In der Summe nimmt der CO2-Ausstoss der Gebäude in der Schweiz, trotz wachsender Bevölkerung und zunehmender beheizter Fläche, kontinuierlich ab und der Ersatz fossiler Heizungen schreitet voran. Das Ziel ist aber bei Weitem noch nicht erreicht, sagt Ivo Angehrn, Manager Nachhaltigkeit und Digitalisierung bei der Drees & Sommer Schweiz AG. Ein Hindernis für energetische Sanierungen sind zum Teil aber die aktuellen baurechtlichen Vorgaben.

Am 18. Juni 2023 wurde von der Schweizer Stimmbevölkerung das Klima- und Innovationsgesetz angenommen. Die Schweiz hat sich in dieser Abstimmung mehrheitlich zum Netto-Null-Ziel 2050 bekannt. Für den Gebäudesektor bedeuten dies zusätzliche Fördermassnahmen in Höhe von 3.2 Mrd. CHF zur Dekarbonisierung des Gebäudebetriebes, 2 Mrd. davon zum Ersatz von fossilen Heizungen, sowie ineffizienten Elektroheizungen. Lässt sich auf dem Weg zu Netto-Null bereits eine positive Entwicklung beobachten?

Ivo Angehrn: Ja, sicherlich. Neubauten werden fast ausschliesslich mit erneuerbaren Heizungen gebaut und der Ersatz fossiler Heizungen schreitet voran. Neben Fördermassnahmen sind hier auch vielerorts kantonale Vorschriften in Kraft, welche bei Heizungssanierungen eine Umstellung auf erneuerbare Energien fordern. In der Summe nimmt der CO2-Ausstoss der Gebäude in der Schweiz, trotz wachsender Bevölkerung und zunehmender beheizter Fläche, kontinuierlich ab. Dies ist im Hinblick auf Netto-Null eine gute Nachricht, aber wir sind bei weitem noch nicht am Ziel.

Werden Potenziale bestehender Immobilien zum richtigen Zeitpunkt entdeckt, können durch standort- und marktgerechte Umnutzungen Mehrwerte geschaffen werden. Der klassische Use Case ist hier die Umwandlung von Bürogebäuden zu Wohnungen. Gibt es noch weitere Anwendungsbeispiele?

Auch die Umnutzung von Wohnungen in Kleinbüros, Gesundheitspraxen, etc. ist seit langem üblich und dient dazu, Angebot und Nachfrage lokal auszugleichen. Umgekehrt wurden in den letzten Jahrzehnten auch sehr viele Industriehallen für andere Nutzungen ausgebaut, seien das Co-Working-Spaces, Wohnungen, Retailflächen, oder gar Schulen. Grundsätzlich gibt es – ausserhalb der bau- und zonenrechtlichen Vorschriften – kaum Einschränkungen für Umnutzungen. Es ist aber schwierig, den Bedarf für mögliche Umnutzungen in 10-20 Jahren abzuschätzen. Daher gilt es, die primäre Struktur – also Tragwerk, Decken und Böden – eines Neubaus wenn immer möglich nutzungsunabhängig zu planen. Ausreichende Geschosshöhen, eine grosszügige Rasterung und intelligent geplante Versorgungswege sind notwendige Voraussetzungen für spätere Umnutzungen. Falls dies beachtet wird, haben spätere Umbauten für veränderten Nutzungen eine geringere Eingriffstiefe, kosten sehr viel weniger und sind auch noch ökologischer.

Im Rahmen einer Studie des IAZI im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen wurden die Auswirkungen energetischer Sanierungen und unterschiedlicher Nebenkostenregimes auf die Liegenschaftskosten untersucht. Es zeigt sich, dass energetische Sanierungen zu sinkenden Heiz- und Nebenkosten führen, die Betriebs- und Unterhaltskosten jedoch kaum beeinflussen. Woran liegt das?

