Die kurzfristigen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf den regulären Schweizer Wohnungsmarkt dürften begrenzt sein, schreibt Raiffeisen in der neusten Immobilienstudie. Doch auch wenn der den ukrainischen Flüchtenden erstmals gewährte «Schutzstatus S» offiziell rückkehrorientiert ist, könnte der Krieg die Nachfrage nach regulären Wohnungen erhöhen – und zwar just da, wo Wohnraum ohnehin schon knapp ist.

Am 11. März 2022 hat der Bundesrat erstmals in der Geschichte der Eidgenossenschaft den «Schutzstatus S» aktiviert. Vor dem Krieg in der Ukraine Flüchtenden wird damit relativ unbürokratisch und ohne Durchführung eines ordentlichen Asylverfahrens ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz gewährt. Dieses Recht ist zwar auf ein Jahr befristet, es kann jedoch verlängert werden. Einerseits ist der Schutzstatus damit rückkehrorientiert, andererseits erhalten Flüchtende die sofortige Arbeitserlaubnis und ihre Kinder werden umgehend eingeschult. Integrationsleistungen sind im Schutzstatus eigentlich nicht vorgesehen. Trotzdem spricht der Bund CHF 3000 pro Person für Sprachkurse, um die Integration, auch in den Arbeitsmarkt, zu erleichtern. Die offizielle Schweiz wagt damit angesichts des grossen Leids den Eiertanz zwischen paragrafentreuer Auslegung der Gesetzesgrundlage, der Anerkennung der Realität, dass die Flüchtenden wahrscheinlich länger in unserem Land bleiben werden, sowie der Solidarität mit den Betroffenen. Und sie denkt dabei auch schon gutschweizerisch an die hiesige Wirtschaft und die gesellschaftlichen Kosten der Flüchtlingswelle.

Bis zum 08.05.2022 haben sich 47’411 Ukrainische Flüchtlinge hierzulande registriert. 43’539 wurde der «Schutzstatus S» gewährt. Und täglich kommen immer noch rund 500 ins Land. Damit ist die Zahl der Flüchtenden nach nicht einmal drei Monaten schon grösser als in den Rekordjahren während des Kosovokrieges (1999: 47’513 Asylgesuche) und der syrischen Flüchtlingskrise 2015 (39’523 Gesuche).

Aktuelle Unterbringung

Untergebracht werden diese Flüchtlinge entweder in den Strukturen der Behörden, meist Kollektivunterkünfte, oder aber bei Privaten, dort meist in Gastfamilien oder in derzeit nicht benötigen Wohnungen. Aber auch Immobilienfirmen oder Hotels haben Unterkünfte für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Schweizweite Zahlen, wer wo untergebracht ist, sind nicht verfügbar, weil die Kantone und Gemeinden für die Unterbringung zuständig sind, nachdem der Bund als Erstanlaufstelle die Schutzbedürftigen auf diese verteilt hat. Auch wie viele Plätze in den Strukturen von Bund, Kantonen und Gemeinden verfügbar sind und geschaffen werden können, lässt sich laut offiziellen Angaben nicht beantworten. Bei Privaten wohnen die Flüchtlinge derzeit meist in überzähligen Zimmern in deren Wohnungen und Häusern. Über 31’000 Private haben knapp 80’000 Betten dafür in einem grossen Solidaritätsakt freiwillig zur Verfügung gestellt.

Zentren überproportional betroffen

Grundsätzlich sollen die Flüchtenden analog regulären Asylbewerbern gemäss einem bevölkerungsabhängigen Verteilschlüssel auf die Kantone verteilt werden. Weil rund die Hälfte aller Geflüchteten bereits vor der offiziellen Registrierung bei privaten Gastgebern untergebracht war und diese auch nach der Registrierung meist dort bleiben, kann dieser Schlüssel aktuell noch nicht eingehalten werden. Derzeit sind daher die städtischen Zentren am stärksten von der Flüchtlingswelle betroffen, weil diese Erstanlaufstelle für viele Flüchtende waren und auch diese Erstanlaufstellefür viele Flüchtende waren und auch nachziehende Familienmitglieder räumlich nicht voneinander getrennt werden sollen. Um dieses Ungleichgewicht zu korrigieren, verteilt der Sonderstab Asyl nun Flüchtlinge ohne Bezug zu privaten Gastgebern oder Familienbeziehungen konsequent auf Kantone mit geringerer Belastung. Damit soll auch Druck von den ohnehin schon mit Wohnungsknappheit kämpfenden Zentren genommen werden.

