Den Bestand erhalten und sanieren, allenfalls erweitern und umbauen – in Zukunft sollte der Fokus darauf liegen, verstärkt den Bestand zu erhalten und allenfalls punktuell zu verdichten und fit für die Zukunft zu machen, sagt Regula Küng, Fachstellenleiterin Wohnraumentwicklung Kanton Basel-Stadt. Der Kanton plant dafür begleitende Massnahmen für ältere Menschen beim Umzug in kleinere Wohnungen.
Der grösste Teil der Schweizer Immobilien ist älter als 40 Jahre, rund 1.5 Millionen Gebäude sind energetisch dringend sanierungsbedürftig. Wie hoch ist der Sanierungsbedarf bei Schweizer Immobilien wirklich?
Regula Küng: Der Gebäudebestand ist in der Tat in die Jahre gekommen. Besonders vor dem Hintergrund der Klimakrise kann man davon ausgehen, dass etwa zwei Drittel der Bestandsgebäude saniert werden müssten. Sanierungen sind vor allem in energetischer Hinsicht, aber auch zur Anpassung an heutige Wohnbedürfnisse nötig. Ich denke da vor allem an den demografischen Wandel und die Bedürfnisse älterer Menschen.
Sind Ersatzneubauten nachhaltiger, als der Erhalt bestehender Gebäude?
Vom ökologischen Standpunkt gesehen ist das Gegenteil der Fall. Betrachtet man den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, wird der Grossteil der Energie für das Bauen aufgewendet und nicht für den Betrieb, es handelt sich dabei um die sogenannte Graue Energie. Wir sollten also vor allem den Bestand erhalten und sanieren, allenfalls erweitern und umbauen.
Die Sanierungsquote ist tief: Aktuell liegt sie bei nur rund einem Prozent jährlich. Es würde also 100 Jahre dauern, bis in der Schweiz alle Gebäude einen langfristig nachhaltigen Standard erreicht hätten. Wie kann der Sanierungsstau gelöst werden?
In der Tat wird bislang noch zu wenig – energetisch – saniert. Der Gebäudebestand, den das betrifft, ist enorm gross. Grundsätzlich gibt es eine Vielfalt an Massnahmen, wie finanzielle Anreize, Steuervergünstigungen, Kredite und Beratungsangebote, die denkbar wären und teilweise auch bereits existieren. Letztere könnten vor allem bei kleinen privaten Eigentümern das Fachwissen um die ökologisch und auch ökonomisch effizientesten Massnahmen fördern.
Wie geht die öffentliche Hand mit diesem Sanierungsstau und den damit entstehenden Kosten um?
Es gibt bereits eine Reihe wirksamer Massnahmen, um Sanierungen im Bestand zu fördern. Der Bund fördert beispielsweise den Bau von Photovoltaikanlagen mit Einmalvergütungen und unterstützt die Senkung des Stromverbrauchs. Im Kanton Basel-Stadt werden weitere Energiesparmassnahmen im Gebäudebereich zusätzlich unterstützt: Es können bis zu 40 Prozent der Investitionskosten für Energieeffizienzmassnahmen übernommen werden. Zusätzlich sind steuerliche Abzüge für energetische Sanierungen möglich.
Wie kommt das in der Bevölkerung an?
Im vergangenen Jahr hat sich die Stimmbevölkerung in Basel-Stadt für ein Netto-Null-Ziel bis 2037 ausgesprochen. Um das Ziel zu erreichen, erarbeitet der Kanton gegenwärtig eine Klimaschutzstrategie. Wo nötig, werden bestehende Massnahmen ergänzt oder verschärft, um die Klimaneutralität bis 2037 zu erreichen. Gleichzeitig wurden im Kanton Basel-Stadt die maximalen Mietzinsaufschläge nach baulichen Massnahmen für die Dauer von fünf Jahren begrenzt, um hohen Mietzinsaufschlägen entgegenzuwirken. In den gesetzlichen Bestimmungen zum Wohnraumschutz ist festgelegt, in welchem Umfang bauliche Massnahmen auf die Miete umgelegt werden dürfen. Ein besonderes Augenmerk wird auch auf die Nachhaltigkeit der Investitionen gelegt.
Der Druck auf die Städte nimmt zu. Um diesem gerecht zu werden, wird ein grosser Teil des Wohnungsbestandes in den nächsten Jahrzehnten durch Neubauten ersetzt. Viele Menschen goutieren das nur schlecht oder gar nicht mehr. Was kann die Stadtentwicklung tun, um diesem Druck entgegenzuwirken?
Dass Ersatzneubauten von der Bevölkerung nicht begrüsst werden, ist nachvollziehbar. Damit geht doch meistens eine deutliche Erhöhung der Mietzinse einher, da erst einmal bestehende Bausubstanz zerstört und danach teuer neu gebaut wird. Die ehemaligen Mieterinnen und Mieter müssen sich auch deshalb eine andere Bleibe suchen und oftmals das gewohnte Umfeld verlassen. Zudem verändert sich das vertraute Stadtbild auch für die nicht direkt durch den Abbruch betroffene Quartierbevölkerung.
Welche Massnahmen können wirken?
Wie schon erwähnt, sollte der Fokus in Zukunft darauf liegen, verstärkt den Bestand zu erhalten und allenfalls punktuell zu verdichten und fit für die Zukunft zu machen. Wo vorhanden, sollen Industriebrachen für das Wohnen erschlossen werden. Dies ist aktuell in Basel der Fall, wo rund 120 Hektaren Transformationsareale für das Wohnen geöffnet werden sollen. Auch hier sollen bestehende Bauten möglichst umgenutzt werden. Daneben besteht jedoch ein grosses Potenzial für Neubauten.
