Der Begriff «Nachhaltigkeit» beinhaltet viele Dimen­sionen, sagt Marie Seiler, Head Third Party Real Estate CH, Swiss Life Asset Managers. Die Perfor­mancemessung und Berichterstattung gehören zu den wesentlichen Themen und sollten deswegen nach einheitlichen und verbindlichen Regeln erfolgen.

 In den vergangenen Jahren hat das Interesse an ESG an den Finanzmärkten rasant zugenommen. Doch die Vorgaben, wie die Nachhaltigkeitsberichterstattung aussehen muss, unterscheiden sich stark. Unternehmen und Investoren interessiert derzeit vor allem eins: Wann gibt es endlich ein gemeinsames Verständnis darüber, was nachhaltig ist und wie man es misst?

Marie Seiler: Einige wesentliche Elemente im System Nachhaltigkeit, wie etwa der Klimawandel, sind zu einem hohen Grad objektiv bewertbar und über ihre globale Bedeutung herrscht bereits seit geraumer Zeit weitgehend Einigkeit. Gleichzeitig ist das «Konzept Nachhaltigkeit» aber auch sehr umfangreich. Es beinhaltet viele Dimensionen, über deren Bewertungsmethoden und über deren Gewichtung unterschiedliche Meinungen vorherrschen. Zudem bedeutet die Beurteilung der Nachhaltigkeit immer auch einen Blick in die Zukunft, der mit Annahmen und Unsicherheiten verbunden ist. Die Antworten auf manche Fragen bleiben daher heutzutage noch offen.

Wichtiger als vollkommene Eintracht über den Begriff «Nachhaltigkeit» ist mir aber die Einsicht, dass Nachhaltigkeit viele Dimensionen hat und wir wesentliche Themen von weniger wesentlichen oder unwesentlichen unterscheiden sollten. Als eine der wesentlichen Themen pro Sektor/Industrie muss die Performancemessung und Berichterstattung nach einheitlichen Regeln erfolgen. Das bedeutet, dass wir einheitliche und verbindliche Standards für die Berichterstattung bei Finanzprodukten definieren.

Nun soll ein globaler Standard für die Berichterstattung zu Nachhaltigkeit entwickelt werden. Wie soll dieser aussehen?

Ich nehme an, Sie sprechen SFDR an. In den dazugehörigen Regulatory Technical Standards RTS sind die Transparenzanforderungen auf Produktebene grundsätzlich sehr genau definiert. Wenngleich das Regelwerk noch sehr jung ist und dementsprechend sicher noch einige lokale Anwendungsfragen zu klären sind. Generell eine grosse Herausforderung ist die Datenverfügbarkeit. In der Schweiz kommt dazu, dass beispielsweise Bewertungsinstrumente für die Deklaration von Immobilien-Anlagen fehlen, oder sie sind noch nicht voll kompatibel mit den europäischen Pendents, auf welche in der SFDR referenziert wird. Etwa im Bereich der europäischen «Energy Efficiency Certificates» EPC, welche heute leider nicht vergleichbar mit dem in der Schweiz verfügbaren GEAK sind.

Was derzeit passiert, ist das genaue Gegenteil: Unternehmen in der Immobilienbranche lassen sich in ihren Bemühungen um Nachhaltigkeit kaum Vergleichen.

 Das ist richtig, die Vergleichbarkeit ist schwierig. Teile der Immobilienbranche haben in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht, was die Beurteilung von und Berichterstattung über wesentliche Nachhaltigkeitsaspekte wie Energieverbrauch und CO2-Emissionen anbelangt. Es fehlt jedoch an einheitlichen Standards für die Berechnung entsprechender Indikatoren, die die Vergleichbarkeit der Zahlen sicherstellen würden. Gleichzeitig muss man aber auch berücksichtigen, wie hoch die Dynamik im gesamten Nachhaltigkeitsbereich ist. Dieses Thema hat schnell Fahrt aufgenommen und an Bedeutung gewonnen. Es braucht eine gewisse Zeit für die Konsolidierung.

Bisher waren es vor allem Beratungsfirmen, die Standards wie GRI oder GRESB entwickelt haben. Warum kommen die Grundlagen für eine Vergleichbarkeit nicht von der Immobilienbranche selbst?

