«Es gibt in der Schweiz aktuell genügend Mietwohnfläche für alle. Sie ist nur nicht richtig verteilt», sagt Fredy Hasenmaile, Chefökonom bei Raiffeisen Schweiz. Mit dieser und weiteren Aussagen provoziert er eine Diskussion, die angesichts der Wohnungsknappheit kontrovers geführt wird. Zudem würden die Langzeitfolgen von Gesetzen und Regulierungen zu wenig gut bedacht.
«Die Schweiz schlittert ungebremst in eine Wohnungsknappheit», schrieben Sie in einer der neusten Ausgaben der Raiffeisen Immobilien-Studie. Noch immer werde die Situation für Wahlkampf und allerlei Partikularinteressen missbraucht und die Einsicht, dass allein der Bau von Wohnungen das Problem effektiv mildern könne, sei noch nicht vorhanden. Was ist zu tun?
Fredy Hasenmaile: Kurzfristig hilft nur, so viele Bauhemmnisse wie möglich aus dem Weg zu räumen und damit eine Bauoffensive anzustossen. Dabei sollen Wohnungen vor allem im bereits überbauten Gebiet entstehen, zum Beispiel durch Aufstockungen. Wir können das Mietpreiswachstum nur dämpfen und so den Mietern helfen, wenn mehr Wohnungen erstellt werden. Auch das dürfte jedoch Jahre dauern.
Also gibt es keine kurzfristigen Lösungen.
Langfristig müssen wir die Fehlanreize korrigieren, welche verhindern, dass ungenutzte Wohnflächen nicht an den Markt zurückgegeben werden (siehe unsere Immobilienstudie vom 1. Quartal 2024). Haushalte, die über zu viel Wohnraum verfügen, haben keine Anreize in eine kleinere Wohnung zu wechseln. So vergeuden wir wertvollen Wohnraum.
Sie sprechen auch von einer grotesken Fehlallokation von Wohnfläche. Was meinen Sie damit?
Es gibt in der Schweiz aktuell genügend Mietwohnfläche für alle. Sie ist nur nicht richtig verteilt. Wenn man als Mass für eine ausreichende Zuordnung von Wohnfläche zu Haushalten davon ausgeht, dass ein Haushalt eine Mietwohnung haben sollte mit einem Zimmer mehr als Personen im Haushalt leben, dann ist mit dem vorhandenen Wohnflächenangebot eine solche Verteilung für alle Haushalte möglich. Die Wohnungsknappheit wäre beseitigt und es würden erst noch 170’000 Mietwohnungen übrig bleiben für künftiges Nachfragewachstum. Wir müssten also nicht eine einzige neue Wohnung bauen, was auch aus ökologischer Warte zu begrüssen wäre. In dieser Berechnung haben wir das zusätzliche Optimierungspotenzial auf dem Wohneigentumsmarkt noch nicht mal miteingerechnet.
Das Thema Bestandesmiete und Neumiete kristallisiert sich als Brennpunkt bei der Diskussion um die Berechnung der Rendite heraus. Welche Probleme prallen hier aufeinander?
Ganz grundsätzlich liegt das Problem darin, dass wir die Langzeitfolgen von Gesetzen und Regulierungen zu wenig bedenken. Das Mietrecht ist ein gutes Beispiel dafür. Es schützt den Mieter nach Vertragsabschluss davor, dass der Vermieter die Miete ungebührlich heraufsetzen kann. So weit so gut. In der Praxis führt die gewählte Regelung aber über die Zeit zu einem Auseinanderklaffen von Bestandsmieten und Neumieten. Mit der Folge, dass jeder Mieter, der nur einige Jahre in seiner Mietwohnung lebt, keinen Anreiz mehr hat, seine Wohnung für eine andere zu verlassen. Auch nicht für eine kleinere. Dadurch verschwenden wir in groteskem Ausmass Wohnfläche.
Viele vor allem ältere Menschen leben in zu grossen Wohnungen. Sie können sich oft nicht für eine Verkleinerung der Wohnfläche entscheiden. Wie lassen sich Menschen in zu grossen Wohnungen davon überzeugen, in kleinere aber teurere zu wechseln?
Solange die finanziellen Fehlanreize fortbestehen, wird es schwierig. Zwang wollen wir ja nicht ausüben. Daher müssen wir als erstes verhindern, dass die Schere zwischen Bestandsmieten und Neumieten noch weiter aufgeht. Ansonsten kreieren wir laufend weitere solche Lock-in-Haushalte, die nicht mehr wechseln wollen.
Würden alle Mietwohnungen bloss ein Zimmer mehr umfassen als Personen im Haushalt leben, liesse sich ein «idealer» Flächenverbrauch von rund 38 qm pro Kopf ableiten, haben Sie in Ihrer Studie ausgerechnet. Müssen in Zukunft also kleinere, dafür mehr Wohnungen gebaut werden?
