Wer in der Zeit des Lockdowns im Homeoffice arbeitete, bekam Gefallen daran. Nicht alle Firmen lotsen ihre Mitarbeitenden wieder an die  Arbeitsplätze zurück. Doch die dichte Bebauung der Städte beflügelt den Wunsch vom Wohnen auf dem Lande.

Von Remi Buchschacher 

Die Sache ist kompliziert. Raumplanung ist keine Angelegenheit der klaren Übereinstimmung. Es türmen sich Facetten, Erwartungen und Kompetenzschichten. Vor allem das Kritikerlager ist gross. Während immer noch nicht alle Kantone mit den Rückzonungen von zu grossen Bauzonen fertig sind (Glarus, Zürich und Tessin haben einen Einzonungsstopp), gibt es auf Gemeindeebene massive Kritik am neuen Raumplanungsgesetz, welches nur noch Bauzonen für eine massvolle Entwicklung innerhalb der nächsten 15 Jahre zulässt. So geschehen zum Beispiel in Weggis im Kanton Luzern, wo sich die Gemeinde gegen die Kantons- und Bundesvorgaben zur Wehr setzt, welche eine Reduktion der viel zu grossen Bauzonen der Gemeinde am Vierwaldstättersee vorschreiben. Seit der Bundesrat die Revision des Raumplanungsgesetzes 2018 in die zweite Etappe geschickt hat, mehren sich die unzufriedenen Stakeholder, die von verschiedenen Seiten an der Umsetzung des Gesetzestextes zerren. Und dann kam der Lockdown, der nun einen neuen Graben aufzeigt: den Gartengraben. Und zwar zwischen denjenigen Menschen, die in der dicht besiedelten Stadt im Homeoffice zuhause bleiben mussten und denjenigen, die ihre Videokonferenzen in grüner Umgebung ihres Gartens abhalten konnten. Das Pendlervolk also, welches von den Städtern bisher eher mitleidig angesehen wurde, wenn es zweimal pro Tag in überfüllte Busse und Züge steigen musste.

Zu dicht gebaut?

Sind die Städte also zu dicht bebaut, wie es in Zeiten des Lockdowns, als sehr viele Angestellte ihre Arbeit von zuhause aus erledigten, den Anschein machte? Also drin bleiben in der Dreizimmerwohnung, vom Morgen bis am Abend – mit wenigen Ausnahmen für den Einkauf? Und dann raus am Wochenende in überfüllte Flanier- und Freizeitzonen? Das neue Raumplanungsgesetz sieht genau das vor und fordert noch mehr Verdichtung. Es will nur noch dort eine bauliche Entwicklung zulassen, wo die Dichte bereits hoch ist. Die Corona-Krise hat nun aber das Ende dieser Sichtweise eingeläutet, es bestehen Zweifel am Konzept in der immer dichter werdenden Stadt. Nicht Verdichtung wird gefordert, sondern Entdichtung. «Eine Entdichtung ist allerdings nicht einfach zu erreichen», gibt Jean-David Gerber von der Universität Bern zu bedenken, die Raumplanung müsse sich stets mit den Interessen der Grundeigentümer auseinandersetzen. Er rät deshalb zur Vorsicht: «Das bebaute Gebiet ist ein extremes Geflecht aus verschiedenen rechtlichen Interessen, die es abzuwägen gilt. Jede Intervention schafft Gewinner und Verlierer». Doch gerade in den Städten wird die Forderung nach erschwinglichem Wohnraum immer lauter. Und günstige Wohnungen bauen Investoren nur dort, wo sie eine höhere Dichte realisieren können. Das gilt auch für den Grossteil der Genossenschaften.

Welcher Weg führt nun aus dieser beengenden Entwicklung? Dazu Roman Streit von der ETH Zürich: «Einerseits gilt es die positiven Aspekte einer Siedlungsentwicklung nach innen hervorzuheben: Kulturland kann geschützt und Infrastrukturen, Verkehrserschliessungen besser ausgelastet und entsprechend pro Person kostengünstiger bereitgestellt werden.» Gewisse Qualitäten, die von breiten Bevölkerungskreisen geschätzt werden, wie etwa eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr oder die Versorgung des Quartiers mit Geschäften, Gastronomie, Betreuungsangeboten, erfordern für einen wirtschaftlichen Betrieb eine bestimmte Mindestdichte an dort lebenden Personen. Diese Zusammenhänge gelte es in Planungsprozessen den von «Verdichtungsprojekten» betroffenen Personen darzulegen. «Gleichzeitig sind durch die geschickte Anordnung von Nutzungen, Bauvolumen sowie öffentlichen und privaten Räumen die Konflikte zu minimieren», unterstreicht Roman Streit.

