«Ein guter Siedlungscoach verbindet Fachwissen mit sozialem Gespür – und schafft Vertrauen, Gemeinschaft und Orientierung im Wohnalltag», sagt Corina Salomon, Leiterin Siedlungscoaching & Communities bei Wincasa. In dieser Rolle verbindet sie Menschen, belebt Flächen und fördert eine positive Nachbarschaftsentwicklung sowohl in Wohnliegenschaften als auch auf gemischtgenutzten Arealen.

Die Attraktivität von Liegenschaften wird erhöht, wenn Gemeinschaftsflächen gezielt belebt und Mietende aktiv miteinander vernetzt werden. Was unternimmt das Wincasa-Siedlungscoaching & Real Estate Community Management konkret?

Corina Salomon: Am Anfang steht eine detaillierte Bedarfsanalyse: Wir führen Mieterbefragungen durch – schriftlich und persönlich –, analysieren den Mietermix, bisherige Entwicklungen auf der Liegenschaft, das Konfliktpotenzial sowie die Verankerung im Quartier. Dabei beziehen wir auch Hauswarte ein und prüfen Zustand, Ausstattung, Zugänglichkeit und Nutzungsmöglichkeiten der Gemeinschaftsflächen. Auf Basis dieser Erkenntnisse entwickeln wir massgeschneiderte Massnahmen – immer partizipativ mit der Mieterschaft: etwa die gemeinsame Umgestaltung von Gemeinschaftsräumen, die Organisation von Events, das Einführen von Services, das Etablieren von Kommunikationskanälen oder die Moderation bei Konflikten.

Mit dem Ziel?

Das Siedlungscoaching konzentriert sich auf Wohnungsmietende und zielt darauf, das Zusammenleben aktiv zu gestalten und Nachbarschaften zu stärken. Im Bereich Real Estate Community Management gilt dieser Ansatz für Gewerbe- und Büromietende.

Für welche Art von Liegenschaften eignet sich das Siedlungscoaching?

Das Siedlungscoaching eignet sich für eine Vielzahl von Liegenschaften – besonders für mittlere und grössere Wohnsiedlungen ab etwa 50 Wohnungen oder Areale mit hohem Wohnanteil. Es ist ideal für Liegenschaften mit erhöhtem Konfliktpotenzial, sichtbarer Unzufriedenheit oder hoher Fluktuation. Auch anonyme, unbelebt wirkende Siedlungen profitieren stark von der gezielten Aktivierung. Besonders sinnvoll ist der Einsatz zudem bei Liegenschaften in Entwicklungs- oder Sanierungsphasen, wo durch frühzeitige Begleitung eine vernetzte Mieterschaft aufgebaut werden kann. Ebenso eignen sich Objekte mit einer bereits engagierten Mieterschaft, die bereit ist, sich aktiv in das Nachbarschaftsleben einzubringen. Hier kann das Siedlungscoaching als Impulsgeber und strukturierender Partner wirken.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Ja, aktuell begleiten wir eine umgenutzte Büroliegenschaft in der Region Bern mit rund 80 Wohnungen und einem kleinen Gewerbeanteil. Die Eigentümerschaft hat vorausschauend diverse Gemeinschaftsflächen und -räume eingeplant – was aus unserer Sicht sehr fortschrittlich und zukunftsweisend ist. Allerdings werden diese Flächen bisher kaum genutzt. Unsere Aufgabe ist es nun, die Bedürfnisse und Wünsche der Mieterschaft genau zu erfassen – unter anderem mittels Mieterbefragungen und Gesprächen vor Ort. Ziel ist es, die Mietenden aktiv einzubinden, passende Nutzungsmöglichkeiten zu erarbeiten, die Räume bei Bedarf gemeinsam umzugestalten und über gezielte Massnahmen das Nachbarschaftsleben zu aktivieren. Dabei stehen Vernetzung, Beteiligung und eine nachhaltige Belebung der Gemeinschaft im Zentrum.

In früheren Zeiten waren es oft die Hauswarte, die in Siedlungen auch eine soziale Funktion ausübten. Nun sind diese aber mehrheitlich verschwunden. Entsteht nun ein Revival des Hauswartberufs?

