Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat ihren Leitzins im September auf 1,0 Prozent gesenkt. Warum diese erneute Senkung?

Fredy Hasenmaile: Die Schweizer Inflation liegt bereits seit einiger Zeit wieder komfortabel im Zielband der Nationalbank von 0 bis 2 Prozent. Auch die verzögerten Effekte der zwei letztjährigen Erhöhungen des hypothekarischen Referenzzinssatzes auf die Mieten haben die Jahresveränderungsrate der Konsumentenpreise nicht wieder nach oben getrieben. Zudem planen die Schweizer Unternehmen auch für die kommenden Monate keine nennenswerten Preisanhebungen. Der Preistrend fällt damit weiterhin schwächer aus als von der SNB erwartet. Da sich gleichzeitig die erhoffte Erholung der Schweizer Industrie wegen des starken Frankens und der schwächelnden Nachfrage vor allem aus Deutschland verzögert, kann die Nationalbank den Exporteuren mit der Zinssenkung etwas mehr unter die Arme greifen. Sie verbilligt damit die Refinanzierung für die Unternehmen und stemmt sich gegen eine weitere Aufwertung des Frankens.

Sind weitere Zinssenkungen zu erwarten?

In den USA und der Eurozone ist das Leitzinsniveau nach den ersten Senkungen noch hoch, und die Geldpolitik restriktiv. In der Schweiz ist die Geldpolitik gemäss Schätzungen der SNB spätestens nach der jüngsten Senkung nicht mehr restriktiv. Der sogenannte neutrale Zins, bei dem die Zinspolitik weder preisbeschleunigend noch preisbremsend wirkt, wird von der SNB bei gut 1,0 Prozent taxiert. Ohne eine stärkere Abkühlung der Schweizer Konjunktur, die sich aktuell nicht abzeichnet, oder ohne ernsthafte Deflationssorgen, besteht damit eigentlich kein weiterer Handlungsbedarf. Im Fall einer stärker als erwarteten Abschwächung der US-Wirtschaft und einer ausbleibenden Erholung in der Eurozone kann die Nationalbank aber durchaus noch weiter mit den Zinsen nach unten gehen, insbesondere wenn es dabei zu erneutem Aufwertungsdruck auf den Franken kommt.

Kehren dann die Negativzinsen nochmals zurück?

Die Negativzinsphase nach der Pandemie ging einher mit einer ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), mit dem Ziel, die seit der Finanzkrise schwächelnde Konjunktur der Eurozone wieder auf die Beine zu bringen und die chronisch niedrige Inflation anzuheben. Dies bedeutete einen Daueraufwertungsdruck auf den Franken und zwang die SNB zu Negativzinsen, um die Attraktivität der Währung zu senken. Seitdem hat sich jedoch vor allem der Arbeitsmarkt in der Eurozone nachhaltig erholt. Die Arbeitslosigkeit ist rekordtief, was über höhere Lohnabschlüsse zu einem stärkeren inländischen Preisdruck beiträgt. Dies spricht grundsätzlich gegen allzu aggressive Zinssenkungen der europäischen Währungshüter, geschweige denn für Negativzinsen. Dafür bräuchte es ein Einknicken der Konjunktur. Aktuell ist aber ein verhaltenes Wachstum angezeigt.

Lukas Müller, Director Real Estate Financing Loanboox

«Die SNB setzt mit der Zinssenkung um 0.25% ein Signal für Stabilität im Umfeld einer sich abflachenden Inflation und des weiterhin starken Franken. Mit diesem Schritt wird die Exportwirtschaft gestützt und einer möglichen konjunkturellen Abschwächung vorgebeugt. Auch für die Immobilienwirtschaft ist der Zinsschritt positiv: Der Druck auf die Diskontsätze nimmt ab und die Zinskosten für Fremdkapital sinken. Dies sollte sich insgesamt positiv auf die Bewertungen auswirken.»

MoneyPark

Um ein halbes Prozent sind die Zinsen für Festhypotheken in den letzten drei Monaten gesunken. Einen derart ausgeprägten Zinsrückgang hatte kaum jemand erwartet. Enttäuschende wirtschaftliche Indikatoren, insb. wiedererwachte Rezessionssorgen in den USA, liessen die Kapitalmarktzinsen purzeln. Seit Ende Juli notiert der Richtsatz (Marktdurchschnitt von über 100 Banken, Versicherungen und Pensionskassen) der zehnjährigen Laufzeit tiefer als der Richtsatz von Saron-Hypotheken und lag Ende August erstmals seit April 2022 wieder unter der Zwei-Prozent-Marke. Die Zinskurve zeigt sich weiterhin äusserst flach, sprich die Zinsunterschiede zwischen den unterschiedlichen Laufzeiten sind gering.

Bis Ende Jahr erwarten die meisten Hypothekaranbieter weiter sinkende Zinsen, insb. bei den kurzen und mittleren Laufzeiten. Bei den längeren Laufzeiten ist das Bild nicht eindeutig. Generell dürfte die Zinskurve gemäss den Befragten aber wieder steiler werden, sprich die Zinsdifferenz zwischen den unterschiedlichen Laufzeiten dürfte zunehmen. Fürs erste Quartal 2025 werden dann eher stabile Zinsen erwartet, wobei immer noch rund ein Drittel der befragten weiteres Abwärtspotenzial bei kurzfristigen Laufzeiten sieht und eine knappe Hälfte höhere Zinsen bei langfristigen Festhypotheken erwartet.

