Die ständige Wohnbevölkerung wird die 9-Millionen-Grenze in der ersten Jahreshälfte 2024 knacken, schreibt die UBS in einer neuen Studie. Die «magische» 10-Millionen-Marke könnte dann bereits Mitte der 2030er- Jahre erreicht werden. Eine solch hohe Kadenz der Bevölkerungsentwicklung zieht Bodenknappheit nach sich, beflügelt folglich die Wohnimmobilienpreise und verteuert die Wohnungsmieten. Aus historischer Sicht sind diese Schlussfolgerungen aber nicht zwingend.

Seit 1955 ist die Schweizer Bevölkerung um gesamthaft knapp 4 Millionen Personen beziehungsweise durchschnittlich 0,8 Prozent pro Jahr gestiegen – mehr als doppelt so stark wie in Europa. Nur zwischen 1975 und 1977 war die Bevölkerungszahl hierzulande rückläufig. Aus der Erfahrung seit Mitte der 1950er-Jahre lassen sich fünf Implikationen des Bevölkerungswachstums für den Immobilienmarkt ableiten.

Fakt 1: Mieten stiegen stärker als Konsumentenpreise

Die Mietpreise stiegen von 1955 bis 2023 doppelt so stark an wie der Landesindex der Konsumentenpreise. Über ein rollendes Fünf-Jahres-Fenster verteuerten sich die Mieten real praktisch durchgehend mit Ausnahme Ende der 1970er- und 1990er-Jahre.

Fakt 2: Löhne legten stärker zu als Mieten

Die Lohneinkommen stiegen seit 1955 rund 80 Prozent stärker als die Wohnungsmieten. Pro Jahr legten die Löhne damit inflationsbereinigt fast 1,4 Prozent zu, bei den Mieten war es knapp 1 Prozent, wodurch Wohnen im Durchschnitt erschwinglicher wurde. Nur in der letzten Dekade verteuerten sich die Mietpreise Hand in Hand mit der Lohnentwicklung.

Fakt 3: Kaufkraft schlägt sich im Flächenkonsum nieder

Dank steigender Kaufkraft legte auch der Flächenkonsum pro Person stark zu. So sank die durchschnittliche Haushaltsgrösse von 2,9 auf 2,2 Personen. Als Folge davon stieg die durchschnittliche Wohnfläche zwischen 1970 und 2022 von 30,0 auf 46,5 Quadratmeter pro Person.

Fakt 4: Wohnungsqualität hat zugenommen

Die tatsächlichen Mietausgaben stiegen seit 1970 im Durchschnitt doppelt so stark wie der qualitätsbereinigte Bestandsmietindex. Denn zum einen wurden Wohnungen grösser: Die Flächenzunahme dürfte im Durchschnitt aller Mietwohnungen über 10 Prozent betragen haben. Zudem waren die Mieter bereit, für eine verbesserte Qualität und Ausstattung der Wohnungen tiefer in die Tasche zu greifen.

Fakt 5: Gute Lagen schwingen bei Mietanstiegen nicht obenaus

Die Mieten in den Grossstädten – als Beispiel für gute Lagen – sind nicht stärker gestiegen als im Landesdurchschnitt. Der Stadtzürcher Mietpreisindex stieg seit 1955 gesamthaft sogar 20 Prozent schwächer als der nationale Mietpreisindex des Bundesamts für Statistik. Auch die Wohnausgaben entwickelten sich in den Städten Zürich und Genf schwächer als im Schweizer Mittel.