Nicht unbedingt – Hauswarte sind keineswegs verschwunden. In unseren aktuellen Projekten arbeiten wir sehr eng mit ihnen zusammen. Sie spielen weiterhin eine wichtige Rolle im Betrieb einer Liegenschaft, insbesondere was technische, infrastrukturelle und organisatorische Aufgaben betrifft. Allerdings unterscheiden sich ihre Aufgaben klar von jenen des Siedlungscoaches. Während der Hauswart für den Unterhalt und die Ordnung zuständig ist, fokussiert sich der Siedlungscoach auf die soziale Dynamik innerhalb der Mieterschaft. Er oder sie fördert das nachbarschaftliche Zusammenleben, moderiert bei Spannungen und gestaltet gemeinschaftliche Prozesse aktiv mit.

Also eine eigenständige Aufgabe?

Auch gegenüber der Bewirtschaftung besteht eine klare Abgrenzung: Die Bewirtschaftung übernimmt weiterhin Aufgaben wie Ticket-Management, Mängelbehebung, Vertragsadministration oder Objektübergaben. Der Siedlungscoach hingegen ist auf der Liegenschaft noch präsenter, konzentriert sich auf individuellere Bedürfnisse der Mieterschaft, die Organisation von Mieteranlässen, Konfliktinterventionen sowie die Förderung von Gemeinschaftsflächen und -aktivitäten. Alle drei Funktionen ergänzen sich sinnvoll, sodass ein ganzheitliches Management entsteht, das administrative, technische und soziale Aspekte im Blick hat. Damit Siedlungscoaching flexibel und den Bedürfnissen einer Siedlung oder eines Projekts entsprechend eingesetzt werden kann, bieten wir diese Dienstleistung auch unabhängig von einem Bewirtschaftungsmandat an.

Eine Belebung des Miteinander-Wohnens wird immer wichtiger. Und auch das Sicherheitsbedürfnis. Die Menschen möchten sich in ihrer Liegenschaft wohl fühlen. Sind die Siedlungscoaches täglich vor Ort, oder gibt es spezielle Sprechstunden?

Die Präsenz der Siedlungscoaches richtet sich nach dem Bedarf der jeweiligen Liegenschaft und den gemeinsam definierten Massnahmen. In der Anfangsphase – insbesondere während der Bedarfsanalyse – sind unsere Coaches regelmässig zu fixen Zeiten vor Ort, um sichtbar und gut erreichbar zu sein. Dabei achten wir gezielt auf eine zeitlich breit gefächerte Präsenz: morgens, tagsüber, abends sowie punktuell am Wochenende. So stellen wir sicher, dass möglichst alle Mietenden – unabhängig von ihrem Tagesablauf, ihren Arbeitszeiten oder familiären Verpflichtungen – die Möglichkeit haben, mit dem Siedlungscoach in Kontakt zu treten. Diese niederschwellige und flexible Erreichbarkeit ist zentral, um Vertrauen aufzubauen und echte Partizipation zu ermöglichen. Im weiteren Verlauf wird die Präsenz flexibel und bedarfsgerecht angepasst. Je nach Dynamik in der Liegenschaft kann sie punktuell intensiviert oder auch reduziert werden, wenn die Mieterschaft zunehmend selbstständig aktiv wird und weniger Begleitung benötigt.

Gemeinschaftsflächen werden zu lebendigen Treffpunkten, Nachbarschaften wachsen enger zusammen und soziale Nachhaltigkeit wird spürbar gefördert. Führt das auch zu weniger Wohnungswechseln und Leerständen?

Ja, genau das ist eines unserer übergeordneten Ziele. Wenn Mietende sich mit ihrer Liegenschaft identifizieren, soziale Kontakte knüpfen und sich in ihrem Wohnumfeld wohl und sicher fühlen, steigt die Wohnzufriedenheit deutlich. Das wirkt sich positiv auf die Mietdauer aus – viele Menschen entscheiden sich bewusst dafür, länger zu bleiben, wenn sie sich als Teil einer funktionierenden Nachbarschaft erleben.

Also Auswirkungen auf die Attraktivität der Liegenschaften?

Gleichzeitig gewinnen die Liegenschaften an Attraktivität – sowohl für bestehende als auch für potenzielle neue Mietende. Lebendige Gemeinschaftsflächen, gelebte Nachbarschaft und eine positive Atmosphäre schaffen ein Umfeld, das Leerstände reduziert und zu einem nachhaltigen, stabilen Mietermix beiträgt. Das Siedlungscoaching zielt also nicht nur auf soziale, sondern auch auf wirtschaftliche Nachhaltigkeit – durch stabile Verhältnisse, geringere Fluktuation und eine höhere Standortqualität.

Der oben erwähnte Hauswart konnte früher auch Konflikte schlichten. Wie gehen die Siedlungscoaches damit um?

