Ohne neue Wohnungen wird sich die Lage auf den Wohnimmobilienmärkten nicht entspannen. Der Katalog an möglichen Massnahmen ist breitgefächert, sagt Markus Waeber, Head Indirect Real Estate Advisory & Intelligence bei der Bank Julius Baer. Flexibilisierung der Bau- und Zonenordnungen, Erhöhung der Ausnutzungsziffern, Vereinfachung von Bewilligungs- und Einspracheprozessen könnten Abhilfe schaffen.
Die Herausforderungen im Schweizer Immobilien- und Baumarkt nehmen rasant zu. Steigende Erstellungskosten, höhere Finanzierungskosten, hohe Regulierungsdichte und viele Einzeleinsprachen bremsen die Bautätigkeit. Bei hohem Bevölkerungswachstum wird Wohnraum knapp und teuer. Wie geht es 2024 weiter?
Markus Waeber: Die Angebotsverknappung im Wohnungsmarkt dürfte auch 2024 anhalten, da eine rückläufige Bautätigkeit und anhaltende Zuwanderung zu erwarten ist. In diesem Umfeld dürften wir weiter steigende Angebotsmieten und wegen der im Dezember 2023 erwarteten Erhöhung des Referenzzinssatzes auch weiter steigende Bestandsmieten sehen. Nachdem die Nettorendite bisher vor allem wegen höheren Renditeanforderungen der Investoren beziehungsweise rückläufigen Transaktionspreisen gestiegen sind, dürften 2024 die zu erzielenden Nettorenditen wegen den erwähnten steigenden Mieten anziehen.
Durch die Erhöhung des Referenzzinssatzes ist bei Wohnliegenschaften mit Mietzinssteigerungen von 4 bis 8 Prozent zu rechnen. Wird das die gestiegenen Finanzierungskosten kompensieren können?
Die höheren Finanzierungskosten können bei Bestandshaltern mit tiefem Leverage und langfristiger Zinsbindung kurzfristig durch steigende Bestandsmieten kompensiert werden. Mittelfristig dürften aber wegen den tiefer ausfallenden Referenzzinssatz- und Inflationseffekten sowie möglichen regulatorischen Eingriffen andere Treiber wie zusätzliche Erträge aus der Entwicklungspipeline wichtiger werden, um die höheren Finanzierungskosten kompensieren zu können.
In der Vergangenheit haben Anlagedruck, tiefe Finanzierungskosten und stabile Preise den Eindruck erweckt, alles sei möglich. Hat der Markt versagt?
Pensionskassen und andere institutionelle Investoren haben ihre Verpflichtungen zu erfüllen, das heisst, die Gelder wurden im Negativzinsumfeld in positiv rentierende Anlagen wie Immobilien investiert. Da wir uns nun wieder einem regulären Umfeld mit positiven Leitzinsen befinden, gibt es neben den Immobilien- und Aktienanlagen mit Obligationen wieder Alternativen. In einem Inflationsumfeld sollten die Immobilienanlagen langfristig mit positiven Realrenditen punkten können, was bei nominalen Anlagen wie Obligationen nicht immer der Fall ist.
Die Anforderungen und Auflagen für Bauprozesse und an den Immobilienbetrieb sind deutlich gewachsen. Die Folgekosten und Risiken lassen sich jetzt nicht mehr über ein günstiges Marktumfeld kompensieren. Lässt sich eine ansprechende Rendite überhaupt noch erwirtschaften?
Grundsätzlich sehen wir bei diversen Anlagegefässen immer noch Entwicklungen, die Bruttorenditen von 4 Prozent oder mehr abwerfen. Zu beachten ist natürlich, dass die Grundstücke teilweise schon länger im Bestand der Investoren sind. Auf der anderen Seite hören wir von Investoren, dass die Realisierung von Projekten in den Städten zunehmend schwieriger und darum auf umliegende Agglomerationen ausgewichen wird, was nicht in jedem Fall dem Verdichtungsgedanken der Raumplanung entspricht.
Im Moment sind sehr viele Projekte blockiert oder sistiert. Die Betrachtung der dringendsten Probleme könnte sich dabei etwas verschieben. Rücken jetzt die Nachhaltigkeitsaspekte in den Hintergrund?
Bei institutionellen Investoren ist die Nachhaltigkeit mittlerweile fest in der Geschäftstätigkeit und teils in dezidierten Nachhaltigkeitskonzepten verankert. Wir beobachten auch erste Ansätze der Kreislaufwirtschaft, die das «Materialdepot» des Gebäudeparks intelligent zu nutzen wissen und zugleich den Bauprozess nicht teurer machen.
Die Problematik der sinkenden Leerstände wirkt sich zwar positiv auf die Erträge der Liegenschaften aus. Doch der Platzmangel wird sich in den Städten in den kommenden Jahren akzentuieren. Was führt aus diesem Dilemma heraus?
Der Platzmangel wird in den Städten zu einer geringeren verfügbaren Wohnfläche pro Kopf führen. Hier kann nur der Bau von mehr Wohnungen und eine grössere Verdichtung eine Entlastung bringen.
Die Problematik des Mehrwertausgleichs bei Aufstockungen und Erweiterungen ist nicht gelöst. Ist der Mehrwertausgleich eine Verdichtungsbremse?
Es stellt sich tatsächlich die Frage, ob die Revision des Raumplanungsgesetzes überall zu den gewünschten Effekten geführt hat. Während die Städte den Mehrwertausgleich zu einem grossen Teil bereits beschlossen haben, müssen viele Gemeinden ihre Bau- und Zonenordnung noch anpassen, was die Bautätigkeit verlangsamt.
Ohne neue Wohnungen wird sich die Lage nicht entspannen. Worin sähen Sie die effizienteste Methode, um den Wohnungsmarkt wieder ins Gleichgewicht zu bringen?
Der Katalog an möglichen Massnahmen ist breitgefächert – ich denke da an Flexibilisierung der Bau- und Zonenordnungen, Erhöhung der Ausnutzungsziffern, Vereinfachung von Bewilligungs- und Einspracheprozessen oder der vermehrte Einsatz von seriellem Bauen mit vorgefertigten Holzelementen. Mit solchen Massnahmen würde der Anreiz für den Bau von zusätzlichen Wohnungen vergrössert und schliesslich der Markt wieder ins Gleichgewicht gebracht. Wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt, gab es im Wohnungsmarkt auch schon Zeiten mit einem Wohnungsüberhang, das heisst der Markt ist durchaus zyklisch und das Angebot könnte mit den richtigen Anreizstrukturen vergrössert werden.
Interview: Remi Buchschacher