Viel wichtiger als eine Vereinheitlichung von Nachhaltigkeits-Ratings sei die konsequente Kostenwahrheit, ist Sandro Sulcis, Co-CEO bei der Avobis Group AG, überzeugt. Diese sei einheitlichen Ratings vorzuziehen. Denn der wirtschaftliche Druck werde die ökologische Reform fördern.

Die Zinsentwicklung und die Inflation treiben die Immobilienmärkte immer noch stark um. Das vergangene Jahr erwies sich für Immobilienanleger als Herausforderung. Wie sehen Sie die bevorstehende Entwicklung?

Sandro Sulcis: Die Zinsentwicklung und die Inflation haben die Immobilienmärkte stark beeinflusst. 2022 war für Immobilienanleger eine Herausforderung, insbesondere aufgrund der unerwarteten Inflationsentwicklung und der eher aggressiven Haltung der Geldpolitik. Ich vermute und hoffe, dass eben diese Politik der Zentralbanken die Inflation unter Kontrolle bringen wird und dass sich das Inflationswachstum in absehbarer Zeit wieder im Zielbereich einpendelt. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass die Zinsen im Laufe des Jahres 2024 allmählich wieder sinken werden. In diesem Szenario ist es durchaus ratsam, sich jetzt Gedanken zu machen und das Immobilienportfolio entsprechend zu positionieren.

Werden sich aufgrund der steigenden Zinsen und sinkenden Aktienkurse die Agios weiter zurückbilden?

Die Kapitalmärkte sind in der Regel vorausschauend bei der Bewertung von Finanzinstrumenten und spiegeln daher schnell die aktuelle makroökonomische Lage und die Erwartungen wider. In Bezug auf die aktuelle Situation, die von steigenden Zinsen und sinkenden Aktienkursen/Agios gekennzeichnet ist, gehen wir davon aus, dass die Agios stabil bleiben. Denn für dieses Jahr erwarten wir keine erheblichen Veränderungen bei den Zinsen. Aber wie es so bei Prognosen ist: sie basieren auf der aktuellen Lage und den Erwartungen. Die Märkte können sich aber jederzeit wieder ändern.

Schwierige Zeiten bieten aber auch spannende Opportunitäten. Welche Chancen und Risiken sehen Sie 2023?

Unsicherheit im Markt bedeutet für uns als Avobis, dass der Bedarf an professioneller und fundierter Beratung sprunghaft ansteigt. Dadurch haben wir 2022 sehr viele Neukunden gewonnen, denn im neuen Zinsumfeld sind eine Finanzierung oder eine Finanzierungsstruktur eben kein Kinderspiel mehr. Wir sehen, dass die Kreditgeber im Markt ganz unterschiedlich reagieren: Es gibt einige, die Appetit haben, es gibt solche, die ihn verloren haben, es gibt jene, die ihre Zinsen erhöhen. Die Konditionen ändern sich also und deshalb ist es nicht mehr ganz einfach, eine gute Finanzierung zu finden. Wir gehen davon aus, dass auch 2023 der Markt von Unsicherheiten geprägt bleibt. Das heisst für uns, dass das Bedürfnis unserer Kundinnen und Kunden nach einem strategischen Partner wächst. Als Avobis Gruppe bilden wir die gesamte Wertschöpfungskette im Immobilienbereich ab und können deshalb in allen Bereichen unterstützen. Es geht für uns also je länger je mehr in ein partnerschaftliches Modell der Zusammenarbeit und weniger um rein punktuelle Transaktionen.

Investoren prüfen zurzeit aufgrund der steigenden Zinsen eine entsprechende Absicherung. Ist der Zeitpunkt für eine solche Absicherung nun gekommen?

Die Schweizerische Nationalbank wird den Leitzins voraussichtlich im ersten Halbjahr erneut erhöhen und er dürfte auch ins 2024 hinein erhöht bleiben. Zwar sind die langfristigen Zinsen nach dem starken Anstieg 2022 wieder gesunken, aber eine Zinswende ist aktuell nicht in Sicht. So gesehen sind die momentanen Konditionen zur Zinsabsicherung günstiger als noch vor einigen Monaten. Ausschlaggebend bei einer Absicherung sind aber immer die individuelle Ausgangslage, das Risikoprofil und die jeweiligen persönlichen Erwartungen.

