Im aktuellen Markt geht es in vielen Fällen nicht mehr darum, die beste Finanzierung zu finden, sondern überhaupt eine zu ermöglichen, sagt Sandro Sulcis, Co-CEO der Avobis Group AG. Und es gehe weniger darum, den höchsten Preis zu erzielen, sondern überhaupt einen Käufer zum geforderten Preis zu finden. Doch ein schwieriger Markt generiere auch Opprtunitäten.
In der Schweiz dürften die Leerstände in diesem Jahr weiter sinken, was dazu führen wird, dass die Wohnungsmieten weiter steigen. Wie gross müsste der Anteil leerstehender Wohnungen sein, um einen ausgewogenen Markt zu erhalten?
Sandro Sulcis: Man muss zwischen dem Mietwohnungsmarkt und Wohneigentum unterscheiden. Für einen funktionierenden Mietwohnungsmarkt sollte die Leerstandsziffer je nach Region etwas über oder um die 1.5 Prozent liegen, damit kein Druck auf die reale Mietpreisentwicklung entsteht. Notabene liegt die nationale Leerstandsziffer vom 1. Juni 2023 beim Mietwohnungsmarkt mit rund 1.6 Prozent in etwa auf diesem Niveau. Dass dennoch die Wohnungsknappheit berechtigterweise von der Politik und von Marktexperten in den Fokus gestellt wird, liegt daran, dass der nationale Durchschnitt regional angespannte Marktlagen verdeckt und die Marktanspannung beim Mietwohnungsmarkt weiter zunehmen wird. Anders präsentiert sich die aktuelle Lage beim Wohneigentum, wo wir jüngst eine Abkühlung feststellen, mit zunehmenden Inseraten und sinkender Nachfrage.
Ohne neue Wohnungen wird sich die Lage nicht entspannen. Worin sähen Sie die effizienteste Methode, um den Wohnungsmarkt wieder ins Gleichgewicht zu bringen?
Es gibt unserer Meinung nach keine Massnahme, die auf dem trägen Immobilienmarkt unmittelbar für Entspannung sorgen kann. Am raschesten würde eine deutliche Abkühlung auf dem Schweizer Arbeitsmarkt wirken. Aber das ist etwas, das man weder haben möchte noch steuern kann. Die Förderung von Wohnungstausch für eine bessere Allokation des bestehenden Wohnraums könnte zwar rasch etwas Abhilfe verschaffen, ist aber schwierig umzusetzen. Grundsätzlich werden wohl die Knappheit und die steigenden Mieten ohnehin dazu führen, dass man wieder zusammenrückt und weniger Fläche pro Kopf konsumiert. Es gibt durchaus mehrere Stellschrauben und Handlungsfelder, die mittelfristig wirken können. Neben der Vermeidung von kontraproduktiven Regulierungen sehen wir die grössten Hebel bei der Baulandmobilisierung und beim Aufzonen im grossen Stil an nachgefragten Standorten. Je nach Region und Situation können weitere zielgerichtete Massnahmen identifiziert werden.
Die Bewertungen von Renditeliegenschaften und Portfolios sinken auf breiter Front, die Diskontierungssätze werden von den Bewertern immer häufiger nach oben angepasst und die Finanzierungskosten steigen. Wie stark dämpft der Zinsanstieg das Geschäft mit Renditeimmobilien?
Aktuell sehen wir eine gewisse Zurückhaltung bei den Immobilieninvestoren. Besonders bei Investoren, die mit einem höheren Fremdkapitalanteil investieren, aber auch bei institutionellen Investoren, die keine Finanzierung benötigen. Die Unsicherheiten am Markt dämpfen die Investitionsfreude der letzten Jahre, als teilweise Anfangsrenditen von unter zwei Prozent kalkuliert wurden. Liegenschaften an Top-Lagen sind nach wie vor sehr gefragt. Einen deutlichen Rückgang der Nachfrage stellen wir bei Liegenschaften an B und C Lagen fest. Hier kommen jetzt vermehrt semiprofessionelle und private Investoren zum Zuge, welche Liegenschaften zu attraktiven Renditen erwerben können. In den letzten Jahren hatten sie jeweils einen schweren Stand gegen die «Konkurrenz» aus dem institutionellen Bereich, da letztere in allen Anlageklassen tiefe Renditen akzeptiert und trotzdem gekauft hatten.
Sie lancieren nun mit dem Avobis Swiss Residential Fund SICAV in einer eher schwierigen Zeit ein neues Fondsprodukt. Weshalb dieser Zeitpunkt?
In der Tat ist es aktuell eine schwierige Zeit. Aber genau das generiert auch Opportunitäten. Wir sehen zum Beispiel bei den von uns bevorzugten Lagen und Objekten sehr interessante Möglichkeiten, die aus den gesunkenen Transaktionspreisen resultieren. Der Avobis Swiss Residential Fund SICAV bietet die Möglichkeit, in ein neues Produkt mit ausschliesslich neuwertigen Liegenschaften zu investieren. Dadurch wird die Ausschüttungsfähigkeit sichergestellt und die Instandsetzungsrisiken werden für die nächsten fünf bis zehn Jahre auf ein Minimum reduziert. Es gibt keinen aufgestauten Unterhalt und die Objekte entsprechen bereits jetzt den nötigen ESG-Anforderungen.