Entsprechende Bestrebungen gibt es und diese sind auch notwendig. Die bisherige Erfahrung hat gezeigt, dass die Anlageklasse Immobilien in der Messung der Nachhaltigkeitsperformance mit vielen spezifischen, technischen Fragestellungen verknüpft ist. Die sektorübergreifenden Standards können meistens nicht oder nicht ausreichend tief und schnell auf diese technischen Aspekte eingehen. Die Asset Management Association Switzerland AMAS hat kürzlich Umweltkennzahlen für den Immobilienbereich definiert und publiziert, deren Entwicklung wir gerne mitunterstützt haben. Sie umfassen Kennzahlen im Bereich Energie und CO2-Effizienz – am Standort Schweiz die wesentlichsten Nachhaltigkeits-Indikatoren für alle Arten von Bestandes-Immobilien. Das ist ein enorm wichtiger Fortschritt in Richtung einer einheitlichen Berichterstattung. Da die Aufgabe der Definition von Standards für wahrhaftig vergleichbare Kennzahlen im Bereich der Energie- und CO2-Intensität aber derart herausfordernd ist, konnten mit den neuen Richtlinien noch kaum vergleichbare Kennzahlen im Sinne eines Benchmarkings generiert werden. Es handelt sich lediglich um die Definition der Mindestanforderungen für die Berichterstattung.

Was unternimmt die Branche? 

Die verbleibende Lücke wird von einer neuen Brancheninitiative gefüllt: REIDA entwickelt derzeit ein Energie- und CO2-Benchmarking, an dem mehrere grosse Immobilieninvestoren mit entsprechend grosser Anzahl Liegenschaften teilnehmen. Hier besteht erstmals der Anspruch der Vergleichbarkeit der resultierenden Kennzahlen. Die dafür notwendigen methodischen Vorarbeiten, die es braucht, um eben diese zu gewährleisten, darf man nicht unterschätzen.

Schauen wir einmal von Anbieter- auf die Investorenseite: Die Firmen sind sehr verunsichert, dass sie zwar über Nachhaltigkeit Bericht erstatten, aber Investoren viel mehr oder andere Details wissen wollen. Wie können die Anbieter von Kollektivanlagegefässen diese Wissenslücke schliessen?

Hier kann zum Beispiel ein GRESB Benchmarking-Bericht Abhilfe schaffen. Das Themenspektrum ist hier sehr breit, umfasst E-, S- und G-Themen sowohl im Portfolio als auch in der Unternehmung, die die Produkte anbietet. Die Methodik und dazugehörige Tools für Teilnehmer und Investoren wurden über mehr als eine Dekade weiterentwickelt und es besteht derzeit kein anderes Nachhaltigkeitsbenchmarking im Immobilienbereich mit einer vergleichbar fundierten, dokumentierten, geprüften und international anerkannten Bewertungsmethodik. Die Teilnahme an GRESB ist jedoch mit einigem Aufwand verbunden, vor allem für kleinere Teilnehmer, deren Digitalisierungsgrad tief ist. Hier können die AMAS-Kennzahlen, die nun auch in den Verbänden der Anlagestiftungen, Pensionskassen und Versicherungen diskutiert werden, eine wichtige Lücke schliessen.

Was können die kleineren Marktteilnehmer tun?

Die Swiss Sustainable Real Estate Gruppe (SSREG) – eine informelle Schweizer Arbeitsgruppe bestehend aus ESG-Managern mehrerer institutioneller Immobilieneigentümer – wird zudem diese Kennzahlen, zusammen mit einem umfassenden Satz an weiteren häufig angefragten ESG-Informationen, innerhalb eines «Standard ESG Fragebogens» zur Verfügung stellen. Das Template können auch nicht SSREG-Mitglieder beziehen. Damit will die SSREG zu mehr Effizienz und Vergleichbarkeit auf dem Markt beitragen.

Laut einer Umfrage der Wirtschafts- und Beratungsgesellschaft PwC verlangen inzwischen 79 Prozent der Investoren eine ESG-Berichterstattung. Die grosse Herausforderung beginnt schon bei der Erhebung der Daten. Welche haben wir, wie erheben wir diese, welche benötigen wir überhaupt?