Welche Möglichkeiten stehen den Kreditnehmenden dabei zur Verfügung?

Kreditnehmende können sich auf verschiedene Weise gegen steigende Zinsen absichern. Eine klassische Möglichkeit ist die Wahl einer Festhypothek. Wer eine SARON-Hypothek hat, ist unter Umständen an einem Zinsswap interessiert, bei der man variable Zahlungsströme – zum Beispiel SARON – gegen fixe eintauscht. Je nach Bedarf und Situation können auch exotischere Derivate wie Swapoptions, Caplets und Floorlets etc. zum Einsatz kommen. Ausschlaggebend ist immer die jeweilige Situation.

Die Diskontierungssätze sind 2022 im Durchschnitt von 3.30 auf 3.20 Prozent gesunken. Dieser Effekt und die positiven Mietzinserwartungen haben dazu geführt, dass sich die Immobilienbewertungen im 2022 knapp stabil halten konnten. Wann wird es bei den Diskontierungssätzen zur Korrektur kommen?

Der Diskontierungssatz ist bei der Discounted-Cashflow-Bewertung einer Immobilie neben den Mieteinnahmen der Haupttreiber für den Wert. Wenn der Diskontierungssatz steigt, sinkt der Wert einer Immobilie. Die Höhe des Diskontierungssatzes wird oft mit dem Risikokomponentenmodell ermittelt. Seit der stufenweisen Erhöhung des SNB-Leitzinses sind die Zinssätze gestiegen und der Markt geht davon aus, dass dies die Diskontierungssätze beeinflussen wird: Sie dürften je nach Lage und Qualität der Liegenschaft stagnieren oder steigen. In der Theorie führt das zu stagnierenden oder sinkenden Immobilienwerten. Dieser Effekt auf die Bewertung wird allerdings von den steigenden Mietzinserwartungen abgeschwächt oder sogar eliminiert.

Die Volatilität blieb 2022 hoch und beträgt auf Jahressicht 10.46 Prozent. Sollten Anleger nun vermehrt auf operativ starke Produkte mit höheren Dividendenausschüttungen setzen?

Die Volatilität war 2022 ein Indikator für eine gewisse Unsicherheit bei den Anlegern. Institutionelle Anleger mussten sich aufgrund der sinkenden Aktienkurse neu orientieren und ihre Anlagequoten im Auge behalten, was zu gewissen Rebalancing-Aktivitäten führte. Immobilienprodukte gelten in der Regel als ausschüttungsstark und wurden in der Phase der Negativzinsen als Bond-Ersatz angesehen. Daher sollte in der Tat die Dividendenausschüttung immer eines der wichtigsten Kriterien beim Anlageentscheid sein, denn sie ist bei gutem Management und einer geringen Fremdfinanzierungsquote wenig abhängig vom Zinsumfeld und der Bewertung.

Avobis ist in den letzten Jahren stark gewachsen, auch durch die Akquisition von Firmen. VERIT Immobilien und Rimaplan zum Beispiel begegnen den gestiegenen Anforderungen der Kunden an die Nachhaltigkeit sehr direkt. Wie gehen die beiden Firmen damit um?

Die Geschäftsfelder der beiden Firmen sind sehr unterschiedlich. Bei VERIT Immobilien in der Bewirtschaftung geht es darum, die Betriebskosten von Bestandsliegenschaften genau zu überwachen. Ein erheblicher Teil der Betriebskosten sind Energiekosten, die direkt relevant für die Nachhaltigkeit eines Immobilienportfolios sind. Dank der Digitalisierung können die verschiedenen Kostenarten und Energieträger differenziert erhoben und ausgewertet werden. VERIT Immobilien wird damit künftig in der Lage sein, automatisierte ESG-Reports für Kundenportfolios zu erstellen. Ebenso können zusammen mit den FM-Partnern Win-Win-Win-Lösungen erarbeitet werden: Niedrige Emissionen schonen die Umwelt und dank der Senkung der Nebenkosten das Portemonnaie der Mietenden und erhöhen den potenziellen Nettoertrag auf der Eigentümerseite. Rimaplan konnte als Projektentwickler in der Vergangenheit viel Erfahrungen im nachhaltigen Bauen sammeln, insbesondere auch bei der Anwendung des SNBS-Standards.