Burak Er, Avobis

In seiner letzten Sitzung entschied sich Thomas Jordan für eine Zinssenkung um nur 25 Bps, bevor er die Leitung an seinen Nachfolger übergab. Aus unserer Sicht wäre ein Schritt von 50 Bps vorzuziehen gewesen. Im Folgenden erläutern wir unsere Argumente dafür.

Der Leitzins beeinflusst primär das kurze Ende der Zinskurve, während sein Einfluss auf mittlere und lange Laufzeiten deutlich geringer ist. In diesen Bereichen dominieren geldpolitische Erwartungen, Inflationserwartungen und Konjunkturaussichten. Da der Markt Zweifel daran hat, dass die SNB den Leitzins langfristig restriktiv halten wird, sind zukünftige Zinssenkungen nach der Zinspause im September 2023 bereits stark eingepreist. Dies zeigt sich im Rückgang der Term-Spreads, die bis zum heutigen Entscheid selbst für längere Laufzeiten fast -70 Bps erreicht haben. Infolgedessen sind die Zinssätze im mittleren und langen Bereich bereits stark gesunken und gelten seit einiger Zeit nicht mehr als restriktiv, während der Leitzins die kurzfristigen Zinsen künstlich hochgehalten hat. Eine Zinssenkung von 50 Bps hätte den SARON an die langfristigen Zinssätze angeglichen.

Trotz der frühzeitigen geldpolitischen Massnahmen der SNB hat der Schweizer Franken seit dem 1. Quartal dieses Jahres nominal gegenüber den wichtigsten Währungen deutlich zugelegt. Neben den soliden Fundamentaldaten der Schweizer Wirtschaft fungiert der Franken in der aktuellen makroökonomischen Lage verstärkt als sicherer Hafen. Dies zeigt sich in der positiven Korrelation zwischen dem Franken und Gold. Investoren, die in Zeiten erhöhter Marktvolatilität auf den Franken setzen, profitieren zusätzlich von den durch den Leitzins hochgehaltenen Geldmarktsätzen. Die heutige Zinssenkung wird die Attraktivität des Franken als sicherer Hafen jedoch voraussichtlich kaum mindern, und eine weitere Aufwertung bis zur nächsten Sitzung ist nicht auszuschliessen.

Das Risiko einer verstärkten Disinflation in der Schweiz nimmt zu, wie die neue Inflationsprognose der SNB zeigt. Die Importpreise verzeichnen fast jährlich einen Rückgang von 1.9%, was auf sinkende Rohstoffpreise und den stärkeren Franken zurückzuführen ist. Der aktuelle Inflationswert von 1.06% wird zu einem grossen Teil vom Mietpreisindex beeinflusst. Mit der erwarteten Senkung des hypothekarischen Referenzzinssatzes bis spätestens März 2025 dürften in diesem Bereich weitere disinflationäre Effekte eintreten. Eine Rückkehr zu niedriger Inflation und einem starken Franken, ähnlich wie vor der Pandemie, wird damit zunehmend wahrscheinlich. Da derzeit keine Anzeichen für umfangreiche Interventionen am Devisenmarkt gegen einen starken Franken erkennbar sind und solche Massnahmen in der Regel nur dann den grössten Effekt entfalten, wenn die Zinsen nahe der Untergrenze liegen, wäre es aus unserer Sicht optimal gewesen, den vorhandenen Spielraum für eine Zinssenkung um 50 Bps bei dieser Entscheidung auszuschöpfen.

Trotzdem bewerten wir die Lagebeurteilung insgesamt positiv, da die SNB offenbar einen vorsichtigen Ansatz verfolgt und keine übereilten Entscheidungen treffen möchte, insbesondere angesichts der aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten. Wir sehen zwei weitere Zinssenkungen um jeweils 25 Bps im Dezember und März als unser Basisszenario an.

UBS Switzerland AG

Unabhängig von der Zinsentwicklung dürften die Angebotsmieten 2025 nochmals deutlich zulegen, und zwar um 3 Prozent. Dies hält trotz sinkenden Referenzzinssatzes die Mietpreisteuerung im Wohnungsbestand hoch. Wir rechnen für 2025 mit einem Anstieg der Bestandsmieten um knapp 2 Prozent (2024: 3 Prozent). Mehrfamilienhäuser dürften sich in den nächsten Quartalen im tiefen einstelligen Prozentbereich verteuern. Treiber der Preisentwicklung werden jedoch die steigenden Mieten und nicht die Zinsen sein. Die Renditen sind zwar weiterhin relativ tief im Vergleich zum Zinsniveau. Dennoch erwarten wir eine klare Belebung am Transaktionsmarkt und mehr Nachfrage von institutionellen Investoren.

Günstigere Hypotheken reduzieren die laufenden Kosten der Immobiliengesellschaften und wirken sich positiv auf die Ausschüttungen aus. Niedrigere Zinsen unterstützen zudem die Liegenschaftsbewertungen. Dies dürfte die Nachfrage nach Immobilientiteln an der Börse verstärken. Angesichts zahlreicher Kapitalerhöhungen dürften die Kurse bis Ende Jahr aber nur leicht zulegen.