PV-Gründächer können zu Konflikten führen. Bei einem begrünten Solardach müssen beide Systeme, also Grünfläche und Energiegewinnung, funktionieren, sagt Boris Jaus, Geschäftsführer TECTON-Kundendienst. Denn je nach ausgeführter Aufständerung der Photovoltaikanlage entsteht unter den eingebrachten Modulen ein ideales Klima für unerwünscht hohen Bewuchs, was zur Verschattung der Photovoltaikanlage führt.
Die Begrünung auf den Dächern fördert die Biodiversität und verbessert die Luftqualität. Denn Pflanzen produzieren Sauerstoff und binden Staub und Kohlenmonoxid. Wie lässt sich das moderne Dach mit den Ansprüchen der Dachbegrünung verbinden?
Boris Jaus: Die Nutzung von Dächern ist vielfältiger geworden: Begrünt fördern sie die Artenvielfalt, speichern Wasser, werden begehbar zu Wohlfühloasen und mit Photovoltaikanlagen bestückt zu Energieproduzenten. Unverändert ist, dass begrünte Dächer und gut gewartete Dächer eine längere Lebensdauer haben.
Auf Flachdächern wird es zur Vorschrift, auch Photovoltaikanlagen zu platzieren. Wie vertragen sich diese mit einer Dachbegrünung?
Erneuerbare Energien sind aus unserem Energiemix nicht mehr wegzudenken und als eine der vier Säulen ein wichtiges Ziel in der Energiestrategie 2050. Es können fossile Ressourcen geschont und emissionsarme Energie gewonnen werden. Dachflächen sind ideale Standorte für Solaranlagen. Speziell Dächer von Industrie- und Gewerbegebäuden bieten meist nahezu ideale Bedingungen für die Installation von PV-Anlagen: Grosse zusammenhängende Dachflächen. Das Zusammenspiel von Dachaufbau und Photovoltaik ist die entscheidende Voraussetzung für eine sinnvolle Stromerzeugung. Wichtig sind perfekt abgestimmte Systeme für dauerhafte Energiegewinnung und Flachdach-Sicherheit. Die Synchronisation zwischen der noch zu erwartenden Lebensdauer Dach und der neuen PV-Anlage ist massgebend für den Erfolg und der langfristigen Freude an den Projekten.
Welche Probleme können entstehen?
PV-Gründächer können zu Konflikten führen. Bei einem begrünten Solardach müssen beide Systeme, also Grünfläche und Energiegewinnung, funktionieren. Und darauf muss der Unterhalt abgestimmt sein. Denn je nach ausgeführter Aufständerung der Photovoltaikanlage entsteht unter den eingebrachten Modulen ein ideales Klima für unerwünscht hohen Bewuchs, was zur Verschattung der Photovoltaikanlage führt. Dies verursacht unter Umständen eine Unterhaltsintensität, die so nicht einkalkuliert wurde. Auch ist während der PV-Installationsarbeiten darauf zu achten, dass der Flachdach- und Steildachaufbau nicht mechanisch verletzt werden. Falls doch durch herunterfallendes Werkzeug oder PV-Module der Verdacht besteht, dass eine Verletzung der Dachabdichtung entstand, sollte der Fachmann vorsorglich beigezogen werden.
Wie lassen sich diese Probleme lösen?
Ausschlaggebend für die Lebensdauer sind eine optimale Planung unter Berücksichtigen der Normen wie SIA 271 und 2062, die Wahl der richtigen Materialien, und die sorgfältige Ausführung der Abdichtungsarbeiten. Ausserdem ist die Synchronisation zwischen Dach- und Fremdgewerken essenziell für die Lebensdauer der Dachanlage. Für einen optimalen Betrieb der Dachanlage muss der Unterhalt bereits in der Planung berücksichtigt werden. Selbst bei regelmässiger Wartung werden ein Dach und seine Eindeckung nach 20 bis 30 Jahren zunehmend reparaturanfälliger und sollten regelmässig überprüft oder unterhalten werden. Der Zustand des Daches muss mindestens so gut sein, dass es eine Solaranlage während ihrer gesamten Lebensdauer tragen kann.
Gerade in der Stadt kommt es auf den Dächern zu immer mehr Nutzungskonkurrenzen. Auf Bürogebäuden oder Einkaufszentren entstehen Terrassen für Mitarbeitende oder für Restaurants. Gewinnt das Dach als Aussenfläche überhaupt an Wert, wenn man den zusätzlichen Aufwand für den Unterhalt mitrechnet?
Ein Flachdach ist vielseitig nutzbar und kann für Mensch, Flora und Fauna einen Mehrwert generieren. Das Dach der Zukunft soll ein Wellnesbereich für Mensch und Tier sein aber auch die Möglichkeit der Energiegewinnung und ökologischem Mehrwert soll Platz auf den Dächern finden. Ein gesunder Mix der verschiedenen Anforderungswünschen bringt der Liegenschaft auch einen kalkulierbaren Mehrwert.
Das Dach rückt besonders dort immer stärker in den Mittelpunkt, wo der Versiegelungsgrad hoch ist. Es stellt sich also die Frage, ob Gebiete mit weniger Begrünung am Boden vermehrt auf Gründächer setzen sollten?
Seit vielen Jahren werden zum Beispiel Flachdächer im Kanton Basel-Stadt begrünt. Neben den allseits bekannten Eigenschaften wie Regenwasserretention, Schutz der Dachhaut oder Dämmfunktionen schaffen begrünte Dächer zudem einen ökologischen Ausgleich innerhalb der intensiv genutzten städtischen Umgebung und tragen zu einem besseren Stadtklima bei. Die Begrünung ungenutzter Flachdächer wurde in der Folge ab dem Jahr 1999 in Basel-Stadt verpflichtend für sämtliche Flachdächer im kantonalen Bau- und Planungsgesetz verankert. Die Stadtbevölkerung, das Raumklima, das Kanalisationssystem, Flora und Fauna profitieren von dieser ökologischen Aufwertung der Dächer. Weitere Städte wie Zürich und Lausanne verfolgen diese Begrünungsstrategie.
Interview: Remi Buchschacher