Seit März 2020 beherrscht die Corona-Pandemie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in der Schweiz. Führte die Pandemie zu grundlegenden Veränderungen im Wohnen oder wirkte sie als Katalysator für bereits vorhandene Entwicklungen? Welche längerfristigen Auswirkungen die Pandemie auf das Wohnen und die Immobilienwirtschaft haben wird, ist noch nicht abschliessend zu beurteilen. Die eidgenössische Kommission für Wohnungswesen (EKW) hat dazu ein Papier verfasst.

Als beratende Kommission des Bundesrates beobachtet die Eidgenössische Kommission für Wohnungswesen (EKW) die Entwicklung des Wohnungsmarktes und überwacht die Auswirkungen der Wohnraumförderung und des Mietrechts. Es biete sich deshalb an, dass sich die EKW mit den längerfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Wohnen und die Immobiliennutzung auseinandersetze, schreibt die EKW in einem Positionspapier. Bei den vorliegenden Feststellungen handelt es sich um eine Momentaufnahme, basierend auf den Einschätzungen der EKW-Mitglieder im Herbst 2021. Sowohl die beobachteten Sachverhalte wie auch die Einschätzungen dazu können sich weiterentwickeln; die EKW wird im Rahmen ihres Mandats die Entwicklungen weiterverfolgen.

Zunahme der Bedeutung des Wohnens

Die Bedeutung des Wohnens hat zugenommen. Die Erfahrungen mit Covid-19 (geschlossene Geschäfte und Freizeiteinrichtungen während des Lockdowns sowie Home-Office) zeigen, dass die Wohnung zahlreiche Funktionen erfüllen muss und kann: Arbeit, Freizeit, Essen, Erholung, Schlafen. Die Erfahrung, dass die Wohnung zum Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens wurde, macht Einrichtung, Behaglichkeit und vielseitige Nutzbarkeit der Wohnung wichtiger (Cocooning-Effekt). Die Anforderungen an die Flexibilität in der Wohnnutzung nehmen zu. Die Trennung Wohnen/Arbeiten verwischt sich insbesondere im Bereich der Büroberufe tendenziell.

Zunahme des Interesses nach grösseren Wohnungen

Das Interesse nach grösseren Wohnungen hat während der Pandemie spürbar zugenommen. Bei Suchanfragen auf Wohnungs-Vermittlungsportalen sind zusätzliche Zimmer, ein Balkon oder andere privat nutzbare Aussenräume besonders beliebt. Sollte sich dieser Trend bestätigen und die flächenmässige Nachfrage steigen, dürfte der Wohnflächenkonsum damit weiterhin zunehmen. Dies im Kontrast zur bisherigen Bautätigkeit, welche sich auf kleinere Wohnungen konzentriert. Dies hängt aber auch mit der Trägheit des Immobilienmarkts zusammen, der aus Planungsgründen nicht kurzfristig auf diese Nachfrage reagieren kann.

Verlagerung der Nachfrage in periphere Lagen

Der Wunsch nach mehr Wohnfläche führt dazu, dass vermehrt Wohnraum in den Agglomerationen oder im ländlichen Raum gesucht wird – weil er dort günstiger ist. Ein Zusatzzimmer wird vielfach erst ausserhalb der Zentren leistbar. Allerdings ist ein Umzug oft nicht kurzfristig umsetzbar. Deshalb werden sich die Auswirkungen dieses Trends (inkl. allfällige Preissteigerungen in diesen Regionen) erst verzögert bestätigen lassen.

Der Trend zum «Wohnen im Grünen» ist nicht neu, wird aber durch Corona verstärkt. Damit gehen längere Wege und weniger Zentralität einher. Die Mobilität nimmt damit tendenziell zu. Man nimmt sie in Kauf, da die Frequenz mit Home-Office seltener ist. Wie längere Arbeitswege und Home-Office künftig gegeneinander abgewogen werden, wird sich jedoch noch zeigen. Gleichzeitig bleiben die Qualitäten des Wohnens im urbanen Raum weiterhin gefragt. Die Nachfrage nach Wohnraum in der Stadt bleibt hoch. Zugleich zeigt der Mietpreisindex des Bundesamtes für Statistik steigende Tendenz.