Wie stark hat der Wind im Markt gedreht?
Die Immobilienbranche blickt insgesamt auf ein herausforderndes Jahr zurück, nicht nur im Bereich von Fondsprodukten. Uns geht es da nicht anders. Wir sind stetig daran, unser Geschäftsmodell und unsere Dienstleistungen optimal auf die Bedürfnisse unserer Kunden auszurichten, und die haben sich geändert. Es geht im aktuellen Markt in vielen Fällen nicht mehr darum, die beste Finanzierung zu finden, sondern überhaupt eine zu ermöglichen. Und es geht weniger darum, den höchsten Preis zu erzielen, sondern überhaupt einen Käufer zum geforderten Preis zu finden.
Institutionelle Investoren scheinen aber zurzeit ungeduldig zu werden und veräussern teilweise ihre Positionen auf sehr niedrigen Niveaus.
Teilweise kommt es vor, dass Liegenschaften unter den eigentlichen Preisvorstellungen der Eigentümer verkauft werden, aber das ist nicht die Regel. Wir sehen aktuell keine «verzweifelten» Veräusserungen. Natürlich haben einige Investoren einen Veräusserungsdruck, aber sie wollen trotzdem einen angemessenen Verkaufspreis. Wir sehen eher eine erhöhte Devestitionsrate bei den indirekten Immobilienanlagen. Solche Verkäufe sind schneller und auch etwas unauffälliger umsetzbar.
Bei Preisverhandlungen sind nun die Käufer wieder am längeren Hebel. Ohne ein Preisnachlass von zehn Prozent wird wohl kein ausgeschriebenes Objekt gehandelt.
Diese Aussage würde ich so nicht unterschreiben. Liegenschaften an Top-Lagen sind nach wie vor sehr gefragt und können zu den Preiserwartungen des Verkäufers oder sonst mit nur kleinen Preisnachlässen platziert werden. Bei weniger privilegierten Lagen ist es durchaus möglich, dass ein Preisnachlass gewährt werden muss. Eine Zeit lang wurden an allen Lagen hohe Preise bezahlt respektive niedrige Renditen eingekauft. Jetzt hat die Lage wieder einen deutlich höheren Stellenwert bei den Investitionsüberlegungen, was absolut nachvollziehbar ist und eigentlich immer hätte gelten sollen. Die Wertkorrekturen sind aktuell vor allem an B und C Lagen deutlich zu erkennen.
Risiken lassen sich heute nicht mehr über ein günstiges Marktumfeld kompensieren. Zudem sind viele Projekte blockiert oder sistiert. Sollte man nun der Frage nachgehen, ob die Umsetzung von nachhaltigen Standards noch das dringendste Problem darstellt?
Mit dem Zinsanstieg haben wir uns ja im Grunde genommen wieder den «normalen» Verhältnissen angenähert. Die neue Herausforderung besteht aus der Kombination von rasch gestiegenen Zinsen und einer markanten Bauteuerung. Darüber hinaus ist das verdichtete Bauen im Bestand etwas komplexer und regulierter als der Neubau auf der grünen Wiese. Die Frage ist also: Wie begegnen wir der hohen Endnachfrage angesichts der knappen Ressource Boden und der hohen Komplexität der Nachhaltigkeitsanforderungen? Dabei ist wichtig, sich nicht zu stark auf Teilaspekte der Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel die Emissionen im Betrieb, zu fokussieren, sondern immer auch auf das grosse Ganze, also zum Beispiel die graue Energie, die soziale Durchmischung und die Interessen der Gemeinde und der Nachbarschaft im Auge zu behalten. Eine Reduktion von Nachhaltigkeitsstandards generell wäre der falsche Weg, denn diese Standards sorgen ja lediglich dafür, dass unsere Gebäude und Siedlungen überhaupt zukunftsfähig sind: Fit für eine Zukunft, in der Energie- und Rohstoffpreise möglicherweise weiter steigen werden. Je früher das Prinzip der Kostenwahrheit Einzug hält, beispielsweise in Form von höheren CO2-Abgaben, desto eher kann über eine Deregulierung im Bereich der Energievorschriften diskutiert werden. Und bezahlbarer Wohnraum kann durchaus auch unter Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards erstellt werden, beispielsweise durch Reduktion von Bau- beziehungsweise Ausbaustandards.
Worin liegen die Gründe für die Blockadehaltung?
Die Gründe für blockierte oder sistierte Projekte liegen häufig an Einsprachen aufgrund von Partialinteressen, stockenden Behördenapparaten und schwierigeren Finanzierungskonditionen. Hier liegt der Schlüssel in der Kooperation und Kommunikation der professionellen Akteure im Markt, die mit gesundem Menschenverstand die relevanten Stakeholder im richtigen Moment zusammenbringen und im besten Sinne nachhaltige Immobilien- und Finanzierungskonzepte gemeinsam erarbeiten.
Interview: Remi Buchschacher