Die Unsicherheit auf den Finanz- und Immobilienmärkten ist nach wie vor sehr gross, sagt Pascal Gantenbein, Professor für Finanzmanagement an der Universität Basel. Aufgrund der unter Druck geratenen Preise werde die Performance vorläufig weniger durch das NAV-Wachstum als durch die Dividenden getrieben sein.

Die erneute Beschleunigung des Zinsanstiegs und die Transaktionen auf dem Primärmarkt haben die Immobilienfonds weiter unter Druck gesetzt. Was ist passiert?

Prof. Pascal Gantenbein: Die Bewertungskorrektur der Immobilienfondskurse ist erstens eine Folge des Zinsanstiegs nach dem Ende der mehr als siebenjährigen Negativzinsphase. Höhere Zinsen bedeuten eine stärkere Diskontierung der Erträge sowie höhere Finanzierungskosten, sobald eine Refinanzierung ansteht. Aufgrund der kurzfristigen Finanzierung einiger Fonds sind diese Kosten relativ schnell spürbar. Beide Faktoren drücken auf die Bewertung. Zweitens ist es infolge der Korrekturen insbesondere bei den Aktien zu Anpassungen in den Portfolios gekommen. Zudem stehen Immobilienfonds in Konkurrenz zu anderen Finanzanlagen wie Bonds, die infolge des Renditeanstiegs wieder interessanter geworden sind, zumindest nominal.

Direkte Immobilienanlagen trotzen (noch) dem neuen Marktumfeld, der Transaktionsmarkt signalisiert noch keine deutliche Trendwende. Doch die Unsicherheit lässt sich im Marktstress beobachten. Wie lange wird die Zurückhaltung der Akteure noch dauern?

Es gibt aktuell gegenläufige Effekte am Markt. Einerseits sind die Bewertungen von der Zinsseite her unter Druck, auch die Nachfrage nach Renditeobjekten am Investitionsmarkt hat nachgegeben. Andererseits existiert nach wie vor eine hohe Nachfrage nach Raum am Nutzungsmarkt, vor allem im Wohnsegment. Diese ist der tiefen Wohnbautätigkeit in den letzten zwei bis drei Jahren sowie dem immer noch steigenden Raumbedarf geschuldet. Die Leerstände im Wohnungsmarkt sind daher auf historische Tiefststände gefallen, zuweilen wird von Wohnungsnot gesprochen. Kurzum: Renditeobjekte sind zwar unter Preisdruck geraten, aber gleichzeitig wird ein Ansteigen der Mieten erwartet, getrieben durch die Zinsentwicklung und die Inflation.

Der Rückgang der Agios könnte ein Hinweis auf eine bevorstehende oder bereits eingeleitete Abwertung am Immobilienmarkt sein. Wann wird die Marktkorrektur kommen?

Indirekte Immobilienanlagen haben wie viele Derivate die Eigenschaft, dass Informationen schneller verarbeitet werden als an den Basismärkten. Nicht jede Erwartung, die sich in der Bewertung indirekter Anlagen niederschlägt, muss sich dann aber auch an den Direktanlagemärkten erfüllen. Konkret: Die Bewertungen von Renditeliegenschaften sind zwar unter Druck, da steigende Finanzierungskosten erfahrungsgemäss zu einem Nachfragerückgang am Investitionsmarkt führen. Dies ist auch gegenwärtig zu beobachten und in den Notierungen von Immobilienfonds sichtbar. Die Aussicht auf steigende Mieterträge wird diesen Effekt kurzfristig nicht kompensieren. Mittelfristig aber sind die Mietpreisanstiege bei tiefen Leerstandsrisiken bewertungsrelevant. Vorsicht ist indes geboten bei einem starken Zinsanstieg. Ein solcher würde auch in den Direktanlagemärkten grössere Anpassungen bewirken. Ein wesentlicher Risikofaktor stellen zudem die Energiekosten dar.

Das durchschnittliche Agio beträgt 13.0 Prozent für Fonds und -6.9 Prozent für Aktien. Eine Reihe von Portfolios sind nun weit unter ihrem Nettoinventarwert zugänglich und bieten daher einen grossen Hedge im Vergleich zum direkten Markt. Bietet das aktuelle Kursniveau Einstiegsgelegenheiten?

Das Disagio auf dem Nettoinventarwert ist als Einstiegssignal mit Vorsicht zu geniessen. Zunächst gibt es die erwähnten Gründe für diese Bewertung, zukünftige Anpassungen der Nettoinventarwerte sind keineswegs ausgeschlossen. Zudem sei daran erinnert, dass die Disagio-Situation bis zum Nachfrageboom über viele Jahre der Normalfall war bei Immobilienaktien; dies aufgrund des stärker kommerziell geprägten Immobilienportefeuilles, des aktiveren Managements sowie der fehlenden gesetzlichen Rücknahmepflicht. Daher ist diese Situation nichts Aussergewöhnliches, damit aber auch kein Garant für Kurskorrekturen nach oben.

