Die Auswirkungen der EU-Taxonomie-Verordnung auf die Schweizer Immobilienwirtschaft sind gross, auch wenn derzeit noch einige Fragen bei der Auslegung des Regelwerks offen sind und noch weitere Rechtsakte folgen werden, ist Antonios Koumbarakis, Head Sustainability & Strategic Regulatory bei der PricewaterhouseCoopers AG, überzeugt

Nachhaltigkeit war lange ein Marketingschwerpunkt. Inzwischen ist sie fester Bestandteil des unternehmerischen Handelns und damit ein Offenlegungsthema, auch für indirekte Immobilienanlagen in der Schweiz. Beim Blick über die Landesgrenzen: Was bewirken die EU-Offenlegungsverordnung EU-Taxonomie oder die Green-Building-Zertifizierung?

Antonios Koumbarakis: Die EU-Taxonomie zielt darauf ab, Unternehmens- und Produktangaben mit klaren Definitionen und Standards zu verbinden, um ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten und zusätzliche Kriterien zu definieren. So hat die EU-Taxonomie beispielsweise Offenlegungspflichten für Kreditinstitute eingeführt, die grosse Finanzinstitute dazu verpflichten, ihre «Green Asset Ratio» GAR für die Kreditvergabe offenzulegen. Diese misst, inwieweit die Finanzierungs- und Kreditvergabeaktivitäten (inkl. grüne Hypotheken) und somit die Immobilienanlagen mit der EU-Taxonomie in Einklang stehen. In dieser komplexen Landschaft helfen grüne Zertifizierungen bei der Identifizierung von Immobilien und Investitionen auf dem gesamten EU-Kontinent, welche den anerkannten energetischen und baulichen Standards entsprechen. Die Standards in der Schweiz und Bewertungsstufen können in den verschiedenen Zertifizierungsrahmen variieren, zum Beispiel Minergie, GEAK und andere. Im Weiteren gilt es weitere Schlüsselkennzahlen in der Immobilienbranche zu berücksichtigen: Abdeckungsgrad, Energieträgermix für Heizung, Kühlung und Strom, Energieverbrauch und Energieintensität.

Die EU passt also derzeit diverse Richtlinien an: Mit der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden strebt sie die totale Dekarbonisierung des Immobiliensektors an. Was sind die Auswirkungen auf die Schweiz?

Mit der Schweizer Net-Zero-Strategie ist absehbar, dass auch die Schweiz bald Pläne und Massnahmen zur Dekarbonisierung des Immobiliensektors umsetzen wird, da dieser für rund ein Drittel der gesamten Treibhausgasemissionen und für 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs des Landes verantwortlich ist. Da die EU bereits eine Strategie zur Verringerung der Auswirkungen von Immobilien auf die Umwelt und zur Dekarbonisierung des Sektors umsetzt, ist absehbar, dass EU-Investoren, die in Schweizer Immobilien investieren möchten, bei ihren Investitionsentscheidungen auch Umweltstandards berücksichtigen werden. Umgekehrt werden sich Schweizer Investoren, die in der EU nach Immobilieninvestitionen suchen, auf die neuen Standards und damit auch auf die daraus resultierenden Preisunterschiede einstellen müssen. Darüber hinaus wird erwartet, dass die Richtlinie in Verbindung mit anderen im Rahmen des europäischen Green Deals erlassenen Richtlinien auch die Energieausstattung der Europäischen Union für Gebäude verändern wird, indem umweltfreundlichere Energiequellen gegenüber traditionellem Öl und Gas bevorzugt werden. Dies könnte sich auf die Handelsverträge zwischen der Schweiz und der EU in Energiefragen auswirken, zum Beispiel durch die Erhöhung der Nachfrage nach erneuerbaren Energiequellen oder durch den Bau neuer Infrastrukturen zur Versorgung mit bestimmten Energiemixen. Die Auswirkungen der EU-Taxonomie-Verordnung auf die Schweizer Immobilienwirtschaft sind also gross, auch wenn derzeit noch einige Fragen bei der Auslegung des Regelwerks offen sind und noch weitere Rechtsakte folgen werden.

Die aktuellen Entwicklungen weisen darauf hin, dass Europa die ESG-Offenlegung auf das Niveau der Finanzberichterstattung heben will. Was wird hier noch auf die Schweiz zukommen?

Der Bundestrat schaut sich aktuell an, die ESG-Offenlegung des Gegenvorschlags der Konzernverantwortungsinitiative (welcher auf der NFRD beruht) auf die Corporate Sustainability Reporting Directive CSRD anzupassen, da 60 Prozent der Exporte in der EU anfallen und somit die Schweizer Wirtschaft von CSRD betroffen ist. Und hier ist zu erwähnen: CSRD ist eine regulatorische Herkulesaufgabe für den Finanzsektor und die Schweizer Unternehmenslandschaft.

Seit 2015 bietet die Energy Efficient Mortgage Initiative einen Bewertungsrahmen für Immobilienvermögen an. Sie ist eine globale, marktgeführte Initiative mit dem Ziel, Kapitalmärkte zu mobilisieren und ESG-Best Practices im Finanzsektor umzusetzen, um die Ziele des EU Green Deal und der Renovation Wave-Strategie zu unterstützen. Worauf konzentriert sie sich dabei?