Ja, diese Entwicklung findet bereits statt, denn die durchschnittliche Haushaltsgrösse nimmt schon seit viele Jahren ab. Der Markt hat darauf reagiert und erstellt deutlich mehr 2.5 und 3.5-Zimmer-Wohnungen.
Von Seiten der Wohnungsproduzenten sinkt die Bereitschaft, die immer sichtbarer werdenden Knappheitserscheinungen auszugleichen. Sind die Investitionsperspektiven zu gering?
Offensichtlich. Beispielsweise konnten wir zeigen, dass sich die Privaten Haushalte immer mehr aus der Bautätigkeit zurückziehen. Lag deren Anteil an der Wohnbautätigkeit im Jahre 2001 noch bei knapp 40 Prozent ist er heute auf unter 20 Prozent gesunken. Die Flut an neuen Bestimmungen und Regulierungen sowie eine wachsende Rechtsunsicherheit hat den nicht professionellen Bauherren das Bauen vergällt.
Im Stabilitätsbericht bezeichnet die SNB den Markt für Renditeobjekte als den risikoreichsten. Sie sieht die Verwundbarkeit nicht bei den Einfamilienhäusern oder Eigentumswohnungen. Traut sie den institutionellen Investoren und vermögenden Privatpersonen nicht zu, die Marktrisiken richtig einzuschätzen?
Die SNB warnt bereits seit 14 Jahren vor Immobilienrisiken. Mit der Folge, dass künftig berechtigte Warnungen der SNB nicht mehr ernst genommen werden. Die Ängste aus der Immobilienkrise der 90er-Jahre scheinen bei der SNB noch immer nachzuwirken. Mittlerweile haben wir jedoch eine der strengsten Regulierungen weltweit. Dabei können die Preise in derart ausgeprägten Knappheitssituationen, wie wir sie heute haben, gar nicht gross korrigieren.
Müsste hier der Staat vermehrt eingreifen via Förderung der Genossenschaften?
Wir haben auf dem Wohnimmobilienmarkt zu viele Staatseingriffe, die uns das Malaise der Wohnungsknappheit eingebrockt haben. Ich verstehe die Logik nicht, wie man in einer solchen Situation nach noch mehr Staatseingriffen rufen kann. Förderungen sind Subventionen, die ihre Ziele selten erreichen und darüber hinaus keine Kostenwahrheit schaffen. Wenn der Staat die Rahmenbedingungen richtig setzt, werden ausreichend Wohnungen von allen Akteuren gebaut, darunter auch Genossenschaften.
Auflagen und Bauteuerung führen dazu, dass viel zu wenig saniert wird. In Basel zum Beispiel müssen Sanierungsprojekte sogar einer Wohnschutzkommission vorgelegt werden, die über die erzielbare Rendite entscheidet. Können die Klimaziele überhaupt noch erreicht werden?
Basel ist eine traurige Geschichte. In Genf können wir beobachten, dass mehr Regulierung nicht die Lösung ist, sondern die Situation verschlimmert. In Genf wird noch weniger gebaut als anderswo, und noch weniger saniert, womit letztlich auch die Klimaziele nicht erreichbar sind. Die Mietpreisschere ist nirgendwo in der Schweiz grösser als in Genf. Anstelle die Mietpreisschere zu reduzieren haben die umfangreichen regulatorischen Massnahmen gegen Mietpreiserhöhungen bei Wiedervermietungen in Genf das Gegenteil bewirkt. Nun glaubt Basel, dass es am Rheinknie anders herauskommt. Wie sagte doch Einstein: immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten, ist die Definition von Wahnsinn.
Fredy Hasenmaile ist Chefökonom von Raiffeisen Schweiz
Podiumsgespräch am 25. September 2024
Einsprachen, Bauteuerung, politische Vorstösse: Der Wind ist für Immobilienentwickler rauer geworden – trotz andauernder Wohnungsknappheit. Wie können private und institutionelle Investoren heutzutage noch erfolgreich Immobilien entwickeln? Was kann gegen Einsprachen unternommen werden? Wie sind die aktuellen Gesetze zu bewerten? Wir beleuchten am Podium die aktuelle Praxis und zeigen Wege auf, wie Bauherren in diesem komplexen Umfeld bestehen können.
Referenten: Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz; Sennen Kauz, Head Transactions & Development – Real Estate Switzerland, Swiss Life Asset Managers AG; David Belart, Head Development & ESG Avobis; Christian Eichenberger, Partner Walder Wyss Rechtsanwälte; Moderation: Remi Buchschacher, Redaktionsleiter GreenEstateReport.
Das Podium findet in den Räumlichkeiten von Walder Wyss AG an der Seefeldstrasse 123 in 8008 Zürich statt.
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