Zweifel an Verdichtung nehmen zu

Doch die Zweifel an der Doktrin der «Siedlungsentwicklung nach innen», nehmen zu. Es sind aber nicht die Planer und Politiker, welche über die Siedlungsentwicklung bestimmen, sondern der Markt. Es wird dort erfolgreich gebaut, wo die Menschen auch wohnen wollen. Und das ist seit anfangs des Jahrtausends wieder die Stadt. In Zürich werden in den nächsten Jahren 80 000 neue Einwohnerinnen und Einwohner erwartet. Das ist nur durch eine Verdichtung der bestehenden Siedlungsfläche und durch höhere Gebäude zu erreichen. Auf dem Land hingegen, im bernischen Huttwil zum Beispiel, stehen viele Wohnungen seit längerer Zeit leer.

Bauliche Dichte kann jedoch nicht allein das Ziel sein. Das Verdichten und insbe­sondere das Nachverdichten bestehen­der Siedlungen stellt eine grosse städte­bauliche und architektonische Heraus­forderung dar. Dichter zusammenleben ohne deutlich mehr Siedlungsqualität ist zum Scheitern verurteilt. Experten raten deshalb vermehrt dazu, nicht nur zu verdichten sondern auch zu entdichten. Doch wie lässt sich ein solches Konzept umsetzen? «Verdichtung bedingt, dass man Freiräume schafft. Je dichter die Menschen nebeneinander leben, desto mehr Frei-, Grün- und Ruheräume benötigen sie. Blockrandsiedlungen etwa können lärmgeschützte Innenräume ermöglichen, die Geborgenheit bieten. Ausgleichsräume mit einer hohen Aufenthaltsqualität sollen zum Verweilen einladen», rät Jörg Schläpfer von WuestPartner.

Die prompte Umsetzung der Homeoffice-Vorgaben erstaunte nicht nur die betroffenen Firmen und Arbeitnehmer, sondern löste auch bei den Investoren in Büro- und Gewerbeimmobilien ein Umdenken aus. Denn die Argumentationskette ist klar: Wenn in Zukunft mehr Leute im Homeoffice arbeiten, werden weniger Büro- und Gewerbeflächen nachgefragt. Ein Szenario, welches bei den grossen Immobiliengesellschaften seit Wochen durchgespielt wird. Nicht nur seit der parlamentarischen Festlegung der Mieterlasse bei Geschäftsimmobilien (Firmen müssen nur 40 Prozent der Miete der Lockdown-Zeit bis zu einer Höhe von 15 000 Franken pro Monat bezahlen). Daran, dass sich Homeoffice nun durchsetzen wird, zweifelt kaum noch jemand.

Attraktives Pendeln

Führt dies nun zu einem zunehmenden Abschied vom Stadtleben? Zu einer neuen Stadtflucht also? Zum Homeoffice auf dem Land und nur noch ein bis zwei Tage Präsenz in den zentralen Bürostandorten? Das Leben im Grünen könnte plötzlich wieder attraktiver werden. Wer nur noch zweimal pro Woche eine lange Strecke pendeln muss, kann von den günstigeren Wohnungen auf dem Land profitieren, zumal auch die Infrastruktur ausserhalb der Zentren wesentlich ausgebaut wurde in den letzten Jahren. Das Angebot ist denn auch entsprechend gross. Doch das Raumplanungsgesetz auf Bundesebene und die kantonalen Richtpläne lassen keine Abkehr von der Verdichtungsdoktrin zu. Die grossen Städte und Agglomerationen sind teilweise durch Ersatzneubau und teilweise durch Umnutzungen die Hotspots der Immobilienentwickler. Renditen lassen sich nur dort erzielen, die Randregionen sind nicht attraktiv und bergen ein zu hohes Risiko. Daran wird sich auch weiterhin nichts ändern.

Kasten

Mehr Schutz für den Boden

Der Bodenverbrauch in der Schweiz ist seit Jahrzehnten unvermindert hoch. Um den Boden besser zu schützen, hat der Bundesrat die Bodenstrategie Schweiz verabschiedet. Dazu gehören der überarbeitete Sachplan Fruchtfolgeflächen und das Kompetenzzentrum Boden. Mit der Bodenstrategie Schweiz will der Bundesrat dafür sorgen, dass bis 2050 «unter dem Strich kein Boden mehr verloren» geht, wie es in einer Medienmitteilung heisst: Der Verlust von Bodenfunktionen soll vollständig kompensiert werden. Ein zentraler Punkt betrifft die Planung: Die Bodenfunktionen sollen besser berücksichtigt werden. Das Hauptziel Nr. 1 der Bodenstrategie lautet: «Es wird angestrebt, dass in der Schweiz ab 2050 netto kein Boden mehr verbraucht wird.» Nicht warten auf das Jahr 2050 will der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Flury. Er macht sich Sorgen um den bereits heute hohen Verlust an Kulturland. Bereits 37 Prozent aller Siedlungsflächen liegen heute ausserhalb der Bauzonen. In einer Interpellation fordert er den Bundesrat auf, griffigere Massnahmen zu ergreifen.