Die primäre Zielsetzung von energetischen Sanierungen ist die Reduktion der Energieverbräuche, welche sich positiv auf die Heiz- und Nebenkosten auswirken. Meine Hypothese wäre, dass energetische Sanierungen oft mit einem Wechsel des Energieerzeugers einhergehen, beispielsweise wird ein Öl- oder Gasbrenner durch Wärmepumpen ersetzt. Die neue Technologie ist dabei komplexer und kann zu erhöhten Betriebs- und Unterhaltskosten führen. Auch Fassadensanierungen mit verstärkter Dämmung können – falls nicht fachgerecht geplant und ausgeführt – zu erhöhten Unterhaltskosten führen, zum Beispiel bei Feuchtigkeitsschäden, Schimmelbildung oder ähnlichem.

Die Wohnfläche pro Kopf hat einen grossen Einfluss auf den Endenergieverbrauch und die Emissionen im Betrieb von Wohngebäuden. Eine Reduktion der Wohnfläche pro Person erhöht die Effizienz von Wohngebäuden. Weniger Wohnfläche pro Person bedeuten weniger Emissionen pro Person, bezogen auf betriebliche, sowie graue Treibhausgasemissionen. Warum werden nicht deutlich mehr kleine Zimmergrössen gebaut?

Das ist meines Erachtens eine Frage der Nachfrage und nicht des Angebots. Kleinere Flächen, Wohnungen und Häuser (Stichwort «Tiny House») scheinen zwar zumindest medial im Trend zu sein und kosten auch weniger. Gleichzeitig ist aber die Grösse der Wohnung ein Statussymbol, für welches man gerne so viel ausgibt, wie man sich leisten kann. Daher sind die steigenden Flächen pro Kopf primär ein Wohlstandsindikator, was ja ein positives Zeichen für die Schweiz ist.

Möchte man Eigentümer von Gebäuden dazu motivieren, im Sinne der Allgemeinheit zu agieren, müssten Sanierungen nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch rentabel sein. Kann dies erreicht werden, indem das Nicht-Handeln unattraktiv wird durch Erhöhung der Kosten für Energieträger mit hohen Treibhausgasemissionen?

Grundsätzlich könnte zum Beispiel eine erhöhte CO2-Steuer auf Energieträger sicherlich eine zusätzliche Lenkungswirkung haben. Diese träfe aber die Mieter und nicht die Eigentümer und letztere wären damit kaum motiviert, schneller zu sanieren. Ein anderes Hindernis für energetische Sanierungen sind die aktuellen baurechtlichen Vorgaben, welche bezüglich Brandschutz, Lärmschutz, Erdbebensicherheit, Hindernisfreiheit etc. überall die Einhaltung der neuesten Normen verlangen. Dies verteuert Sanierungen, welche aus klimapolitischer Sicht Sinn machen würden, so sehr, dass viele Eigentümer lieber gar nichts machen. Dies wiederum zu Lasten der Mieter und der Allgemeinheit. Um also Ökonomie und Ökologie in Übereinstimmung zu bringen, braucht es nicht einfach nur eine neue Steuer oder mehr Fördergelder.

Mit der Gültigkeit der MuKEn auf kantonaler Ebene bleiben die Energievorschriften für Gebäude kantonal verschieden. Die Situation für Planende, Unternehmerinnen und Eigentümer ist durch die kantonalen Unterschiede sehr unübersichtlich und führt zu Mehrkosten.  

Ja, das ist ein ewiges Ärgernis. Die MuKEn 2025 wird bald fertiggestellt sein und die Umsetzung der MuKEn 2014 (!) ist noch nicht in allen Kantonen abgeschlossen. Dabei sind nicht nur Unübersichtlichkeit und Mehrkosten die Folge. Sondern vor allem geht es nicht vorwärts mit dem Klimaschutz. Das ist ein echtes Problem. Mein Wunschtraum wäre es, wenn wenige Zielgrössen, zum Beispiel CO2-Ausstoss im Betrieb und für Neubauten, national festgelegt würden und dafür ein ganzer Wirrwarr von Regularien, Bewilligungsverfahren, Fördermitteln und so weiter auf Ebene der Kantone und Gemeinden abgeschafft würde. Leider lässt sich der bürokratische Föderalismus nicht so einfach aushebeln, weshalb das wohl ein Wunschtraum bleiben wird.

