Es werde sehr spannend zu beobachten sein, wie die Akquisitionsbewertungen von Liegenschaften im ersten Halbjahr 2024 ausfallen werden, sagt Stefan Jönsson, Immobilien-Experte Luzerner Kantonalbank AG (LUKB). «Wir können beobachten, dass nicht nur die Anzahl Transaktionen in den letzten Monaten rückläufig war, sondern auch die Anzahl Interessenten pro Objekt». Von einem Käufermarkt würde er allerdings nicht sprechen.

In den Portfolios institutioneller Anleger sind Renditeimmobilien 2023 auf breiter Front abgewertet worden. Damit ist eine rund 20-jährige Ära kontinuierlicher Aufwertungsgewinne bei Immobilienanlagen zu Ende gegangen. Wie werden sich die Bewertungen im 2024 bewegen?

Stefan Jönsson: Die Bewertung von Renditeimmobilien setzt sich grundsätzlich aus den drei Komponenten „Erträge“, „Kosten/Investitionen“ und „Diskontierung“ zusammen. Die von Ihnen angesprochene Abwertung per Ende 2023 ist hauptsätzlich auf höhere Diskontierungssätze zurückzuführen. Die Schweizerische Nationalbank hat – zur Überraschung von vielen – im März 2024 den Leitzins bereits jetzt wieder gesenkt, was den Aufwärtsdruck auf die Diskontierungssätze verkleinern dürfte. Zusätzlich sind die Wirtschaftsperspektiven in der Schweiz gut. Stand heute gehe ich davon aus, dass die Werte im Jahr 2024 stabil bleiben oder wieder leicht steigen dürften.

Die grössten Wertberichtigungen mussten Investoren dabei auf ihren Büro- und Verkaufsflächen verbuchen. Aber auch Liegenschaften mit Wohnnutzungen mussten infolge der Zinswende erstmals leicht tiefer bilanziert werden.

Insbesondere in den Zeiten der Negativzinsen nach 2015 haben viele institutionelle und private Investoren Wohnimmobilien als attraktive Anlagemöglichkeiten gesucht. Dafür nahmen sie auch tiefere Renditeerwartungen in Kauf. Die Folge war ein sehr hohes Preiswachstum. Im aktuellen Zinsumfeld sind die Renditeerwartungen nun wieder gestiegen. Bei Geschäftsliegenschaften war dies übrigens bereits früher zu beobachten.

Preiskorrekturen sind also möglich?

Vereinzelt kam es bisher auch bei Wohnimmobilien zu Preiskorrekturen. Dies bedeutet aber nicht, dass es zu einem Preiszerfall kommen wird. Insbesondere gut unterhaltene und bewirtschaftete Wohnliegenschaften sind und bleiben sehr attraktive Anlagemöglichkeiten.

Auch wenn diese Bewertungskorrekturen nach den «fetten» beiden Jahrzehnten eine Zäsur darstellen, sind die Bewertungsabschläge angesichts der abrupten und heftigen Zinswende bislang recht bescheiden ausgefallen. Woran liegt das?

Bei Bilanzbewertungen schwingt immer die Bewertungshistorie mit. Somit werden aktuelle Markttrends tendenziell nicht in vollem Umfang abgebildet. Liegenschaften werden zu Bilanzzwecken im Vergleich zu Akquisitionen generell eher defensiv bewertet mit einem Fokus auf Kontinuität. Dies bedeutet unter anderem, dass die Diskontierungssätze auch immer leicht dem Markt hinterherhinken. Dank diesem Puffer fielen die Wertschwankungen bescheiden aus. Gleichzeitig ist anzufügen, dass die tendenziell rückläufigen Leerstände sowie steigenden Bestandes- und Angebotsmieten im Jahr 2023 wertsteigernd gewirkt haben.

Werden die aktuell sinkenden Zinsen wieder für höhere Liegenschaftsbewertungen sorgen?

