«Wohneigentum auf Zeit» richtet sich nach den Lebensumständen und Bedürfnissen der Eigentümerschaft. In der gegenwärtigen Ära des Individualismus scheint das Modell durchaus vielversprechend. Doch noch schätzt die Bau- und Immobilienwirtschaft den Trend als wenig relevant ein. Das zeigen die Ergebnisse der diesjährigen Ausgabe der Digital Real Estate Umfrage von pom+.

Ausgeträumt! Die eigenen vier Wände sind für viele Menschen in Europa in den letzten Jahrzehnten in unerreichbare Ferne gerückt. Und wenn die Mittel da sind, ist gerade die jüngere Generation unsicher, ob sich eine derartige Verbindlichkeit in der schnelllebigen Welt von heute überhaupt noch lohnt. Wer weiss heute schon so genau, wo man alt werden will?

Vor diesem Hintergrund etablieren sich langsam neue Ideen und Eigentumsformen wie beispielsweise «Wohneigentum auf Zeit». In diesem Modell wird das Eigentum eines Wohnobjektes im Voraus auf eine festgelegte Dauer beschränkt. Die Zeitperiode richtet sich dabei an den Bedürfnissen und Lebensumständen der Käuferinnen und Käufer aus. Wenn z. B. der Karrieresprung einen Umzug ins Ausland erfordert oder die Kinder ausziehen, sind viele Menschen bereit, ihre Wohnsituation zu verändern. Der Kaufpreis bemisst sich dabei einzig an der Nutzungsdauer und ist damit erschwinglicher. Investorinnen und Bestandshalter können das Objekt nach der Rückgabe marktfähig sanieren und vermeiden damit eine Überalterung der Immobilie. Klarer Fall von Win-win, oder?

Offenbar nicht. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter 200 Führungs- und Fachkräften aus der Bau- und Immobilienwirtschaft ergibt, dass der Einfluss von neuen Eigentumsformen auf die Rolle des eigenen Unternehmens als sehr gering eingeschätzt wird. Auch die Nutzerinnen und Nutzer von Immobilien sehen den Mehrwert nur bedingt: 85 Prozent attestieren dem Trend einen geringen oder sehr geringen Einfluss. Einzig in der Vermarktung rechnet man mit Auswirkungen auf das eigene Tätigkeitsgebiet. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten geht mittelfristig von geringen Konsequenzen für die Immobilienbranche aus.

Die Einschätzung des Experten

  • Die Ergebnisse der Studie erstaunen nicht, sondern spiegeln vielmehr die gegenwärtig (noch) kaum vorhandene Verbreitung von neuen Eigentumsformen wider. Derzeit beschäftigt sich vor allem die Forschung mit diesem Trend. In der Schweiz gibt es aktuell erst ein einziges Objekt in Bern, das auf dem Prinzip «Wohneigentum auf Zeit» aufbaut. Weitere Liegenschaften sind geplant, aber ob die Umsetzung tatsächlich stattfindet, ist bisher nicht gesichert.
  • Investoren und Investorinnen sind aktuell noch vorsichtig, der Trend hin zu flexiblem Wohneigentum scheint noch wenig fassbar. Erste Versuche mit dem Modell auf Zeit bieten sich bei Liegenschaften im Stockwerkeigentum an, die sich dem ersten Instandsetzungs-Zyklus nähern. Häufig treten hier Probleme mit ungenügend geäufneten Erneuerungsfonds und unterschiedlichen Interessen der Stockwerkeigentümer zu Tage. Hier bieten sich gerade für Bestandshalter interessante Möglichkeiten, das eigene Immobilienportfolio über diesen Trend mit qualitativ ansprechenden Wohnobjekte an guten Lagen aufzuwerten.
  • Die zunehmende Individualisierung geht einher mit neuen, unkonventionellen Lebensmodellen und verändert daher die Nachfrage nach Wohneigentum. Die Bedeutung und Abgrenzung von Lebensabschnitten nimmt zu und könnte somit auch Auswirkungen auf die entsprechende Wohnform haben. Die gegenwärtig verbreitete Vorstellung vom «ewigen Eigentum» dürfte dadurch aufgeweicht werden und die Offenheit gegenüber neuen Modellen zunehmen.
  • Dennoch ist davon auszugehen, dass «Wohneigentum auf Zeit» eine Randerscheinung bleibt. Investorenseitig ist das Modell aktuell noch zu wenig attraktiv. Dank der Kapitalschwemme im vergangenen Jahrzehnt war stets mehr als genug Kapital vorhanden und der Druck, neue Ideen auszuprobieren, schlicht zu gering. Wenn überhaupt, dürften neue Eigentumsformen vorerst vor allem von Genossenschaften und innovativen, sozial orientierten Investoren und Investorinnen im urbanen Raum aufgegriffen werden.
  • Dennoch: Es ist davon auszugehen, dass die Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum sowohl für Mietparteien als auch Eigentümerschaft auf gesellschaftlicher und politischer Ebene intensiviert werden. Es lohnt sich daher auch für professionelle Investoren und Investorinnen, innovative Ansätze zu analysieren und sich mit neuen Eigentumsformen auseinander zu setzen.

Über die Studie

Die Digital Real Estate Umfrage erhebt seit 2016 jährlich den Stand der digitalen Transformation der Bau- und Immobilienwirtschaft in der Schweiz und seit 2019 auch für Deutschland. Das Whitepaper präsentiert die Ist-Situation in den beiden Ländern basierend auf den Einschätzungen von verschiedenen Führungs- und Fachkräften aus der Branche und wird durch das Expertenwissen von Beraterinnern und Berater der pom+Consulting AG ergänzt.