Die Fördermittel für energetische Sanierungen sind begrenzt. Würde eine Aufhebung der Deckelung der Fördermittel, sowie eine differenzierte Überprüfung der technischen Vorgaben für Sanierungen die Eigentümerschaften von selbst genutzten Einfamilienhäusern und vermieteten Mehrfamilienhäusern dazu motivieren, energetisch zu sanieren?  

Vor allem die Überprüfung der technischen Vorgaben für Sanierungen sind unbedingt zu überprüfen. Damit würden sehr viele energetische Sanierungen plötzlich ökonomisch attraktiv, ganz ohne zusätzliche Fördermittel.

Die Schweiz hat wenig verdichteten Wohnraum. Wohngebäude mit mehr als sechs Geschossen gibt es folglich nur sehr selten, sie repräsentieren laut Bundesamt für Statistik einen Anteil von 2,3 Prozent aller Wohngebäude. Wären Aufstockungen das probate Mittel?

Auch bei Aufstockungen gilt Ähnliches wie bei energetischen Sanierungen. Wenn die geltenden technischen Vorgaben das Bauprojekt so teuer machen, dass die zusätzlichen Mieteinnahmen die Amortisationskosten nicht decken, dann passiert nichts. Oder es wird das bestehende Gebäude abgerissen und ein Ersatzneubau erstellt, was die gewünschte Verdichtung bringt, aber ein ökologischer Nonsens ist.

Ein wichtiges Thema sind gegenwärtig die Leerkündigungen, die bei Sanierungen entstehen können. Viele Eigentümer verzichten deshalb auf Gesamtsanierungen, um nicht in die Schlagzeilen zu geraten. Gibt es andere Lösungen?

Natürlich. Gesamtsanierungen können auch im bewohnten Zustand und sozialverträglich erfolgen, wie das Beispiel Telli in Aarau zeigt. Dafür ist eine sorgfältige Planung und eine sehr gut organisierte Bauausführung erforderlich. Bei kleineren Bauten lohnt sich das nicht immer, aber dort ist auch die Gefahr von Schlagzeilen geringer.

Ivo Angehrn ist Manager Nachhaltigkeit und Digitalisierung bei der Drees & Sommer Schweiz AG.

 

Immobilien in der Nutzungsphase: Was müssen Portfoliohalter beachten?

Unser nächstes Fachforum findet am 13. März 2025 im Gebäude YOND bei Vebego AG, Albisriederstrasse 253, in 8047 Zürich statt. Beginn um 16 Uhr.

Immobilien-Bewirtschaftung und Facility Management sind komplexe Prozesse. Zahlreiche Herausforderungen können eine erfolgreiche Umsetzung erschweren. Schnelle Veränderungen im Markt und im Verhalten der Nutzer machen es zudem schwierig, eine langfristige Strategie aufrechtzuerhalten. Immobilien-Besitzer müssen auf diese Aufgaben vorbereitet sein und eigene Strategien entwickeln. Wir zeigen am Fachforum Lösungen auf:

  • Was sind die grössten Herausforderungen?
  • Wie lassen sich die Kosten in der Nutzungsphase senken?
  • Was kann die Bewirtschaftung und das Facility Management zur nachhaltigen Entwicklung beitragen?
  • Wird von der Branche den Lebenszykluskosten genügend Beachtung entgegengebracht?
  • Welche Digitalisierungsmassnahmen machen Sinn?

Wir beleuchten am Podium die aktuelle Praxis und zeigen Wege auf.

Auf dem Podium: Philipp Schoch, Bereichsleiter Bewirtschaftung und Mitglied der GL, Wincasa; Ivo Angehrn, Manager Nachhaltigkeit und Digitalisierung, Drees & Sommer Schweiz AG; Rayco Gutierrez, Leiter Business Unit PROVIS und Mitglied der Geschäftsleitung der Axept Business Software AG; Marc Capeder, Managing Director Facility Management, Vebego AG; Rahel Nägeli, Leiterin Technik TECTON Management AG. Moderation: Remi Buchschacher, RealEstateReport

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