Die vielbeschworene Verdichtung sei ordentlich ins Stocken geraten, schreibt Raiffeisen in der neusten Immobilien-Studie. «Wir steuern mit Vollgas in eine Wohnungsnot», lautet das Fazit. Der Schweiz würden jetzt deutlich die Grenzen des Wachstums aufgezeigt.

Die Wohnbautätigkeit hat mittlerweile ein bedenklich tiefes Niveau erreicht. Gleichzeitig wächst die Schweizer Bevölkerung dynamisch und benötigt pro Kopf immer mehr Wohnraum. Die Leerstände sinken rapide, das Angebot wird immer knapper und damit steigen neben den Eigenheimpreisen jetzt auch die Mieten. Schon vor den aktuellen Krisen fehlten der Immobilienbranche die Anreize für eine spürbare Ausweitung der Wohnungsproduktion. Im Umfeld extrem hoher Baulandpreise, rigider Bau- und Zonenordnungen sowie einer äusserst Einsprache freudigen Bevölkerung lohnt sich der Mietwohnungsbau vielerorts einfach nicht mehr. Die vielbeschworene Verdichtung ist damit ordentlich ins Stocken geraten. Das nun höhere Zinsniveau und die Bauteuerung fressen jetzt auch noch zusätzlich Anreize für die künftige Wohnungsproduktion auf. Gleichzeitig treiben der akute Fachkräftemangel und der Krieg in der Ukraine die Zuwanderung kräftig nach oben. Wir steuern mit Vollgas in eine Wohnungsnot. Schon bald wird das Thema weit oben auf der politischen Agenda zu finden sein. Und dann wird es an kreativen, weiter marktverzerrenden Vorschlägen zur reinen Symptombekämpfung nicht fehlen. Der Schweiz werden jetzt deutlich die Grenzen des Wachstums aufgezeigt. Unser auf Zuwanderung basierendes Wirtschaftsmodell ist halt auch mit Kosten verbunden. Zersiedelung und eine harzige Verdichtung sind der Preis, den wir für unser erfolgreiches System zu zahlen haben. Wer dynamisches Wachstum will, muss auch die Bedingungen für eine funktionierende Siedlungsentwicklung schaffen. Sei dies nun nach innen oder nach aussen. Es ist höchste Zeit für eine öffentliche Grundsatzdiskussion über die künftige Wohnraumversorgung, um das Ruder noch herumzureissen. Die sich akut abzeichnende Wohnungsnot, mit all ihren unschönen Folgen, wird sich aber kaum noch gänzlich abwenden lassen.

Knappheit lässt die Eigenheimpreise weiter steigen

Angehende Eigenheimkäufer können ein Lied von Knappheit singen. Denn diese ist bereits seit Jahren der prägende Faktor des Eigenheimmarktes. In Kombination mit einer sehr regen Nachfrage treibt diese die Preise immer weiter in die Höhe. Innerhalb eines Jahres sind die Preise für Einfamilienhäuser um 5,6% und diejenigen für Stockwerkeigentum um 7,6% gestiegen. Von den höheren Hypothekarzinsen und der damit schwindenden Attraktivität von Wohneigentum ist bisher noch nicht viel zu spüren. Sowohl bei der Nachfrage als auch beim Angebot können aber erste Anzeichen einer möglichen Entspannung ausgemacht werden. So dürfte der stetige Angebotsrückgang der letzten Jahre endlich seinen Boden gefunden haben. Auch die Verkäufer scheinen bei ihren Preisvorstellungen allmählich etwas kompromissbereiter zu sein, da die Käufer wählerischer geworden sind und nicht mehr jeden Preis bezahlen. Grundsätzlich sind dies erfreuliche Normalisierungszeichen in einem mittlerweile völlig heissgelaufenen Markt. Die Nachfrage nach Eigentum ist in der Schweiz aber weiterhin sehr rege und das Angebot bleibt auch künftig äusserst knapp. Die erwähnten Entspannungszeichen könnten sich schlussendlich auch nur als Tropfen auf den heissen Stein erweisen. Die Preisentwicklung am Eigenheimmarkt dürfte damit weiterhin nach oben zeigen, wenn auch mit einer etwas schwächeren Dynamik.

