Wohnungsmangel als Wachstumsbremse: Die Förderung der Wohnbautätigkeit dürfte zu einem wichtigen Instrument der Standortpolitik werden. Eine dynamische Bautätigkeit kann in Zukunft regionale Standortvorteile bringen.

Das Wachstum der Erwerbsbevölkerung stellt einen bedeutenden Pfeiler für das Wirtschaftswachstum dar. Dieses setzt allerdings eine entsprechende Ausweitung des Wohnraums voraus. Bisher ist die Rechnung aufgegangen: In der Dekade ab 2011 verzeichnete die Schweiz einen Anstieg der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von knapp 39 000 Personen jährlich bei zeitgleich 55 000 Baugesuchen.

Doch dieses Gleichgewicht droht nun zu kippen. Denn in den nächsten Jahren gehen die bevölkerungsstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation in Pension, während zahlenmässig kleinere Jahrgänge in die Erwerbsbevölkerung nachrücken. Die Erwerbsbevölkerung der Schweiz würde ohne Zuwanderung bis 2030 um 4 Prozent schrumpfen, wobei die Kantone Werte zwischen 1 Prozent in der Waadt bis fast 8 Prozent im Kanton Nidwalden verzeichnen. Das Wachstumspotenzial der Schweizer Wirtschaft droht als Folge fehlender Arbeitskräfte mittel- bis langfristig um 0,5 Prozentpunkte zu sinken. Soll das Beschäftigungswachstum der vergangenen Dekade hingegen gehalten werden, bräuchte es eine entsprechend hohe Zuwanderung, die den demografisch bedingten Mangel der Erwerbsbevölkerung aufwiegt. Wir schätzen, dass bis 2030 dafür 55 000 bis 60 000 Wohnungen pro Jahr entstehen müssten. Jedoch schränken derzeit sinkende Leerstände und eine rückläufige Baupipeline die Verfügbarkeit von Wohnraum für Zuzügerinnen und Zuzüger ein.

Das grösste Defizit bei der Wohnbautätigkeit lässt sich in der Genferseeregion feststellen. Dort werden aktuell nur halb so viele Wohnungen geplant, wie nötig wären, um das hohe Beschäftigungswachstum der Vergangenheit zu ermöglichen. Auch der Grossteil der wachstumsstarken Zentralschweizer Kantone und der Grossraum Zürich weisen diesbezüglich deutliche Defizite auf. Doch auch bei bisher unterdurchschnittlich wachsenden Kantonen kann sich die künftige Wohnbautätigkeit als Flaschenhals erweisen, wobei die Gründe vielfältig sind. So werden in Basel-Stadt und Schaffhausen aktuell deutlich weniger Baugesuche gestellt als in den letzten Jahren. In den Kantonen Nidwalden und Bern hingegen dominiert der Alterungseffekt der Erwerbsbevölkerung, der eine höhere Einwanderung erfordern würde.

Schlafkantone im Vorteil

Hingegen dürften die übrige Westschweiz, die Ostschweiz und das Tessin über ausreichend Wohnraum verfügen – sofern das aktuelle Niveau der Baugesuche gehalten werden kann. Die Kantone Uri und Neuenburg könnten mit der aktuell hohen Wohnbautätigkeit sogar mehr Beschäftigungswachstum erzielen. In den Kantonen mit dem grössten Wohnungsdefizit wird erwartet, dass die Wohnungsknappheit zunimmt und sich der Druck auf die Mietpreise vergrössert. Kleinere Wohnflächen sowie eine verlangsamte Haushaltsbildung wären weitere Folgen. In der Vergangenheit hat sich Wohnungsnachfrage jeweils in benachbarte Kantone verschoben. So stieg in einigen Kantonen wie Freiburg und Aargau die ansässige Erwerbsbevölkerung schneller als die Zahl der Beschäftigten. In Zukunft wird dieser Effekt aufgrund des Wohnungsdefizits jedoch deutlich schwächer ausfallen.

Wohnbau als Standortfaktor

Beschäftigungsmangel wird sich ohne Produktivitätsschub negativ auf das zukünftige Wirtschaftswachstum auswirken. Kantone mit zu wenig Wohnbautätigkeit verlieren dementsprechend an Standortqualität. Für Arbeitnehmende steigern hohe Mieten die Haushaltskosten und senken so die Wohnattraktivität. Für Firmen wird es in diesen Kantonen schwieriger, Arbeitskräfte zu finden. In Grenzkantonen können noch mehr Grenzgängerinnen und Grenzgänger das Problem der Wohnungsknappheit lindern. Doch ein höheres Verkehrsaufkommen und fiskalische Ausfälle wären die Folge. Auch eine Erhöhung der Erwerbsquote – insbesondere bei älteren Personen – kann Abhilfe schaffen und die Auswirkungen des demografischen Wandels lindern. Aktuell zeigt der Wohnbautrend in die falsche Richtung. Die Zahl der Wohnbaugesuche liegt im Durchschnitt der Kantone rund 20 Prozent tiefer als zwischen 2011 und 2021. Hinzu kommt, dass die Baubewilligungen praktisch überall länger hängig sind. Letztlich dürfte aber die Förderung der Wohnbautätigkeit zu einem wichtigen Instrument der Standortpolitik werden. Eine dynamische Bautätigkeit dürfte in Zukunft regionale Standortvorteile bringen.

Autoren: Matthias Holzhey, Economist, UBS Switzerland AG; Katharina Hofer, Economist, UBS Switzerland AG