Das Thema Lebensqualität spielt in der Planung und im Betrieb von Arealen eine zunehmend wichtige Rolle. Wo stehen die öffentlichen und privaten Akteure in Bezug auf das Thema Lebensqualität in Arealen?
Für die Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt steht die nachhaltige Lebensqualität der Bevölkerung in der Tat an erster Stelle. So wurde für ein bedeutendes Transformationsareal in Basel kürzlich ein Städtebauliches Leitbild erarbeitet. Dabei waren die Planungsbehörden, die Eigentümer und nicht zuletzt auch die Bevölkerung bei verschiedenen Mitwirkungsanlässen aktiv involviert. Allen Akteuren ist es ein grosses Anliegen, eine hohe Lebensqualität bei der Planung von Arealen zu berücksichtigen. Die Partizipation von und der Dialog zwischen allen Beteiligten ist dabei von besonderer Bedeutung.
Wenn es um die Verdichtung geht, haben viele Menschen in den Städten Mühe. «Not in my backyard», heisst es oft. Wo liegen die Potenziale, um den Bedürfnissen dieses Themas in einzelnen Arealen gerecht zu werden?
Jede Verdichtung sollte auch mit einem Mehrwert für die Nachbarschaft verbunden sein, sei es eine begrünte Fassade, der neue Baum im Hinterhof, ein neuer Spielplatz für alle Kinder oder ein bedürfnisgerechtes neues Geschäft im Erdgeschoss. Wer das berücksichtigt und das neue Bauvorhaben offen im Vorfeld und während der Bauzeit kommuniziert, hat gute Chancen, dass das Vorhaben positiv aufgenommen wird.
Der Abriss von Bestandsbauten geht nicht selten mit dem Verlust preisgünstigen Wohnraums und einer Verdrängung der bestehenden Wohnbevölkerung einher. Unter den Folgen leiden insbesondere ältere Menschen, kinderreiche Familien und Personen mit geringem Einkommen. Wäre es ein Lösungsansatz, der Privatwirtschaft Anreize für eine höhere Dichte zu bieten, um damit sozialen Wohnungsbau mit Luxusprojekten zu finanzieren?
Sicher wäre das theoretisch denkbar. Ein ähnlicher Ansatz wird bereits in anderen Städten praktiziert, in denen bei preisgünstiger Vermietung des Gebäudes in Kostenmiete ein Ausnützungsbonus zugestanden wird. In Basel-Stadt wird jedoch von solchen Zusatzdichten abgesehen, weil bereits mit hohen Dichten geplant wird und noch höhere Dichten städtebaulich nicht verträglich wären. Deshalb ergreift der Kanton andere Massnahmen, um sicherzustellen, dass auch preisgünstiger gewinnstrebiger Wohnraum entsteht.
Was sind das für Massnahmen?
So wurde im Jahr 2018 der Richtplan um eine Bestimmung, dass bei neuen Wohnrauarealen mindestens ein Drittel der Wohnfläche für preisgünstigen Wohnraum vorgesehen werden soll, ergänzt. Darüber hinaus fördert der Kanton auf vielfältige Weise den gemeinnützigen Wohnungsbau, der langfristig preisgünstige Mietzinse sichert. Zudem wird wie erwähnt in Basel-Stadt der bestehende Wohnraum stärker geschützt, ist doch der Abbruch von Wohnraum einer zusätzlichen Bewilligungspflicht unterstellt und wird die Höhe der Mietzinsaufschläge auch bei Neubauten in den ersten fünf Jahren begrenzt.
Für viele Menschen ist das Altersheim keine Option – zu teuer, zu einsam. Dadurch werden Wohnungen gehalten, anstatt weiterzugeben.
In der Tat möchten viele ältere Menschen aus vielfältigen Gründen möglichst selbständig in ihrer gewohnten Umgebung alt werden. Dabei ist oftmals die angestammte Wohnung bezüglich Hindernisfreiheit oder Grösse nicht mehr optimal. Es zeigt sich jedoch, dass ältere Personen mit langjährigen Mietverträgen oft eine sehr günstige monatliche Miete bezahlen. Dies führt in einigen Fällen dazu, dass ältere Personen, die ihre langjährige Mietwohnung verlassen möchten oder müssen, dies nur schwerlich umsetzen können. In der Regel lassen sich nämlich im heutigen Marktumfeld wenig vergleichbare Wohnungen finden, die sich in ihrem gewohnten Mietzinsbereich bewegen.
Sollten hier Angebote geschaffen werden?
Basel-Stadt hat für alle Mieterinnen und Mieter, die das Alter von 65 Jahren erreicht haben, in kantonseigenen Wohnungen seit 2017 folgendes Angebot: Sie können in eine kleinere Wohnung aus dem Liegenschafts-Portfolio von Immobilien Basel-Stadt umziehen und damit ihren Mietzins reduzieren. Das Modell «Sicheres Wohnen im Alter» bietet den zusätzlichen Vorteil, dass die leer werdenden grösseren Wohnungen wieder an Familien vermietet werden können. Zudem befindet sich ein Angebot des Kantons im Aufbau, das ältere Personen zusätzlich bei der Wohnungssuche bei Bedarf unterstützen soll.
Interview: Remi Buchschacher
Regula Küng ist Fachstellenleiterin Wohnraumentwicklung Kanton Basel-Stadt.