Es wird sehr spannend zu beobachten sein, wie die Akquisitionsbewertungen von Liegenschaften im ersten Halbjahr 2024 ausfallen werden, das heisst mit dem bereits gesenkten Leitzins. Diese Dynamik dürfte massgeblich die Bilanzbewertungen per Jahresende 2024 beeinflussen, welche in der Regel im Herbst geschätzt werden. Es ist aber wichtig zu betonen, dass für die Wertermittlung neben der Diskontierung auch die Erträge und Kosten beziehungsweise Investitionen entscheidend sind. Und diese Parameter werden durch viele Faktoren bestimmt, wie beispielsweise die Bevölkerungs- und Beschäftigungsentwicklung oder auch die Neubautätigkeit. Aktuell sind die Aussichten für den Immobilienmarkt positiv.

Nachdem die Verkäufer in den Verhandlungen jahrelang am deutlich längeren Hebel sassen, verbesserte sich zuletzt die Verhandlungsposition der Käufer immer mehr.

Wir können beobachten, dass nicht nur die Anzahl Transaktionen in den letzten Monaten rückläufig war, sondern auch die Anzahl Interessenten pro Objekt. Viele Investoren sind weiterhin an Immobilien interessiert. Sie warten aufgrund der aktuellen Zinsentwicklung einfach ab oder investieren in alternative Anlagemöglichkeiten oder -klassen. Entsprechend dauert die Vermarktungszeit auch etwas länger. Trotzdem funktioniert der Markt weiterhin. Und von einem Käufermarkt kann man aktuell nicht sprechen, obwohl die Zeiten vorbei sind, als Käufer alle Preisvorstellungen einfach akzeptiert haben. Ferner sind – trotz deutlicher Zunahme von Einsprachen – Entwicklungen auf der grünen Wiese weiterhin wie bisher gefragt.

Auch Erwartungen über die künftige Zinsentwicklung beeinflussen die Agios. Noch im November 2023 waren die Immobilienfonds klar unterbewertet. Wie wird sich diese Situation 2024 entwickeln?

Im Vergleich zu November 2023 sind die Zinsen tendenziell gesunken und die Agios gestiegen. Es ist schwierig abzuschätzen, ob hier die Zinserwartungen bereits vollständig eingepreist sind. Aktuell liegt das durchschnittliche Agio nahe am historischen Durchschnitt, wobei Gewerbeimmobilienfonds im Vergleich zu Wohnimmobilienfonds noch Aufholpotenzial haben.

Ein Blick zurück auf die letzten zehn bis zwölf Jahre zeigt auf, dass die immer wieder angekündigten Immobilienblasen nie zum Platzen gekommen sind. Wurde hier übertrieben?

Rückblickend ist man immer schlauer! Aber ich finde es richtig und wichtig, dass diese Diskussion geführt wird. Es ist sicherlich so, dass die Immobilienkrise der 1990er-Jahre noch immer mitschwingt, obwohl die Ausgangslage damals eine andere war. In den letzten zehn Jahren waren die Kernidikatoren für den Immobilienmarkt sehr positiv – unter anderem das Wirtschaftswachstum, die Kaufkraft, die Bevölkerungs- und Beschäftigungsentwicklung oder das Zinsumfeld.

Erstaunlich ist dabei auch, dass die Renditeerwartungen immer mehr zurück gingen und zum Teil bei unter drei Prozent zu liegen gekommen sind. Und trotz der Zinswende kam es nun bei diesen knappen Margen zu keinen unkontrollierten Auswirkungen auf die Immobilienanlagegefässe. Woran liegt das?

Regulatorisch bedingt ist die Fremdfinanzierungsquote bei institutionellen Investoren tief. Das gilt speziell für Anlagestiftungen. Entsprechend schmerzen die höheren Kapitalkosten in der Cashflowbetrachtung weniger als den bei privaten Investoren. Ferner haben institutionelle Investoren auch in Zeiten der tiefen Zinsen langfristige Hypotheken abgeschlossen.

Interview: Remi Buchschacher

Stefan Jönsson ist promovierter Ökonom und arbeitet seit über zweieinhalb Jahrern bei der Luzerner Kantonalbank LUKB als Immobilien-Experte. Zu seinen Tätigkeiten gehören Marktanalysen sowie die Ausarbeitung von Immobilien- und Eigentümerstrategien und die Erstellung von Bewertungen. Zuvor arbeitete er als Director bei Wüest Partner.