Die Analyse des Portfolios ist wichtig, um die nachhaltige Entwicklung in die richtige Richtung zu lenken. Aber die Analyse selbst verursache noch keinen Umweltschutz, weshalb die Mittel vor allem in die Massnahmen – sprich Sanierungen – investiert werden sollten, ist Elvira Bieri, CEO beim Swiss Sustainable Real Estate Index SSREI, überzeugt.

Der Gebäudepark ist für rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, beim Energiebedarf sind es gar bis zu 45 Prozent. Der Schweizer Liegenschaftsbestand steht also vor der dringend notwendigen, nachhaltigen Transformation. Wie weit sind wir?

Elvira Bieri: Wo wir momentan mit der Isolation von Gebäudehüllen sowie der Umstellung des Gebäudeparks von fossilen auf erneuerbare Energieträger stehen, weiss ich nicht. Auch die Bundesämter liefern hierzu keine konkreten Angaben. Was man aber mit Gewissheit sagen kann, ist, dass der Umbau stattfindet. Die institutionellen Immobilieneigentümer haben ihre CO2-Absenkpfade festgelegt und setzen diese Reduktion meist im Rahmen der ordentlichen Sanierung um. Zudem hat der Ukraine-Krieg und die damit einhergehende Verteuerung von Öl und Gas einen Run auf Photovoltaik und Wärmepumpen ausgelöst. Was wiederum belegt, dass die Preissensitivität auch in diesem Markt vorhanden ist. Traurig ist dabei nur, dass der Treiber ein solch tragisches Ereignis sein muss und Lenkungsabgaben respektive deren Erhöhung, wie es dazumal die Revision des CO2-Gesetzes vorgesehen hatte, vom Volk abgelehnt wurden.

Voraussetzung ist dabei eine verlässliche Datengrundlage – als eigentliche Basis, auf der ein aktives Management respektive eine konsequente Weiterentwicklung des Bestands erst möglich wird. Hierfür sorgt die Portfolioevaluation nach SSREI. Wie weit sind die Firmen? Welche Datenlage finden Sie bei dieser Analyse vor?

Es ist eine verlässliche und ausreichende Datenlage nötig, und zwar in doppeltem Sinne: inhaltlich breit abgestützt einerseits, keine Genauigkeit bis auf die 20ste Komastelle andererseits. Analyse ist wichtig, um die Entwicklung in die richtige Richtung zu lenken. Aber die Analyse selbst verursacht noch keinen Umweltschutz, weshalb die Mittel vor allem in die Massnahmen – sprich Sanierungen – investiert werden sollten. Diesem Prinzip folgt SSREI, dem Standard für nachhaltige Immobilienbewertung, dessen Betrachtung über die CO2-/Energieeffizienz hinausgeht und nebst den umwelt- und raumplanerisch relevanten Kriterien die wesentlichen Treiber von zukünftigen Zahlungsströmen im Zusammenhang mit Gebäuden benennt.

Wie sehen Sie die Situation bei den Energiekennzahlen? Es gibt immer noch grosse methodische Abweichungen wie Betrachtungsrahmen, Referenzfläche und Emissionsfaktoren. Wann kommt endlich ein Standard als ein wichtiger Schritt in Richtung Professionalisierung des Dekarbonisierungsmonitorings im Schweizer Anlageimmobiliensektor?

Wir erwarten hier mit Spannung die ersten Erkenntnisse von REIDA (Real Estate Investment Data Association), welche eben einen Standard für die Energiedatenerfassung entwickelt hat.

Reicht der klassische Gebäudebewertungskatalog überhaupt noch aus, um zuverlässige Aussagen über die langfristige Werthaltigkeit eines Gebäudes und dessen Entwicklungspotenzial zu erhalten?

 Lage, Ausbaustandard und Komfort allein machen die Attraktivität eines Gebäudes nicht mehr aus; Unterhalt und Instandsetzung des Gebäudes respektive seiner Bauteile gelten nicht mehr als die einzigen Kostenfaktoren. Um zuverlässige Aussagen über die langfristige Werthaltigkeit zu erlangen, braucht es eine umfassendere Betrachtung.

Welche Rolle spielt hier der SSREI?

 Der SIA hat die Kriterien für ein nachhaltiges und damit langfristig werthaltiges Gebäude bereits 2004 mit der Norm 112/1 definiert. Mit dem SSREI wurden diese in ein Bewertungsinstrument überführt.

Um ein zuverlässiges Bild über die Risiken von Immobilien zu erhalten, müssen die ESG-Themen zudem umfassender in die Transaktionskosten einbezogen werden. Wie stark wird das die Bewertungen beeinflussen? 

Nachhaltigkeitskriterien werden bereits heute in der Technischen Due Diligence TDD berücksichtigt und fliessen entsprechend in die Berechnung des Kaufpreises ein. Nur erfolgt dies in uneinheitlicher Form. Mit SSREI steht hierfür nun ein Standard zur Verfügung, der sich als ideale Ergänzung zu den herkömmlichen TDDs anbietet.

Die nachhaltige Transformation des Schweizer Immobilienbestands ist bekanntlich eine gemeinschaftliche Aufgabe – hier kommen Ihre SSREI-Dienstleister ins Spiel. Was ist darunter zu verstehen?

Das ist richtig. Um den Schweizer Gebäudepark in eine nachhaltige Zukunft zu überführen, ist das Zusammenspiel verschiedenster Akteure notwendig. Um diesen Prozess zu beschleunigen und die gegenseitigen Synergien zu nutzen, haben wir kürzlich unsere Dienstleister-Plattform lanciert. Ziel ist es eine Anlaufstelle zu schaffen, bei welcher Immobilieneigentümer die passenden Ansprechpartner zur Umsetzung ihrer individuellen Nachhaltigkeitsstrategie finden können. Dazu gehören beispielsweise Ingenieure und Berater, IT-Tool-Anbieter, Gebäudetechniker, Kreditgeber und spezialisierte Handwerker, welche mit ihren Dienstleistungen und Produkten zur Transformation beitragen können.

Viele Schweizer Immobilienunternehmen richten ihr Augenmerk auf international ausgerichtete Nachhaltigkeitslabels. Doch das kostet viel Geld. SSREI verfügt über die Anerkennung vom Global Real Estate Sustainability Benchmark GRESB. Wie bringen Sie diese ins Spiel?

Es gibt drei Möglichkeiten, ein Bild über die nachhaltige Qualität des Gebäudebestands zu erhalten: Man strebt bei allen grösseren Sanierungen eine Zertifizierung an, man lässt den Bestand nachzertifizieren oder man baut das herkömmliche Instrument, nämlich die Portfoliobewertung, inhaltlich aus. Mit ersterem hat man in 50 Jahren ein genaueres Bild; die Lösung mit Bestandszertifikaten ist erstens sehr teuer und zweitens muss auf ausländische Labels ausgewichen werden; schliesslich bleibt die letzte Variante, wofür dem Markt mit SSREI ein entsprechendes Instrument zur Verfügung gestellt wird.

Mit welchen Vorteilen?

GRESB anerkennt den SSREI als Instrument für die Portfoliobewertung sowie die Technische Due Diligence und stellt die SSREI-Verifikation zudem einer Gebäudezertifizierung gleich. Damit installiert man im Betrieb eine Logik für den Umgang mit dem Bestand, was dessen Management erheblich erleichtert und kosteneffizienter macht.

Interview: Remi Buchschacher

Elvira Bieri ist CEO beim Swiss Sustainable Real Estate Index SSREI.