Die SNB hat ihre geldpolitische Unabhängigkeit erneut bewiesen, indem sie an der geldpolitischen Lagebeurteilung vom 21. März 2024 den Leitzins um 25 Bps auf 1.50% gesenkt hat – ein klarer Abgrenzungsschritt von den Politiken der Fed und der EZB. Während viele Beobachter eine Zinssenkung im März als verfrüht betrachteten, kam diese Entscheidung für uns nicht überraschend. Die Zinsmärkte reagierten auf diese Entscheidung jedoch mit überraschender Zurückhaltung.

Die Dynamik der Inflation in der Schweiz lässt schneller nach als zunächst angenommen. Seit der Dezembersitzung hat sich eine Reihe ausserordentlich positiver Inflationsdaten angesammelt, welche die SNB in ihrer Märzsitzung dazu veranlasste, ihre Prognosen anzupassen. Trotz der Senkung des Leitzinses auf nunmehr 1.50% geht die SNB von einer geringeren Inflation aus als ursprünglich erwartet. Diese Entwicklung bestätigt die Gewährleistung der Preisstabilität und ermöglicht eine entsprechende Lockerung der Geldpolitik.

Die in anderen Ländern beobachtete Befürchtung, dass steigende Reallöhne zu einem erneuten Inflationsschub führen könnten, findet in der Schweiz keinen Anhaltspunkt. Die hierzulande erwarteten moderaten Steigerungen der Reallöhne werden voraussichtlich lediglich ausreichen, um die Kaufkraftverluste der letzten drei Jahre zu kompensieren, ohne dabei neue Inflationsrisiken zu schaffen. Die Ergebnisse der Lohnverhandlungen für das Jahr 2024 untermauern diese Einschätzung und wurden auch in den Entscheidungsprozess der SNB miteinbezogen.

Ohne die bewusste Stärkung des Schweizer Frankens hätte sich die Inflationsdynamik wesentlich aggressiver entwickelt und wäre einem ähnlichen Muster wie im Ausland gefolgt, was eine Zinssenkung zu diesem Zeitpunkt tatsächlich verfrüht erscheinen lassen hätte. Aktuell befindet sich der reale Wechselkurs des Schweizer Frankens auf einem Niveau, das dem nach der Aufhebung des Mindestkurses entspricht – eine Situation, die Anlass zur Sorge gibt. Dies könnte für die SNB in naher Zukunft zu einer Herausforderung werden, insbesondere weil sie in der Vergangen- heit in einem Umfeld aus starkem Franken und Deflation zum Mittel der Negativzinsen greifen musste.

In einem Szenario, in dem sich die Inflation sowohl in Europa als auch in den USA über die nächsten Jahre hartnäckig über dem Zielwert von 2.0% hält, während die Inflation in der Schweiz nahe null bleibt, könnte die SNB zunehmend unter Druck geraten. Neben Devisenkäufen könnte es notwendig werden, durch Leitzinssenkungen eine grössere Zinsdifferenz zu anderen Währungen zu etablieren, um einer Aufwertung des Schweizer Frankens entgegenzuwirken. Die Reaktion im mittleren und längeren Segment der Zinskurve blieb grösstenteils unbeeindruckt und verzeichnete lediglich ein geringfügig niedrigeres Niveau als noch vor einer Woche (siehe Abbildung oben). Dies deutet darauf hin, dass in der längerfristigen Perspektive noch immer eine gewisse Unsicherheit und Risikobewertung besteht, die durch die erste Zinssenkung nicht vollständig ausgeräumt wurde.

Unsere Erwartung

Wir erwarten, dass die SNB im Juni den Leitzins erneut um 25 Bps senken wird. Je nach Inflationsentwicklung und der realen Entwicklung des Schweizer Frankens ist eine Senkung um 50 Bps nicht auszuschliessen.

Burak Er ist Head Research bei der Avobis Group AG