Können Sie Beispiele nennen?

Bei VERIT Immobilien arbeiten wir an der vollständigen Digitalisierung, um dadurch den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Konkret teilen wir die Liegenschaften und Standorte so zu, dass die Fahrtwege verkürzt werden und berücksichtigen hauptsächlich regionale Unternehmen für Facility-Management- und Bauleistungen. Rimaplan realisiert aktuell eine Projektentwicklung in Dällikon. Dort entsteht inmitten einer Logistikliegenschaft ein spezieller Grüngürtel: Diese Begrünung entlang der Fassade und des Daches hat eine wichtige ökologische Funktion und unterstützt gleichzeitig die ortsbauliche Einbettung des Neubaus.

In der Schweiz sind Gebäude für rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und für rund einen Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich. Die Umsetzung von Netto-Null ist eine Mammutaufgabe – wie wichtig wären einheitliche, vergleichbare und sinnvolle ESG-Ratings für Immobilienanlagen?

Die Vielfalt der Ratings im Bereich Nachhaltigkeit ist hoch, aber mittlerweile gibt es in vielen Bereichen des Bauens einheitliche Normen. Viel wichtiger als eine Vereinheitlichung von Ratings ist aus unserer Sicht die konsequente Kostenwahrheit. Die wissenschaftlich hergeleiteten Kosten des CO2-Fussabdruckes müssen bei jedem Produkt im Preisschild abgebildet sein. Es sollte keinerlei Subventionen geben und Forschung muss technologieneutral in allen Bereichen stattfinden.

Wie meinen Sie das konkret?

Erneuerbare Energien sind heute bereits ein gutes Investment. Diesen Pfad kann man ökonomisch durch eine konsequente Bepreisung von fossilen Energieträgern forcieren. Im Betrieb ist zusätzlich die Graue Energie, also die im Bestand gebundenen oder durch neue bauliche Massnahmen verursachten Emissionen, ausschlaggebend. Auch hier ist Kostenwahrheit vielversprechend: Hohe Rohstoffpreise rücken den Bestand als Ressource in den Fokus. Kurz gesagt: Eine sinnvolle Eingriffstiefe ist der Schlüssel zur Modernisierung des Schweizer Gebäudeparks. Baukultur und Kreislaufwirtschaft können so unter einen Hut gebracht werden. In diesem Sinne: lieber Kostenwahrheit als einheitliche Ratings. Denn wenn der wirtschaftliche Druck die ökologische Reform fördert, schaut in Zukunft niemand mehr auf Ratings.

Sandro Sulcis ist seit 2020 Co-CEO der Avobis Gruppe. Er kam 2016 zu Avobis. Zuvor war er auf Bankenseite in den Bereichen Immobilien und Immobilienfinanzierungen tätig. Er verfügt über einen MBA und verschiedene Weiterbildungen am IMD, unter anderem einem Executive Master of Business Admisitration (EMBA).

 Über Avobis Group AG

Mit einem Volumen von CHF 14 Milliarden verwalteten Immobilien und CHF 12 Milliarden verwalteten Krediten ist die Avobis Group AG die führende Anbieterin von unabhängigen, integrierten und technologiebasierten Immobilien- und Finanzierungslösungen in der Schweiz. Die Avobis Group AG mit Sitz in Zürich blickt auf eine 25-jährige Geschichte zurück und beschäftigt rund 350 Immobilienexpertinnen und -experten und Technologie-Pioniere an 15 Standorten schweizweit.