Mietern stehen harte Zeiten bevor

Am Mietwohnungsmarkt ist Knappheit, auch ausserhalb der allerbesten Lagen, hingegen ein jüngeres Phänomen. Durch den Mietwohnungsbauboom des letzten Jahrzehnts wurden die Leerstände bis noch vor 2 Jahren in immer weitere Höhen getrieben. Die Ende der 2010er Jahre erfolgte starke Drosselung der Wohnungsproduktion hat eine Weile gebraucht, bis sie auch angebotswirksam wurde. Jetzt ist sie aber umso deutlicher zu spüren. Die Leerwohnungsziffer ist gegenüber dem Vorjahr von 1,54% auf 1,31% gefallen. Bei Mietwohnungen sogar von 2,44% auf 2,08%. Ein rekordverdächtiger Rückgang. In vielen regionalen Mietwohnungsmärkten herrscht bereits Wohnungsknappheit, in einigen gar regelrechte Wohnungsnot. Anzeichen einer baldigen Angebotsausweitung gibt es leider keine. Bis 2024 dürfte die Leerwohnungsziffer schweizweit die 1%-Marke unterschreiten. Mietern stehen damit harte Zeiten bevor. Denn die Angebotsmieten werden angesichts der hohen Wohnungsnachfrage deutlich anziehen. Wer umzieht, wird schon bald mit deutlich höheren Anfangsmieten konfrontiert werden. Aber auch bei bestehenden Mietverhältnissen werden die Mieten bald spürbar steigen. Im ersten Quartal 2023 muss mit der ersten Erhöhung des hypothekarischen Referenzzinssatzes auf 1.5% gerechnet werden. Mieten, welche auf dem jetzigen Zinsniveau basieren, dürfen vom Vermieter dann um rund 3% erhöht werden. Hinzu kommt der gesetzlich erlaubte Ausgleich der Teuerung und der allgemeinen Kostensteigerungen. Einigen Bestandsmietern drohen damit Mietzinserhöhungen um bis zu 10% bis ins Jahr 2024.

Zeitenwende bei den Immobilienanlagen

Am Markt für Renditeliegenschaften ziehen dunklere Wolken am Horizont auf. Mit dem abrupten Ende der Negativzinsära hat sich das Marktumfeld für direkte Immobilienanlagen stark verändert. Bisher macht dieser Markt seinem Ruf ein träger Tanker zu sein aber noch alle Ehre, denn in den gängigen Indikatoren sind Verhaltensanpassungen der Marktakteure noch kaum zu sehen. Allerdings mehren sich marktnahe Stimmen, welche aktuell von grosser Zurückhaltung und sehr starkem Druck auf die Preise berichten. Auch aus den Kursen der indirekten Immobilienanlagen lässt sich eine ordentliche Neubewertung der zugrundeliegenden Renditeliegenschaften ablesen. Vieles spricht aktuell für einen deutlichen Nachfragerückgang bei Anlageobjekten. Durch die gestiegenen Finanzierungskosten dürften sich heute viele fremdfinanzierten Investitionen nicht mehr oder kaum noch lohnen. Insbesondere das bei Privaten in den letzten Jahren sehr lukrative Buy-to-let-Modell rechnet sich heute kaum noch. Aber auch bei institutionellen Anlegern muss mit grösserer Zurückhaltung gerechnet werden. Die rekordtiefen Anfangsrenditen der letzten Jahre dürften angesichts attraktiver gewordener Alternativen aktuell auf deutlich weniger Akzeptanz durch Investoren stossen als im Tiefstzinsumfeld. Damit geht die Goldgräberstimmung des letzten Jahrzehnts an diesem Markt zu Ende. Es ist mit deutlichem Druck auf die Transaktionspreise und damit auch die Bewer- tungen in den Immobilienportfolios zu rechnen. Allerdings wird dieser Markt durch die erwarteten Miet- zinsanstiege nach unten abgestützt. Die damit künftig steigenden Erträge dürften den Markt vor einem Absturz bewahren. Zumindest aus der Sicht von Immobilieninvestoren, und solche sind wir beispielsweise über unsere Vorsorgegelder alle, hat Wohnungsknappheit damit auch seine positiven Aspekte.