Mit welchem Agio und bei welchem Zinssatz für 10-jährige Bundesanleihen könnte man von Fair Value im Markt sprechen?

Agio und Zinssatz hängen nur teilweise zusammen: In der kurzen Frist können Zinsänderungen zwar das Agio treiben, doch wird dies durch die periodische Anpassung der Nettoinventarwerte wieder aufgefangen. Die Bewertung der Papiere ist aber immer auch eine Funktion nicht nur der Qualität des zugrundeliegenden Immobilienportefeuilles, sondern auch der Einschätzung betreffend der sich mit dem aktiven Management ergebenden Chancen und Risiken sowie der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Der Nettoinventarwert dagegen bezieht sich ausschliesslich auf das Immobilienportefeuille. Beide Komponenten hängen zwar vom Zinsniveau ab, für das Agio spielen indes auch die genannten anderen Faktoren eine Rolle.

Langfristig bleiben die Dividende und das Wachstum des NAV die wichtigsten Beiträge für die Performance der Immobilienfonds. Kurzfristig ist die Preisvolatilität von den Kapitalmärkten beeinflusst. Wie lässt sich die gegenwärtige Marktbewegung in einem längerfristigen Zusammenhang einordnen?

Aufgrund der unter Druck geratenen Preise wird die Performance vorläufig weniger durch das NAV-Wachstum als durch die Dividenden getrieben sein. Die Anhebung des Zinsniveaus sowie die Inflation tragen zusammen mit der gegenwärtigen Knappheit zur Erwartung steigender Mieten und höherer erwarteter Dividenden bei.

Der Unterschied beim Agio zwischen Wohn- und kommerziellen Investitionen hat sich in den letzten Monaten fast halbiert. Wie erwartet haben Wohninvestitionen mit niedrigen Renditen gelitten. Wird dadurch offensichtlich, dass der Markt die Anlagen nicht nach ihren Agios preist, sondern offensichtlich nach ihren Erträgen?

Die Bewertungskorrekturen waren vor allem bei Immobilienfonds mit tiefer Rendite sichtbar, da diese auch eine höhere Sensitivität gegenüber Zinsänderungen aufweisen. Die Reduktion des Agiodeltas ist daher primär ein Effekt dieser höheren Sensitivität. Hinzu kommt, dass bei Immobilienfonds mit kommerziell genutzten Immobilien bereits in den letzten Jahren stärker Leerstands- und konjunkturelle Risiken eingepreist waren.

Die durchschnittliche Ausschüttungsrendite der kotierten Schweizer Immobilienfonds beträgt aktuell ca. 2.95 Prozent. Wie weit sind die Ausschüttungen tatsächlich aus dem Nettoertrag – also aus den realisierten Kapitalgewinnen – verdient worden?

Die Mietrendite ist in der langen Frist der Haupttreiber der Ausschüttungsrendite, dies stärker bei kommerziellen Immobilienfonds, weniger ausgeprägt bei Wohnimmobilienfonds. Inskünftig dürften die tiefen Leerstände beim Wohnen, das nach wie vor die Hauptnutzungsart bei Immobilienfonds darstellt, dazu beitragen, dass die Ausschüttungsrendite relativ betrachtet als Renditetreiber wichtiger wird, zumal NAV-Korrekturen nicht ausgeschlossen sind.

Die gestiegenen Finanzierungskosten setzen den Immobilienfonds zusätzlich zu. Verfügen die Fonds überhaupt noch über genügend Bewertungsreserven?

Der Zinsanstieg dürfte sich schneller über den Kanal der Diskontierung in den NAV-Bewertungen niederschlagen als über die steigenden Mieten, welche den gegenläufigen Effekt haben. Immerhin besteht grosse und begründete Hoffnung, dass die seitens der SNB eingeleiteten Massnahmen zur Inflationsbekämpfung schnell und nachhaltig wirksam sind, womit die bevorstehenden Zinssteigerungen in der Schweiz moderat ausfallen und der Druck auf die Bewertungen überschaubar bleiben dürften. Bei stärkeren Zinserhöhungen wären aber NAV-Korrekturen unvermeidlich; zugleich reduzieren sie bei Immobilienfonds auch den Rücknahmedruck.

Die Aktivitäten des Primärmarktes haben sich stark verlangsamt. Viele Transaktionen und Kapitalerhöhungen sind auf 2023 verschoben worden. Besteht hier die berechtige Hoffnung auf ein besseres Investitionsjahr 2023?

Tiefere Bewertungen legen diesen Schluss nahe, insbesondere in einem Szenario, in dem nach den nächsten Zinsschritten die langfristigen Zinsen und die Inflation, wenn überhaupt, nur noch wenig zunehmen und zugleich die Mieten aufgrund der Knappheit an Wohnraum steigen und die Leerstände tief bleiben. Die Unsicherheit ist indessen ob all dieser Determinanten sowie der globalen makroökonomischen und geopolitischen Entwicklungen nach wie vor sehr gross.

Interview: Remi Buchschacher

Pascal Gantenbein ist Professor für Finanzmanagement an der Universität Basel.