Neben einem umfassenden ESG-Rating wie GRESB erachten wir für Immobilienanlagen die Kennzahlen zu Energie- und CO2-Effizienz als die Wichtigsten. Diese sind für alle Immobilienprodukte wesentlich, weil sie einen hohen Einfluss auf die Aussenwelt haben, aber auch weil sie grossen Einfluss auf die Wertentwicklung und den zukünftigen Investitionsbedarf haben.

Wie reagieren die Investoren?

Ich denke, Investoren sind sich im Klaren, dass derzeit diese Angaben nicht vollständig vergleichbar sind. Deswegen lohnt es sich, die Detail-Informationen über die spezifische Berechnung der Kennzahlen zu lesen. Es macht beispielsweise einen grossen Unterschied, welche Flächenart für die Berechnung angewendet wird. Und noch mehr, ob zum Beispiel die Gesamtenergie, inklusive Mieterstrom, oder nur die vom Eigentümer beschaffte Energie ausgewiesen wird. Auch auf unterschiedliche Korrekturen wie Leerstandskorrektur, Witterungskorrektur, etc. ist unbedingt zu achten. Die Unterschiede der scheinbar ähnlich ausgewiesenen Kennzahlen können entsprechend im hohen zweistelligen Prozentbereich sein.

Wir beleuchteten bisher die Situation in der Schweiz. Während Unternehmen, die sich an den Kapitalmärkten refinanzieren, weltweit über ihre finanzielle Situation entweder nach US-GAAP oder nach dem europäischen Standard IFRS Bericht erstatten, fehlt der eine ESG-Standard woran sie sich orientieren können. Was geschieht in dieser Richtung?

Sektorübergreifend und im freiwilligen Bereich gibt es schon seit vielen Jahren mit GRI einen Transparenzstandard, der breit angewendet wird. Daneben gibt es weitere Standards für die Unternehmensberichterstattung wie beispielsweise SASB. Themenspezifisch gibt es zudem zum Beispiel die TCFD, welche auf die Berichterstattung über Auswirkungen des Klimawandels auf Unternehmen abzielen und die daraus resultierenden finanziellen Risiken. Der Bund und die Aufsichtsbehörde FINMA unterstützen diese Initiative und wollen sie für börsenkotierte Unternehmen auch in der Schweiz verpflichtend machen.

Konkret: Werden wir in Zukunft Gebäude mit Materialpass benötigen, worin jedes Bauteil mit Herkunft und Beschaffenheit eingetragen ist?

Es ist die einzige logische Konsequenz, wenn wir die Kreisläufe der Baustoffe schliessen wollen. Und das müssen wir. Es ist aber eine Frage der Zeit und der Granularität, sowie der Tools und Praktikabilität, und nicht zuletzt auch der Einsatzzeitpunkte und Rollen, die unterschiedliche Player hier spielen werden: Investoren, Eigentümer, Entwickler, Bauunternehmer, Hersteller und Plattformen wie Madaster.

Welchen Einfluss wird diese Kreislaufwirtschaft auf die Immobilienbewertung haben?

In der Theorie einen substanziellen. Dies zeigt auch eine kürzlich am CUREM veröffentlichte Masterarbeit von Madeleine Kindermann: «Gebäude mit Materialpass – Einfluss der Kreislaufwirtschaft auf die Immobilienbewertung», die wir als Sponsoren des CUREM Forschungspreises dieses Jahr als beste Masterarbeit ausgezeichnet haben. Die Trennbarkeit, längere Lebensdauer und Wiederverwertbarkeit – und damit verbundene finanzielle Erlöse – von Bauteilen haben gemäss dieser Betrachtung klar aufgezeigt, dass trotz der erhöhten Erstellungskosten der kreislauffähigen Musterobjekte ein deutlicher Mehrwert in der Bewertung resultiert. In der Schweizer Immobilienbranche werden auch erste Pilotprojekte durchgeführt. Weit verbreitet ist diese Herangehensweise auf die Kosteneffizienz noch nicht. Insbesondere müsste man klarer die Kosten der Mieter berücksichtigen und auf eine Brutto-Miete im Benchmarking abstützen. Nur so würden auch tiefere Nebenkosten zu klar höheren Netto-Mieten führen. Aktuell sind die Benchmark-Anbieter und Bewerter noch allein auf die Einnahmen der Eigentümer fokussiert. Das Umdenken wurde aber durch die aktuelle Energie-Krise angestossen und wird zumindest auf Seiten der Eigentümer aktuell viel diskutiert. Offen bleibt die Frage, wie lange es braucht, bis sich dies auch in der Praxis der Immobilienbewertungen wiederfindet.