Konfliktprävention und -intervention gehören zu den zentralen Aufgaben der Siedlungscoaches. Sie bringen in der Regel fundierte Erfahrung aus der sozialen Arbeit oder der soziokulturellen Animation mit und sind geschult im Umgang mit herausfordernden Situationen. Ihr Ziel ist es, ein friedliches und respektvolles Zusammenleben in der Liegenschaft zu fördern. Im Unterschied zum Hauswart, der in der Vergangenheit oftmals informell als Ansprechpartner bei Konflikten diente, übernehmen Siedlungscoaches diese Funktion heute gezielt, professionell und mit einem klaren sozialen Auftrag.

Sie sprechen auch von regelmässigen Treffen unter der Bewohnerschaft. Wie muss man sich diese vorstellen?

Regelmässige Treffen sind ein zentraler Bestandteil des Siedlungscoachings – sie fördern den Austausch, stärken das Gemeinschaftsgefühl und bieten Gelegenheiten zur aktiven Mitgestaltung des Zusammenlebens. Die Formate sind dabei bewusst vielfältig und niederschwellig gehalten, damit sich möglichst viele Mietende angesprochen fühlen.

 Zum Beispiel?

Beispielsweise lädt der Siedlungscoach zu fixen Zeiten mit Kaffee und Gipfeli in den Gemeinschaftsraum ein – ein unkomplizierter Einstieg ins Gespräch. Im Sommer findet ein gemeinsames BBQ im Innenhof statt, im Winter sorgt ein Punsch- und Glühweintruck für Begegnung bei einem Apéro. Am Tag der Nachbarschaft organisieren engagierte Mietende einen Bastelnachmittag für Kinder und zum Osterbrunch trifft man sich am Samstagmorgen im Gemeinschaftsraum. Wichtig ist dabei nicht nur der Anlass selbst, sondern die Möglichkeit, regelmässige Treffpunkte und Begegnungsorte zu schaffen, an denen sich Nachbarschaft entwickeln und Gemeinschaft entstehen kann – stets freiwillig, partizipativ und offen für alle.

Nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner möchten an einem aktiven Quartierleben teilnehmen. Entsteht hier nicht eine Überforderung?

Nein, eine Überforderung ist nicht zu befürchten. Bereits zu Beginn, im Rahmen der Bedarfsanalyse und Mieterbefragung, erheben wir gezielt das Interesse an gemeinschaftlichen Aktivitäten. Wer wünscht sich mehr Austausch? Wer bevorzugt Ruhe und Zurückhaltung? Diese Erkenntnisse fliessen direkt in die Planung der Massnahmen ein. Alle Angebote im Rahmen des Siedlungscoachings sind freiwillig. Niemand wird zu etwas gedrängt. Unser Ziel ist es, ein niederschwelliges, offenes Angebot zu schaffen, von dem alle profitieren können. Bisher haben wir durchwegs positive Rückmeldungen erhalten. Oft hören wir: „Schön, dass hier endlich etwas passiert“ oder „Das hat hier gefehlt“. Eine Überforderung hat uns bislang nie jemand rückgemeldet. Die meisten schätzen das neue Miteinander als wohltuende Aufwertung ihres Wohnumfelds.

Um im Siedlungs- und Quartiermanagement tätig zu sein, braucht es speziell ausgebildete Mitarbeitende. Was müssen diese Siedlungscoaches mitbringen?

Siedlungscoaches bringen in der Regel einen Hintergrund in sozialer Arbeit oder soziokultureller Animation mit. Neben fachlicher Kompetenz sind Empathie, interkulturelles Verständnis und eine hohe Kommunikationsfähigkeit entscheidend – insbesondere im Umgang mit vielfältigen Mieterschaften. Sie müssen in der Lage sein, Konflikte früh zu erkennen, deeskalierend zu wirken und lösungsorientiert zu handeln. Gleichzeitig braucht es Kreativität, Offenheit und die Bereitschaft, auf Menschen aktiv zuzugehen und Beteiligungsprozesse anzustossen. Kurz gesagt: Ein guter Siedlungscoach verbindet Fachwissen mit sozialem Gespür – und schafft Vertrauen, Gemeinschaft und Orientierung im Wohnalltag.

Interview: Remi Buchschacher

Corina Salomon ist seit 2019 für Wincasa tätig. Seit 2025 verantwortet sie den Bereich Siedlungscoaching & Communities, bei dem Wincasa als erster Immobiliendienstleister in der Schweiz gemeinschaftsfördernde Angebote entwickelt und dadurch die soziale Nachhaltigkeit spürbar fördert.