Das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) rückt immer wieder ins Zentrum wilder Auseinandersetzungen. Während die einen die Schutzwürdigkeit ganzer Ortsteile in den Mittelpunkt rücken, sehen andere darin eine Verhinderungstaktik durch Einsprache willige Nachbarn.

Das Beispiel in Zürich Brunau bringt die Gemüter wieder einmal zum Kochen: «Schon wieder verhindern Nachbarn eine Grosssiedlung in der Stadt Zürich – dieses Mal nicht wegen des Lärms, sondern wegen des Heimatschutzes», titelte letzte Woche die Neue Zürcher Zeitung. Die Gerichte verweigern dem Neubauprojekt in der Brunau mit 500 Wohnungen die Genehmigung. Dies, obschon die Schweizer Bevölkerung wächst und die Wohnbautätigkeit stagniert. Ein Paradox, das die Menschen bewegt. Die Wohnungsknappheit führt zu Spannungen in der Bevölkerung und zu politischem Aktivismus. Die wachsende Zahl von Auflagen und Einsprachen zieht die Bewilligungsdauer massiv in die Länge, was zu noch mehr Auseinandersetzungen führt. Die Immobilienwirtschaft ist vor allem mit einem grossen Problem konfrontiert: «Not in My Backyard». Der Widerstand gegen das Wohnungswachstum vor der eignen Haustür nimmt zu, die Einsprachenflut wächst. Das Konzept der Verdichtung der bereits besiedelten Fläche gelangt an seine Grenzen. Rund 10 Prozent der Bauprojekte werden trotz Baubewilligung nicht realisiert, weil sie durch Einsprachen verhindert werden. Das sind mindestens 4000 Wohnungen, die verloren gehen, wie die Zürcher Kantonalbank vorrechnete.

Die Frage lautet also, wie und wo neue Wohnungen geschaffen werden. Das Raumplanungsgesetz schreibt ein Siedlungswachstum nach innen vor, propagiert also die Verdichtung. Dies ist aus ökologischer Sicht sinnvoll, da unbebaute Landschaften geschützt und CO2-Emissionen durch Mobilität eingespart werden können. Zudem lassen sich Verdichtungsmassnahmen mit klimafreundlichen Bauweisen gut verknüpfen, wie zum Beispiel mit klimafittem Holz-Lehm-Hybridbau (lesen Sie dazu den Artikel der Berner Fachhochschule in dieser Ausgabe).

Quartiervereine organisieren sich

Doch immer wieder stossen grosse Bauprojekte auf Widerstand der Nachbarn und der Quartiervereine. Letztere werden zunehmend aktiv und organisieren sich gegen Bauprojekte, aber auch gegen Verkehrsinfrastrukturen. Nicht selten beziehen sich die Einsprachen auch auf das ISOS, das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung. So auch in der Zürcher Brunau, wo die CS-Pensionskasse seit Jahren versucht, ein Bauprojekt mit 500 Wohnungen zu realisieren. Gegen das bereits angepasste und überarbeitete Projekt legten die Nachbarn Beschwerde ein. Ihnen kommt zupass, dass sie in einer Siedlung leben, die im ISOS aufgeführt ist. Die Nachbarn führten ins Feld, dass die Siedlung durch den Neubau in der Nachbarschaft «beeinträchtigt» sein könnte. Eine Argumentation, die das Verwaltungsgericht in seinem Urteil nun gutgeheissen hat.

Das Inventar rückt dadurch stark in den Mittelpunkt der Betrachtung durch die Marktakteure. Claude Ginesta von der Ginesta Immobilien AG kritisierte schon vor zwei Jahren in einem Blog-Beitrag das ISOS, das ursprünglich nur für Bundesbauten vorgesehen war und nun für ganze Städte als verbindlich bei Neubauten erklärt werde. «Es werden einfach Ortsbilder und damit Altbauten geschützt und nie hatte oder hat jemand die Gelegenheit, zu diesen Schutzzielen Stellung zu beziehen. Es gab auch nie eine Abstimmung über ISOS. Hier hat der Bund ein Bauverhinderungskonstrukt ohne das Volk geschaffen. Trotzdem haben die Gerichte die Idee von ISOS aufgenommen und so mit fragwürdigen Entscheiden viele Neubauten verhindert. Denn viele Einsprecher versuchen heute Einsprachen mit ISOS zu begründen und diesen wird leider allzu häufig stattgegeben», hält er fest. Die gewünschte Verdichtung in den Städten könne daher nicht wie geplant stattfinden.

Wichtiges Instrument

Tatsächlich ist das ISOS ein wichtiges Instrument für einen qualitativen Umgang mit historisch gewachsenen Orten und Umgebungen, in der Regel Dauersiedlungen mit mindestens zehn Hauptbauten. In der Stadt Zürich sind rund drei Viertel sämtlicher Bauzonen mit Erhaltungszielen belegt. Über die Aufnahme in das Inventar, die Abänderung oder die Streichung von Objekten entscheidet der Bundesrat. Es findet also keine öffentliche Diskussion darüber statt, nur eine Expertenanhörung. Dies wird nun immer öfter kritisiert mit dem Argument, das Schutzinventar stehe diamentral zum revidierten Raumplanungsgesetz, welches einen haushälterischen Umgang mit dem Boden und eine Verdichtung gegen innen verlangt. Doch Verdichtung bedeutet auch Verdrängung. Hierzu zitiert das IAZI in einem Blogbeitrag eine Studie, welche die ETH für den Kanton Zürich veröffentlicht hat. Die Ergebnisse legen nahe, dass Verdichtung aktuell wesentlich häufiger durch Abbruch und Ersatzneubau geschieht, als durch Aufstockung. Gemäss der Studie 6,5-mal so oft. Dadurch erfährt das ISOS nun eine Politisierung und eine damit einhergehende Polemisierung.