Interview: Remi Buchschacher

Marie Seiler ist Head Third Party Real Estate CH, Swiss Life Asset Managers

 

Begriffe zum Thema Nachhaltigkeit

ESG (Environment, Social, Governance) deckt Kriterien aus den Bereichen Umwelt, Soziales sowie guter Unternehmensführung ab.

Die UN Principles for Responsible Investment (UN PRI), deutsch: Prinzipien für verantwortliches Investieren (UNPRI), sind eine 2006 gegründete und von den Vereinigten Nationen unterstützte Investoreninitiative. Sie bezieht sich auf sechs Prinzipien für verantwortungsvolle Investments. Die Initiative fördert das Verständnis bei Investoren für die Auswirkungen der Nachhaltigkeit und deren Umsetzung.

GRESB (Global Real Estate Sustainability Benchmark) ist das führende Bewertungssystem zur Messung der Nachhaltigkeitsperformance von Immobilienunternehmen und Immobilienfonds. In der Gewichtung von sieben unterschiedlichen Aspekten entsteht der sogenannte GRESB Score, der wesentlich zur Transparenz der Immobilienwirtschaft in Nachhaltigkeitsfragen beiträgt. Der Aufwand für das GRESB-Rating ist relativ hoch. Dem steht gegenüber, dass die Nachhaltigkeit des Portfolios transparent und das Portfolio damit aus Investorenperspektive zukunftsfähig wird.

Die SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) sieht neue Transparenzpflichten im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Website-Offenlegungen, vorvertragliche Offenlegungen) und regelmässige Berichtspflichten für Wertpapierfirmen sowohl auf Produkt- als auch auf Unternehmens-/Manager-Ebene vor. Die SFDR wurde von der Europäischen Kommission verabschiedet und trat im März 2021 in Kraft. Die Verordnung verlangt Offenlegungspflichten für Asset Manager, Versicherungen und Banken mit Portfolioverwaltung. Die Angaben sind sowohl auf der Internetseite, in vorvertraglichen Dokumenten sowie im regelmässigen Reporting zu machen.

SASB: Der US-amerikanische Rat für Nachhaltigkeitsberichterstattungs-Standards (Sustainability Accounting Standard Board, SASB) hat den weltweit ersten Satz von branchenspezifischen Nachhaltigkeitsberichterstattungs-Standards herausgegeben, die sich mit finanziell wesentlichen Fragen in 77 Branchen befassen. Die Standards zielen darauf ab, den Anlegern detaillierte Informationen über Auswirkungen des Handelns eines Unternehmens auf Gesellschaft und Umwelt zu liefern.

Die TCFD wurde Ende 2015 vom Financial Stability Board (FBS), dem auch die Schweiz angehört, gegründet, um Empfehlungen zur finanziellen Transparenz der Unternehmen in Bezug auf Klimarisiken auszuarbeiten. Ihre Empfehlungen bilden einen gemeinsamen internationalen Rahmen, der den Unternehmen sowie den Akteuren der Finanzbranche erlaubt, ihre Exposition gegenüber Klimarisiken korrekt zu beurteilen und zu bepreisen, um in ihrer Geschäftstätigkeit die erforderlichen Strategien umzusetzen. Im weiteren Sinne geht es darum, die Märkte effizienter zu machen und die Volkswirtschaften besser für den Umgang mit dem Klimawandel zu rüsten.

Die Global Reporting Initiative (GRI) ist ein Anbieter von Richtlinien für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten von Grossunternehmen, kleineren und mittleren Unternehmen, Regierungen und Nichtregierungsorganisationen. GRI versteht sich als ein kontinuierlicher internationaler Dialog, der eine Vielzahl von Anspruchsgruppen einbezieht. Die Grundlage einer Berichterstattung nach GRI ist Transparenz,ihr Ziel eine Standardisierung und Vergleichbarkeit.