Immobilienwertungen haben sich noch nicht vollständig an das Ende der Negativzinsära angepasst. Aktuell werden Immobilien höher bewertet als noh vor zehn Jahren.

Das Ende der Negativzinsära ist praktisch spurlos an den Immobilienbewertungen vorbeigegangen. Gemäss MSCI stagnierten die Liegenschaftswerte im Wohn- und Bürosegment in den letzten beiden Jahren. Sowohl das aktuelle Zinsniveau als auch die mittelfristigen Inflationserwartungen sind vergleichbar mit den Werten der Jahre 2012 bis 2014. Dennoch liegen derzeit die realen Diskontierungssätze, die für die Bewertung entscheidend sind, teils mehr als einen Prozentpunkt tiefer als damals.

Daten von REIDA, die es ermöglichen, ein konstantes Portfolio von rund 1000 Renditeliegenschaften über längere Zeit zu verfolgen, bestätigen diesen Trend. Über alle Nutzungsarten und Preissegmente hinweg liegen die Bruttorenditen heute um rund einen Prozentpunkt tiefer als noch 2014. Mieteinnahmen bei Wohnimmobilien wurden damit im vergangenen Jahr im Median um 26 Prozent und bei Geschäftsflächen um 12 Prozent höher bewertet als noch 2014. Auch im Vergleich zu den aktuellen Renditen langfristiger Schweizer Anleihen sind die über Jahre stetig gesunkenen Renditen tendenziell zu tief: Während der Spread zwischen Bruttorendite und der Verzinsung der Schweizer Anleihen vor zehn Jahren rund 4 Prozent betrug, liegt er heute bei 2,5 bis 3 Prozent.

Fahren auf Sicht

Portfoliobewertungen in der Schweiz reflektieren selten den aktuellen Marktwert. Denn Kapitalwertveränderungen von Immobilienportfolios werden in der Schweizer Bewertungspraxis generell stark geglättet. Entsprechend ist auch die Volatilität der Kapitalwertveränderung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich niedriger. Die starke Veränderung der Fundamentalfaktoren in den letzten beiden Jahren stellt eine Herausforderung für Bewertungen dar. Einerseits setzt das Ende des Negativzinsumfelds ab 2022 Fragezeichen hinter die Höhe der Diskontierungssätze. Die Wohnungsknappheit verbessert aber das Steigerungspotenzial der Mieten bei Wohnliegenschaften. Zudem besteht grosse Unsicherheit über den zukünftigen Bedarf an Büroflächen. Diese Unsicherheiten schaffen sowohl für Eigentümer als auch für die Bewertungsfirmen Anreize, die weitere wirtschaftliche Entwicklung abzuwarten und die Bewertungen nur graduell anzupassen.

Wenig repräsentativer Transaktionsmarkt

Die Anzahl der Immobilientransaktionen ist als Folge dieser Unsicherheiten gesunken, was die Preisfindung erschwert. Angesichts stabiler Mieteinnahmen und insgesamt moderater Finanzierungskosten besteht kein Verkaufsdruck auf dem Schweizer Immobilienmarkt. Daher kommen primär Transaktionen zustande, bei denen die Zahlungsbereitschaft der Käuferseite im Vergleich zu 2021 nicht signifikant gesunken war. Beispiele sind Mehrfamilienhäuser in den Agglomerationen oder moderne Bürogebäude in den Innenstädten. Dort dürfte die Zahlungsbereitschaft für Immobilien generell höher liegen als noch vor zehn Jahren. Transaktionspreisindizes haben dementsprechend an Aussagekraft für die Entwicklung am Gesamtmarkt eingebüsst und zeichnen zurzeit je nach zugrunde liegendem Portfolio ein sehr unterschiedliches Bild.

Vereinfacht gesagt leitet sich der Immobilienwert aus den Erwartungen hinsichtlich der Miet- und Zinsentwicklung ab. Während höhere erwartete Mieteinnahmen den Wert einer Liegenschaft steigern, reduzieren höhere Zinsen die Bewertungen. Die Matrix zeigt die Abweichung des theoretischen Werts von der aktuellen Bewertung unter Annahme konstanter Risikoprämien. Die Höhe der Abweichung ist abhängig von der erwarteten Miet- und Zinsentwicklung der nächsten zehn Jahre.

Wohnrenditeliegenschaften

Die Wohnungsknappheit lässt sowohl die Angebots- als auch Bestandesmieten überdurchschnittlich steigen. Für die nächsten zehn Jahre erwarten wir, dass die Mieten im Durchschnitt nominal zwischen 2 und 2,5 Prozent pro Jahr zulegen werden. Bei langfristigen Zinsen von unter 1 Prozent wären die Bewertungen von Mehrfamilienhäusern im Marktdurchschnitt damit fair bewertet.

Geschäftsflächen

Bei Geschäftsliegenschaften – insbesondere bei Büroflächen – sind deutlich schwächere Mietsteigerungen zu erwarten. Obwohl an Toplagen die Perspektiven intakt sind, stellen Homeoffice und der Leerstand in der Peripherie real steigende Mieten in Frage. Gelingt langfristig der Inflationsausgleich und die Mieten steigen um etwa 1 Prozent pro Jahr, sind die Werte von Büroliegenschaften aber dennoch rund 10 bis 15 Prozent zu hoch. Damit die aktuellen Bewertungen als fair eingestuft werden könnten, müssten die langfristigen Zinserwartungen auf 0 Prozent fallen.

Im historischen Vergleich hoch

Die Bewertungen im Marktdurchschnitt sind insgesamt im historischen Vergleich hoch. Die starke Zuwanderung, die geringe Neubautätigkeit in allen Segmenten und die gute Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz können zwar als Erklärung für gesunkene Risikoprämien dienen. Der Zinsanstieg der letzten beiden Jahre hat aber dennoch einen Keil zwischen Bewertungen und Marktwert getrieben.

Gerade auf dem Geschäftsflächenmarkt dürfte die Realität am Transaktionsmarkt je nach Segment und Lage stark von den Bewertungen abweichen. So ist die Nachfrage nach Geschäftsliegenschaften mittlerer und geringer Qualität deutlich gesunken. Insbesondere B-Lagen werden wenig gehandelt, weil die Zahlungsbereitschaft potenzieller Käufer durch die erhöhte Risikoaversion gesunken ist und die Eigentümer vorerst an ihren Preisvorstellungen festhalten.

Autoren: Matthias Holzhey, Economist, UBS Switzerland AG; Fabian Waltert, Economist, UBS AG; Maciej Skoczek, CFA, CAIA, Economist, UBS Switzerland AG