Der Schwerpunkt der Initiative für energieeffiziente Hypotheken liegt auf der Bereitstellung von Forschung und Material, um die Verbreitung umweltfreundlicher Hypothekenlösungen zu fördern. Es wurden verschiedene nationale Zentren eingerichtet, die lokale Forschungsarbeiten durchführen und Finanzinstitute dazu ermutigen, weitere Verbesserungen im Bereich der Energieeffizienzhypotheken zu fördern. Die EEMi bietet auch einen prinzipienbasierten Leitfaden für die Bewertung von Immobilien und Leistungsindikatoren. Die Idee hinter den Initiativen ist, dass der Finanzsektor durch transparentere Daten und Instrumente zur Bewertung der Energieeffizienz von Immobilien dazu ermutigt wird, den Markt für grüne Hypotheken zu erweitern und Anreize für Kreditnehmer zu schaffen, damit diese energieeffiziente Bauprojekte in Betracht ziehen.

In der Schweiz verpflichtet die Schweizerische Bankiervereinigung ihre Mitglieder, bei der Beratung zur Immobilienfinanzierung Energieeffizienzaspekte einzubinden. Welchen Effekt kann man daraus erwarten?

Die Mitglieder der Schweizerischen Bankiervereinigung, die die Leitlinien umsetzen, müssen die Energieeffizienz unabhängig von den Präferenzen der Kunden fördern. Wenn der Kunde interessiert ist, kann die Diskussion weitergehen. Dies setzt voraus, dass auch die Finanzinstitute bereit sind, bestimmte Lösungen anzubieten, ihr Wissen über das Thema zu erweitern und spezifische Lösungen für Kunden auszuarbeiten, welche die Umweltaspekte bei ihren Immobilienprojekten berücksichtigen. In gewissem Sinne bietet der Leitfaden einen Ausgangspunkt, von dem aus sich der Markt entwickeln soll. Dies kann eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen, zum Beispiel eine Verstärkung des Wettbewerbs, eine Erhöhung des Fachwissens auf dem Markt und hoffentlich auch der Kundennachfrage.

Interview: Remi Buchschacher

Antonios Koumbarakis ist Head Sustainability & Strategic Regulatory bei der PricewaterhouseCoopers AG.

Glossar:

  • Die Green Asset Ratio ist eine finanzielle Kennzahl zur Beurteilung der Nachhaltigkeit eines Unternehmens oder Anlageportfolios. Er wird berechnet, indem der Gesamtwert der umweltfreundlichen Vermögenswerte eines Unternehmens oder Portfolios durch den Gesamtwert aller seiner Vermögenswerte geteilt wird.
  • DieNon-Financial Reporting DirectiveNFRD ist Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie verpflichtet zur Berichterstattung bezüglich Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen, der Korruptionsbekämpfung sowie Massnahmen zur Achtung der Menschenrechte.
  • Die Corporate Sustainability Reporting Directive CSRD soll bestehende Lücken bei den Berichtsvorschriften schliessen und die Nachhaltigkeitsberichterstattung insgesamt ausweiten. Ziel ist es, die Rechenschaftspflicht europäischer Unternehmen über Nachhaltigkeitsaspekte zu erhöhen und erstmals verbindliche Berichtsstandards auf Ebene der EU einzuführen.
  • Key Performance Indicators (KPIs, dt. Schlüsselkennzahlen) werden in der Betriebswirtschaftslehre alsKennzahlen definiert, die sich auf den Erfolg, die Leistung oder Auslastung des Betriebs, seiner einzelnen organisatorischen Einheiten oder einer Maschine beziehen.
  • Mit der «Renovation Wave»-​Strategie» will die EU-​Kommission die Schlagzahl an energetischen Sanierungen in den nächsten zehn Jahren verdoppeln – und gleichzeitig die Wohnqualität verbessern und neue Arbeitsplätze schaffen. Die Umsetzung dieser Renovierungswelle liegt in der Hand der Mitgliedsstaaten.
  • Die Energy Efficient Mortgages Initiative ist eine globale, marktgeführte Initiative mit dem Ziel, Kapitalmärkte zu mobilisieren und ESG-Best Practices im Finanzsektor umzusetzen, um die Ziele des EU Green Deal und der Renovation Wave-Strategie zu unterstützen. Die Initiative konzentriert sich auf die Gestaltung eines neuen Multi-Stakeholder-Ökosystems und eines makroprudenziellen Rahmens, um private Finanzmittel in Investitionen in energieeffiziente Gebäude und energiesparende Renovierungen zu lenken.
  • Energy Efficient Mortgages Initiative EEMI: Hypothekendarlehen in Europa entsprechen etwa 46 % des BIP der Europäischen Union. Die Erleichterung des Übergangs zu grünen Hypotheken ist für die Verwirklichung einer klimaneutralen Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Ebenso müssen die Erwartungen der Verbraucher und die Best Practices des Finanzsektors erfüllt werden. Die Hypothekenbranche ist ein wichtiger Akteur bei der Bekämpfung des Klimawandels, indem sie die Hausrenovierungsprogramme finanziert, die zur Verbesserung der Energieeffizienz des Gebäudebestands in der EU erforderlich sind. Seit ihrer Gründung im Jahr 2015 ist die von der EU Horizon 2020 finanzierte Energy Efficient Mortgages Initiative (EEMI) der Katalysator für das Wachstum eines neuen, integrierten, energieeffizienten Hypotheken-Ökosystems mit mehreren Interessengruppen. Das EEMI möchte eine umweltfreundlichere, stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Möglichkeit zum Kauf, zur Renovierung und zum Leben in unseren Häusern einführen.