissionen beschränken sich auf Scope 1, also Emissionen, die direkt in der Liegenschaft verursacht werden, zum Beispiel durch Öl- und Gasheizungen und Scope 2, also vorgelagerte Emissionen, die der Liegenschaft zuzurechnen sind, zum Beispiel durch Fernwärme. Scope 3 Emissionen, das sind vor- und nachgelagerte Emissionen wie zum Beispiel Mieterstrom, können freiwillig ausgewiesen werden.

Was wird konkret verlangt?

KGAST empfiehlt seinen Mitgliedern, sich an AMAS zu orientieren und dieselben Kennzahlen zu rapportieren. Auch ASIP empfiehlt im Schreiben «ESG-Reporting: Standard für Pensionskassen» vom 13. Dezember 2022, die Nachhaltigkeitsansätze und -ziele zu rapportieren und orientiert sich an den AMAS-Kennzahlen. Sie geht allerdings noch etwas weiter und rät, in einer fortgeschrittenen Version auch die Scope 3 Emissionen und den Wasserverbrauch auszuweisen. Insgesamt sind sich die grossen Branchenverbände also weitgehend einig.

Für den Immobilienmarkt gibt es vielfältige ESG-Standards und -Prinzipien, Ziele, Zertifizierungen und Benchmarks. Das macht die Materie so komplex. Doch was wird genau verlangt?

Die Investoren wünschen sich hinsichtlich ESG-Kriterien Vergleichbarkeit und Transparenz. Je mehr sich einheitliche Standards am Markt etablieren, desto besser können Anleger die Portfolien in Bezug auf ihr Nachhaltigkeitsprofil miteinander vergleichen. Neben den Finanzkennzahlen weisen wir – wie auch viele andere Marktteilnehmer – in unseren Jahresberichten deshalb die Ziele, Umsetzungsstrategien und umweltrelevanten Kennzahlen aus. Datenerfassung, -analyse und -reporting schaffen nicht nur Transparenz. Sie sensibilisieren die Branche auch für die jeweiligen Nachhaltigkeitsziele. Indem diese die jeweiligen ESG-Ziele in ihrer Investitionsplanung berücksichtigt, entsteht durch die konkreten Massnahmen eine nachhaltigere Immobilienwirtschaft.

Bisher erfolgte die ESG-Berichterstattung sehr heterogen. Es gibt unterschiedliche Labels und Benchmarks wie Leed, Breeam, Minergie, GRESB etc. Welche Wirkung haben diese Labels und wie verhelfen sie zu mehr Transparenz?  

All diese Labels und Benchmarks verfolgen das Ziel, Nachhaltigkeit messbar und vergleichbar zu machen. Minergie, SNBS, DGNB, Leed und Breeam sind Gebäudezertifikate. Sie zeigen unter anderem Anlegern und Mietenden, dass Liegenschaften in der Bau- oder zum Teil auch Betriebsphase bestimmte Kriterien erfüllt haben respektive erfüllen. GRESB ist ein globaler Benchmark, welcher Immobilienprodukte hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsaktivitäten bewertet und vergleicht. Gebäudezertifikate fliessen neben anderen Kriterien auch in die GRESB-Bewertung ein.

Worin sehen Sie in der jetzigen Entwicklung zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit die grösste Herausforderung?

Damit wir für Immobilienportfolios umweltrelevante Kennzahlen ausweisen können, müssen alle Energieverbräuche der Liegenschaften erhoben werden. Mittlerweile kennen wir die Datenquellen und Berechnungsgrundlagen, aber es bleibt eine sehr ressourcenintensive Aufgabe. Bei Sozial- und Governance-Faktoren fehlen noch Standards am Markt und die Messbarkeit ist oftmals nicht gegeben. Zudem gestaltet sich eine Unterscheidung von «gut» und «schlecht» als schwierig, weil manche Faktoren von unterschiedlichen gesellschaftlichen Wertvorstellungen abhängen. Bei Umweltthemen sollten wiederum auch Biodiversität, Graue Energie oder Kreislaufwirtschaft noch stärker reflektiert werden.

Daniela Jorio ist Team Lead ESG Real Estate DACH bei der UBS.

ESG-Begriffe

SFDR: Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzprodukte (Sustainable Finance Disclosure Regulation). Die SFDR gilt für alle Finanzmarktteilnehmer in der Europäischen Union, die ESG-Portfolios managen und nachhaltige Finanzprodukte anbieten. Dazu zählen Fonds, betriebliche oder private Altersvorsorge, Versicherungs- und Anlageberatung sowie deren Produkte.

AMAS: Asset Management Association Switzerland.

KAGAST: Konferenz der Geschäftsführer von Anlagestiftungen.

ASIP: Der Schweizerische Pensionskassenverband ASIP mit Sitz in Zürich ist der Dachverband für rund 900 Pensionskassen.

REIDA: Die Real Estate Investment Data Association, ist eine non-profit Organisation für Anlageobjekte im Schweizer Immobilienmarkt.

GRESB: GRESB (Global Real Estate Sustainability Benchmark) ist das führende Bewertungssystem zur Messung und Bewertung der Nachhaltigkeitsperformance. gesamter Immobilienportfolios nach ESG-Kriterien. GRESB B.V. wurde 2009 von einer Gruppe von Immobilienfond-Inhabern gegründet.