Die anhaltend starke Zuwanderung aus dem EU-Raum hält die Wohnungsnachfrage in der Schweiz auf hohem Niveau. Besonders spürbar ist dies auf den Wohnungsmärkten der Städte Zürich, Bern, Basel, Lausanne und Genf: In den Jahren 2020 bis 2022 waren die fünf Grosszentren netto betrachtet das Ziel von 29 Prozent aller Zuzüger aus dem Ausland – obwohl auf diese Städte nur rund 12 Prozent der hiesigen Wohnbevölkerung entfallen.
Haushalte verlassen die Zentren vermehrt
Gleichzeitig haben seit Beginn der Coronapandemie deutlich mehr Haushalte als in den Jahren zuvor die Zentren für andere Schweizer Gemeinden verlassen. Per saldo verzeichneten die fünf Grosszentren in den Jahren 2020 bis 2022 eine jährliche Binnenabwanderung von rund 15 000 Personen – der höchste Wert der vergangenen 40 Jahre. In den Städten Zürich, Bern und Genf wanderten netto jährlich drei- bis viermal mehr Personen ab als in den zehn Jahren zuvor. Diese verstärkte Binnenabwanderung aus den Zentren erhöhte die Wohnungsnachfrage in sämtlichen anderen Gemeindetypen, am deutlichsten in den suburbanen Agglomerationsgemeinden. Aus diesen zogen jedoch wiederum vermehrt Haushalte in Gemeinden an den Agglomerationsrändern, aber auch in Klein- und Mittelzentren sowie in ländliche Gemeinden. Insgesamt verzeichneten Letztere nach den Agglomerationsgemeinden am zweitmeisten zusätzliche Haushalte.
Tiefere Wohnkosten
Für die vermehrte Binnenabwanderung aus den Grosszentren gibt es drei wesentliche Treiber. Erstens ist mit der stärkeren Verbreitung des ortsunabhängigen Arbeitens die Bereitschaft der Haushalte gestiegen, eine längere Pendeldistanz zum Arbeitsort in Kauf zu nehmen. Zweitens ist der Traum von Eigenheim bei der Schweizer Bevölkerung nach wie vor weit verbreitet und hat gerade in den Pandemiejahren neuen Schub erhalten. Gleichzeitig lässt sich dieser Traum für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung weder in einer Stadt noch in ihren attraktivsten Agglomerationsgemeinden realisieren. Drittens hat das Mietpreisgefälle zwischen den Grosszentren und ihrem Umland weiter zugenommen, sodass sich bei einem Wegzug (beziehungsweise beim Verzicht auf einen Zuzug) grössere Mieteinsparungen realisieren lassen. In vielen Zentren ist das Wohnungsangebot bereits seit Jahren knapp, während ausserhalb erst in den letzten drei Jahren Verknappungstendenzen auszumachen waren.
Im Mittel lagen 2013 die Angebotsmieten innerhalb des Radius von 10 Minuten Fahrzeit noch 11 Prozent tiefer als in der Kernstadt. 2023 betrug dieser Abschlag bereits 16 Prozent. Besonders ausgeprägt ist das Mietpreisgefälle im Raum Zürich. In Gemeinden innerhalb von 10 Fahrminuten ab der Kantonshauptstadt sind die Angebotsmieten im Mittel gut 20 Prozent günstiger als im Zentrum. Ab 20 Fahrminuten vergrössert sich dieser Mietpreisabschlag auf rund ein Drittel, ab 60 Minuten auf die Hälfte. In den Einzugsgemeinden der übrigen Grosszentren fallen die Abschläge geringer aus: Bei 20 Minuten Fahrzeit 5 Prozent in Lausanne und 11 Prozent in Basel.
Haushalte zieht es in günstigere Wohngemeinden
Tatsächlich zeigt eine Analyse der Binnenwanderungssaldos zwischen den Gemeinden, dass es die Haushalte vermehrt in günstigere Gemeinden zieht beziehungsweise dass der Umzug in teurere Gemeinden vermieden wird. 2017 führten 56 Prozent aller interkommunalen Umzüge in Gemeinden mit tieferen Angebotsmieten als der Herkunftsgemeinde. 2022 waren dies per saldo bereits 61 Prozent aller Wanderungsbewegungen. Dass dieser Effekt nicht noch stärker ausfällt, dürfte dem Mietrecht geschuldet sein. Viele langjährige Mieter wohnen in den Zentren zu Mietpreisen, die teilweise massiv unter den Marktmieten – selbst im Vergleich zu Agglomerationsgemeinden – liegen.
Die in absoluten Zahlen grössten Wanderungsbewegungen gehen von den Grosszentren aus. So zogen per saldo in den Jahren 2020 bis 2022 über 1000 Personen von Bern nach Köniz (BE), sowie von Zürich nach Schlieren (ZH) und Dübendorf (ZH) – alles Gemeinden mit weniger als einer Viertelstunde Fahrzeit von den jeweiligen Grosszentren, die ihren Wohnungsbestand in den letzten Jahren stark ausgeweitet haben. Gleichzeitig lagen 2022 die Angebotsmieten deutlich unter dem Niveau der Kernstadt (27 Prozent im Fall der beiden Zürcher Vororte). Der Preis einer Eigentumswohnung lag in Schlieren gar 38 Prozent unterhalb des Stadtzürcher Niveaus.
Umland gewinnt gegenüber Zentren an Attraktivität
Aufgrund der anhaltend starken Zuwanderung aus dem Ausland und der bisher ausgebliebenen Reaktion des Wohnungsbaus rechnet die UBS auch für die nächsten Jahre mit starken Nettowanderungsströmen aus den Kernstädten hinaus. Gleichzeitig haben sich aus Investorensicht die Risiken in den Agglomerationsgürteln und gut erschlossenen ländlichen Gemeinden in den letzten Jahren merklich verringert. Dies zeigt sich etwa im Gefälle der Leerstände zwischen den Agglomerationskernen und ihrem Umland, das stark abgenommen hat. Dieser Umstand dürfte noch nicht vollständig in den Risikoprämien für Mehrfamilienhäuser ausserhalb der Agglomerationskerne eingepreist sein.
Zum gesunkenen Leerstandsrisiko kommen in vielen Fällen ein im Vergleich zu den Zentren geringeres regulatorisches Risiko sowie tiefere Transaktionskosten bei der Projektentwicklung und bei Sanierungen hinzu. Dennoch konzentrieren sich gerade institutionelle Anlegerinnen und Anleger noch immer stark auf die Kernstädte. Gemäss REIDA, einem Datenpool hiesiger institutioneller Immobilienanleger, entfallen insgesamt 27 Prozent der Wohneinheiten in den Portfolios auf die fünf Grosszentren. Diese repräsentieren jedoch nur schätzungsweise 19 Prozent des gesamten Schweizer Mietwohnungsbestands und lediglich einen Anteil von knapp 5 Prozent am Bevölkerungswachstum der Jahre 2020 bis 2022. In den nächsten Jahren dürften sich Investoren entsprechend verstärkt dem Umland zuwenden, das gegenüber den Kernstädten weiter an Attraktivität gewinnen wird. Im Fokus dürften auch gut erschlossene Gemeinden jenseits der Kantonsgrenzen der Zentren liegen, etwa in Kantonen wie Basel-Landschaft, Aargau oder Thurgau.
Autor: Fabian Waltert, Economist, UBS Switzerland AG