Ist die Zeit reif für einen raumplanerischen Neustart?

Was macht die Verdichtung mit uns? Warum sorgt sie zunehmend für rote Köpfe und führt sogar zu Erpressungsversuchen? Die Zeichen mehren sich, dass das Pendel auch in die andere Richtung schwenken könnte. In den Abbau von Einschränkungen bezüglich Nähe und Höhe von Gebäuden. Von Remi Buchschacher
Die Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) von 2013, auch bekannt als RPG 1, wurde am 3. März 2013 vom Schweizer Stimmvolk angenommen und trat am 1. Mai 2014 in Kraft. Sie war ein indirekter Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative und hatte zum Ziel, die Zersiedelung der Schweiz zu stoppen und den haushälterischen Umgang mit dem Boden zu fördern. Doch die Folgen der Revision sind erst heute sichtbar. Sie führten in der Raumplanung zu einem Paradigmenwechsel, der zu einer grossen Knacknuss wurde: zum Problem des verdichteten Bauens. Die Bauzonen müssen dem voraussichtlichen Bedarf für 15 Jahre entsprechen. Dies war zwar schon im alten Gesetz verankert, wurde aber neu verbindlicher gefasst und wird nun strenger durchgesetzt. Die Gemeinden sind nun stärker gefordert, ihre Bauzonenpläne kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls Rückzonungen vorzunehmen. Dies kann zu politisch heiklen Diskussionen führen. «Raumplanung ist etwas, was die meisten Leute langweilig finden. Als sie über die Revision abstimmten, hielten sie sie wohl für nicht so wichtig. Oder sie haben die nachteiligen Konsequenzen völlig unterschätzt», sagt Christian Hilber, Immobilien-Professor an der Universität Zürich in einem Interview mit der «Schweiz am Wochenende». Denn der Verzicht auf Zersiedelung bedeutet, dass das Bevölkerungswachstum in den bestehenden Siedlungen und Städten aufgefangen werden muss. Und das geht nur mit mehr Verdichtung. Doch diese wird immer schwieriger umzusetzen. Hilber: «Wenn man früher am Stadtrand oder am Ortsrand immer weiter hinaus baute, gab es wenig Widerstand. Baut man aber heute in der Innenstadt ein Hochhaus, trifft es zig Anwohner und viele sagen dann not in my backyard. Die Anzahl von Einsprachen hat massiv zugenommen». Hilber spricht hier ein Übel an, das ungeahnte Dimensionen angenommen hat. Erst letzte Woche wurde ein Fall bekannt bei dem ein Einsprecher ein Bauprojekt verhinderte und für den Rückzug seiner Einsprache 165 000 Franken verlangte.
Altes muss weichen
Doch bevor man Neues bauen kann, muss Altes weichen, postuliert Hilber. Und genau in diesem Punkt gehen die Meinungen stark auseinander. Denn der Ersatzneubau vernichtet Bausubstanz, die vielleicht für weitere Jahrzehnte genutzt werden könnte. Das Neue wird dichter und höher gebaut und wird dadurch teurer. Wäre also die Abkehr des Revision des Raumplanungsgesetzes eine Option? Hilber zeigt sich kritisch: «Dann hätten wir vermutlich wieder mehr Zersiedelung, was auf Dauer nicht gut gehen kann», sagt er im Interview mit der Schweiz am Wochenende» weiter. Er würde allerdings dazu raten, die Verdichtung hinzubekommen und die Raumplanung weniger streng zu handhaben. «Ebenso sollten wir offener dafür sein, den Denkmalschutz zu lockern und den Lärmschutz. Und wir müssten den Widerstand gegen dichtes Bauen überwinden».
Sind also Ersatzneubauten Fluch oder Segen? «Diese Frage steht verstärkt im Vordergrund, seit die Schweiz in der Raumplanung eine radikale Kehrtwende vollzogen hat», schreibt das Research-Team von Raiffeisen Schweiz in der neusten Immobilen-Studie zum Thema. Während früher das Einzonen von Grünflächen ein gängiger Weg war, um neuen Wohnraum zu schaffen, verfolgt die Schweiz heute eine andere Strategie: Verdichtung statt Zersiedelung. Verdichten bedeutet, dass das Bevölkerungswachstum im bestehenden Siedlungsgebiet aufgefangen wird. Das geht nicht ohne Ersatzneubau. Unbestrittenermassen führen Ersatzneubauten zu sozialen und ökologischen Herausforderungen, unterstreichen die Autoren. Günstige Altwohnungen müssen weichen und die graue Energie in den abgerissenen Wohnungen geht verloren. Dem stehe jedoch die viel höhere Energieeffizienz von Ersatzneubauten gegenüber. So liegt der Energieverbrauch bei einem hochwertigen Neubau vier oder fünf Mal tiefer als bei einer 50-jährigen Liegenschaft, was über die Lebensdauer der Liegenschaft den Verlust der grauen Energie mehr als aufwiegt, heisst es in der Studie. Vielfach reduziert sich damit die Kritik am Ersatzneubau auf die soziale Komponente. Aber auch dort könne mit der Effizienz von Ersatzneubauten argumentiert werden. Im Schnitt schaffen Ersatzneubauten pro abgerissene Wohnung vier neue. Sie stellen damit den dringend benötigten Wohnraum bereit, durch den das Preiswachstum bei den Neumieten gedämpft werden kann.
Zum Widerstand gegen die Verdichtung kommt immer öfter auch noch der politische Druck dazu, der es privaten Investoren und zunehmend auch Genossenschaften zuweilen verunmöglicht, die nötigen Renditen zu erzielen. «Wir mussten uns nach der Annahme der städtischen Initiative «2000 Wohnungen für den Zuger Mittelstand» am 18. Juni 2023, welche fordert, dass in allen Verdichtungsgebieten mindestens 40 Prozent der neu erstellten Wohnflächen preisgünstig sein müssen, neu ausrichten und die Entwicklung der beiden Bebauungspläne Bergli und Metalli im Zentrum von Zug überdenken», sagt Peter Wicki, Leiter Projektentwicklung bei der Zug Estates AG. Durch die Annahme der Initiative wurde der ursprüngliche Planungsprozess unterbrochen. Als Folge der Auswirkungen der Initiative hat sich Zug Estates entschieden, die Anpassung des Bebauungsplans Bergli nicht weiterzuverfolgen und den Fokus auf den Bebauungsplan Metalli zu legen.
Gewerbezonen neu planen
Ingo Bofinger, CEO der Seraina Invest Anlagestiftung, bringt noch eine weitere Option ins Spiel: Viele Gewebezonen in der Schweiz liegen direkt angrenzend an die Wohnzonen und sind damit oft bereits sehr gut erschlossen. Zudem ist es nicht überall so, dass die dortigen Gebäude erhaltenswert wären. «Wenn Umnutzungen von Gewerbe- in Wohnraum bewilligungsmässig einfacher würde, könnte sehr viel Wohnraum geschaffen werden», ist er überzeugt. Auch vor dem Hintergrund, dass es nicht jedermanns Sache ist, in der Nähe von Gewerbezonen zu wohnen. «Es ist eine Frage von guter Arealentwicklung und guter Architektur. Die Nachfrage nach solchen Wohnflächen ist vorhanden, was den Druck auf die Zentren und auf die Zersiedelung etwas mildern könnte».
Zum Bild: Es wird eng in den Siedlungsräumen. Nicht überall können die Verdichtungsprojekte umgesetzt werden.