Nur temporäre Lösung

Bei der derzeitigen Unterbringung der Flüchtlinge in Kollektivunterkünften und bei privaten Gastfamilien handelt es sich natürlich um keine Dauerlösung, zumal insbesondere die behördlichen Strukturen begrenzt sind und die Zahl der Flüchtlinge ansteigt. Mit zunehmender Dauer des Krieges müssen daher andere Lösungen gefunden werden. Auch der reguläre Mietwohnungsmarkt wird irgendwann zur Option für gewisse Flüchtlinge – zunächst aber wohl nur für Erwerbsfähige mit Sprachkenntnissen, die es auch tatsächlich schaffen, hierzulande eine Arbeitsstelle zu finden. Diese werden sich, dank Schweizer Lohn, bald aus eigener Kraft eine Wohnung leisten können. Wie viele das sind, kann jedoch noch kaum beurteilt werden, weil zu Sprachkenntnissen, Ausbildung und Arbeitsmarktstatus der Geflüchteten noch nicht genügend Informationen vorliegen. Die Chancen der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt sind damit derzeit, entgegen der ersten Euphorie auf eine Linderung des Fachkräftemangels, noch nicht abzuschätzen. Über die Sprachbarriere hinaus kommt die Familienstruktur der Flüchtlinge für deren Integration in den Arbeitsmarkt erschwerend hinzu. Ein Grossteil der Geflüchteten sind alleinstehende Frauen mit Kindern. Für sie wird der Eintritt in den hiesigen Arbeitsmarkt über die Sprachbarriere hinaus auch wegen des Betreuungsaufwands für den Nachwuchs zusätzlich erschwert. Die geflüchteten Männer dürften zu einem grossen Teil aufgrund ihres Alters oder körperlicher respektive psychischer Beeinträchtigungen nicht wehrpflichtig und damit unter Umständen auch nur beschränkt arbeitsfähig sein.

Teure reguläre Mietwohnungen

Wer den Sprung in den Arbeitsmarkt nicht (mehr) schafft, muss bis auf weiteres von Sozialhilfe leben. Die Höhe und Art der Beiträge unterscheiden sich dabei von Kanton zu Kanton. Klar ist jedoch, dass eine Wohnung auf dem reg lären Mietwohnungsmarkt für die meisten Flüchtlinge, die Sozialhilfe empfangen, kaum bezahlbar sein dürfte. Die Anmietung müsste also durch die Behörden erfolgen und durch diese bezahlt werden. Noch können die Behörden dank erhöhter Ausschöpfung von Reserveunterkünften, Zwischennutzung von Objekten und der grossen Solidarität von Gastfamilien meist vom kostspieligen Schritt auf den freien Markt absehen. Je mehr Zeit jedoch verstreicht, desto stärker steigt auch der Druck für eine alternative Unterbringung. Will man Geflüchteten ein würdiges, selbständiges Leben ausserhalb von Kollektivunterkünften ermöglichen und die Solidarität der Gastfamilien nicht über Gebühr belasten, kommt dafür irgendwann eigentlich nur der freie Mietwohnungsmarkt in Frage. Zwar stehen in der Schweiz mit über 70’000 Wohnungen derzeit relativ viele Wohnungen leer. Diese Reserve schmilzt auch schon ohne die Berücksichtigung der Flüchtlingswelle bedrohlich schnell dahin. Ausserdem wird der gesetzlich verankerte Verteilschüssel nach Bevölkerungsgrösse die Flüchtlinge gerade dahin verteilen, wo schon viele Menschen leben – also an Orte, wo kaum Wohnungen leer stehen.

Verheissung Schweiz

Wie sich der Ukrainekrieg weiter entwickeln wird, lässt sich kaum prognostizieren. Derzeit ist aber ein Abebben der Flüchtlingsströme eher unwahrscheinlich. Unter Berücksichtigung von Erfahrungen aus früheren Flüchtlingswellen sollte auch nicht mit einer schnellen Rückkehr der Flüchtlinge gerechnet werden. Selbst wenn kein Flüchtling freiwillig in die Schweiz gekommen ist, dürfte unser wohlhabendes Land für viele Menschen aus einem der ärmsten Länder in Europa vielleicht plötzlich eine Verheissung sein. Wann Geflüchtete die Möglichkeit haben, wieder sicher in ihr Land zurückkehren zu können, ist noch völlig offen. Und wie viele Geflüchtete freiwillig in die Ukraine zurückkehren werden, muss sich erst noch zeigen.