Gründe für die moderate Mietentwicklung

Dass Bevölkerungswachstum generell zu einer Verteuerung des Wohnraums führt, lässt sich zumindest mit den Daten der letzten 70 Jahre nicht belegen. Dies ist primär auf zwei Gründe zurückzuführen:

  • In der Schweiz wurde über diese Zeitperiode genug Wohnraum geschaffen, um das Bevölkerungswachstum zu absorbieren. Seit Erreichen der 5-Millionen-Grenze in 1955 wurden insgesamt 3,3 Millionen Wohnungen erstellt. Pro zusätzliche Million Personen kamen damit zwischen 560 000 (2012 bis 2023) und 1,3 Millionen (1967 bis 1994) neue Wohnungen hinzu.
  • Parallel zum Bevölkerungswachstum wurde die Verkehrsinfrastruktur massiv ausgebaut. Damit hat sich der Erreichbarkeitsradius der Zentren vervielfacht, was dort als Ventil für den Miet- und Preisdruck wirkte. Das Angebot an attraktiven Lagen war und ist dank dieses verkehrs- und bautechnischen Fortschritts stark vermehrbar.

Bevölkerungswachstum kann Wohnimmobilienwerte beflügeln

Was für Mieten gilt, muss nicht für Wohnimmobilienpreise gelten. Denn Bevölkerungswachstum bietet einen Nährboden für überproportionale Preissteigerungen an stark begehrten Lagen. Erstens nimmt mit zunehmender Verdichtung und einem Ausbau der Infrastruktur der (Options-)Wert des Bodens zu, was Landpreise in die Höhe treibt. Eine Aufzonung von Wohngebieten führt zu deutlichen Wertsteigerungen. Zweitens kann ein nationaler oder globaler Zuwachs an vermögenden Haushalten einen kontinuierlichen Nachfrageüberschuss, insbesondere nach exklusiven Lagen, generieren. Wenn sich immer mehr vermögende Haushalte für eine begrenzte Anzahl gut angeschlossener Lagen mit einmaliger Aussicht oder direktem Seeanstoss interessieren, steigt die marginale Zahlungsbereitschaft für solche Objekte. Drittens kann die Verstädterung auch die Kaufpreise von Wohnimmobilien in der Agglomeration anheizen. Denn Bevölkerungswachstum und grössere Wohndichte erhöhen die Marktliquidität und senken so das Vermietungsrisiko, was die Zahlungsbereitschaft für Renditeliegenschaften steigert.

Die nächste Million: dieses Mal anders?

Der Haupttreiber des aktuellen Nachfragewachstums nach Wohnraum ist die internationale Migration – im Gegensatz zum letzten Jahrhundert, als der Geburtenüberschuss stärker für den Bevölkerungsanstieg verantwortlich zeichnete. Daher steigt die Wohnungsnachfrage relativ zum Bevölkerungswachstum stärker als früher und konzentriert sich vermehrt auf die Grosszentren und deren Agglomerationen. Der hohe Immigrationsanteil am Bevölkerungswachstum und die Alterung der Gesellschaft führen gleichzeitig dazu, dass sich der Trend zu kleineren Haushalten in der mittleren Frist fortsetzen wird. Dementsprechend dürfte die Nachfrage nach kleineren Wohneinheiten überproportional steigen.

Zwickmühle Raumplanung

Während in der Vergangenheit jeweils genug Wohnraum geschaffen wurde, stellt die momentan tiefe Bautätigkeit und historisch gesehen relativ strikte Raumplanung dies zumindest für die nächsten Jahre in Frage. Um bei gleichbleibendem Flächenkonsum Wohnraum für eine zusätzliche Million Einwohner zu bieten, müssten angesichts des Trends zu kleineren Haushaltsgrössen bis Mitte der 2030er-Jahre bis zu 60 000 Wohnungen pro Jahr erstellt werden. Das aktuelle Niveau von rund 35 000 bewilligten Neubaueinheiten in den letzten vier Quartalen stimmt diesbezüglich wenig optimistisch. Im Sinne der Raumplanung müssten diese Wohnungen zudem auf bestehendem Siedlungsgebiet verdichtet gebaut werden. Damit verbunden sind höhere Baukosten und längere Bewilligungsverfahren, was eine Erholung der Bautätigkeit erschwert. Wir gehen davon aus, dass mittels Neubau und höherer Ausnützung des Bestands nicht mehr als 45 000 Wohnungen pro Jahr erstellt werden können. Kumuliert fehlen damit bis 2034 mindestens 150 000 Wohnungen. Daraus ergeben sich folgende Implikationen:

  • Mieten wird teurer: Die Mieten dürften in den nächsten Jahren schneller steigen als die Einkommen und der Anteil der Wohnausgaben am Einkommen wird wohl höher werden. Die Angebotsmieten könnten bis Mitte der 2030er-Jahre – vergleichbar mit der Entwicklung zwischen 2002 und 2012 – real insgesamt um 25 bis 30 Prozent zulegen.
  • Zentren profitieren: Im Gegensatz zu den letzten 70 Jahren dürfte die Mietpreisentwicklung an Zentrumslagen stärker ausfallen als in der Peripherie. Diese Trendwende erfolgte bereits vor einigen Jahren als Folge der steigenden Migration und einer zunehmend überlasteten Verkehrsinfrastruktur. Die teilweise Entkoppelung des Arbeits- und Wohnorts dank hybriden Arbeitens kann der Sogwirkung der Zentren nur begrenzt Paroli bieten.
  • Preise klettern weiter: Auch bei Wohnimmobilienpreisen – also sowohl bei Eigenheimen als auch bei Mehrfamilienhäusern – ist zu erwarten, dass diese bei insgesamt moderater Zinsentwicklung stärker steigen werden als die Einkommen. Einerseits bleiben Toplagen als Folge des Wachstums überproportional gefragt. Andererseits wird sich der «Speckgürtel» der Grosszentren zunehmend in die bisher erweiterten Agglomerationen ausbreiten, was dort die Zahlungsbereitschaft für Wohnimmobilien ebenfalls erhöht. Ein Teil dieses Potenzials dürfte aber bereits eingepreist sein, da diese Entwicklung schon im Gang ist. Gerade Toplagen werden aktuell mit einem hohen Aufschlag gehandelt.

Immobilieninvestitionen: Bonanza unter Vorbehalt

Die hohen Gesamtrenditen von Immobilieninvestitionen der letzten 20 Jahre waren insgesamt den sinkenden Zinsen zu verdanken. Wohnliegenschaften werteten sich im Durchschnitt um fast 3 Prozent pro Jahr auf. Der Weg zur 10-Millionen-Schweiz wird nun voraussichtlich von deutlicher Wohnungsknappheit geprägt sein. Wohnimmobilien haben damit das Potenzial, an vergangene Wertsteigerungen anzuknüpfen oder diese sogar zu übertreffen.

Wohnungsknappheit ist für die Mehrheit der Schweizer Haushalte eine historisch eher ungewohnte Situation. Was in den letzten 70 Jahren galt – sinkende Wohnkosten, grösserer Flächenkonsum und mehr Wohnkomfort – dürfte nun der Vergangenheit angehören. Steigende Wohnkosten verlangsamen die Haushaltsbildung und schränken den Wohnkonsum ein. Für Immobilieninvestoren besteht allerdings in diesem Umfeld das substanzielle Risiko, dass bei Verschlechterung der Wohnsituation vieler Haushalte die regulatorische Keule geschwungen wird. Erwartungen von hohen Wertsteigerungen aufgrund steigender Mieten könnten sich so schnell als Illusion erweisen. In einem solchen Szenario würde die Bautätigkeit noch tiefer ausfallen und die Haushalte müssten noch enger zusammenrücken. Langfristige Verlierer wären dann die Bausubstanz und die Nachhaltigkeit aufgrund mangelnder Anreize für umfassende und energetische Sanierungen.

Autoren: Matthias Holzhey, Economist, UBS Switzerland AG; Maciej Skoczek, CFA, CAIA, Economist, UBS Switzerland AG; Katharina Hofer, Economist, UBS Switzerland AG; Claudio Saputelli, Economist, UBS Switzerland AG