Steigende Nachfrage und Preisanstieg

Die Corona-Pandemie hat zu einer anhaltenden Nachfragesteigerung nach Wohneigentum geführt – teilweise auch aus dem Ausland. Gefragt ist eine hohe Qualität; besonders begehrt ist der Neubau. Das Angebot vermag die Nachfrage nicht zu befriedigen. Ein zusätzlicher Treiber ist womöglich das Bedürfnis nach Wohnsicherheit. Das Preiswachstum beschleunigt sich dadurch. Dies bedeutet eine zusätzliche Hürde für die durch die Bestimmungen der Nationalbank bereits hohen Anforderungen der Finanzierung. Dadurch wird der Erwerb von Wohneigentum für immer weniger Haushalte erschwinglich.

Steigende Nachfrage nach Zweitwohnungen

Aufgrund der Möglichkeiten von Home-Office steigt die Nachfrage nach Zweitwohnungen: Home-Office in Verbindung mit Weekend-Aufenthalten. Dies kann sich durch einen steigenden Preisdruck auch auf den Erstwohnungsmarkt auswirken, wodurch für die lokale Bevölkerung und Arbeitnehmer erschwinglicher Wohnraum zunehmend rar wird.

Büroflächen bleiben gefragt

Der Anteil von Home-Office wird in vielen Branchen künftig höher liegen als vor der Pandemie. Zwischen 2020 und 2021 erhöhte sich laut BFS der Anteil von Personen, die im Home-Office arbeiten, von 24,6 auf 34,1% (im Jahresschnitt). Mittel- bis langfristig ist davon auszugehen, dass die Wirtschaftsentwicklung und die weitere Tertiarisierung die Nachfrage nach Büroflächen wieder antreiben werden (auch nach Co-Working-Spaces).

Auch müssen mehr Home-Office und die Einführung von Desk-Sharing-Konzepten nicht unbedingt weniger Büroflächen bedeuten. Oft sind im Gegenzug mehr Begegnungs- und Besprechungsflächen vorzusehen. Das Büro wird seinen Platz als Identifikations- und Arbeitsmittelpunkt behalten – besonders im Hinblick Mitarbeiterbindung, Produktivität und Innovationsfähigkeit. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Standortqualität und Ausstattung von Büroflächen.

Zunehmend unsichere Wohnverhältnisse

Mit der Pandemie verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation zahlreicher Haushalte durch Einkommenseinbussen. Dies gilt insbesondere für diejenigen Haushalte, für welche die Wohnkosten bis anhin bereits einen beträchtlichen Anteil ihres Budgets ausmachten und nun in Zahlungsschwierigkeiten gelangen. Bislang haben die staatlichen Unterstützungsmassnahmen die Folgen dieser Entwicklung stark abgefedert. Wer sich künftig seine Wohnung nicht mehr leisten kann, steht vor der schwierigen Aufgabe, eine neue, für sich erschwingliche und akzeptable Unterkunft zu finden, trotz allfälligen Schulden oder weiteren ungeregelten Problemen. Die Nachfrage nach preisgünstigem Wohnraum bleibt hoch.

Auswirkungen auf den Bestand

Die Corona-Pandemie kann sich mittel- bis langfristig auch auf den Bestandsmarkt auswirken, wenn von Corona Betroffene in Zahlungsschwierigkeiten geraten und die Miete nicht mehr bezahlen können.

Lediglich temporärer Einfluss

Mittel- und langfristig werden wir den Einfluss der Pandemie quantitativ nicht mehr direkt feststellen. Die Gesetzmässigkeiten des Wohnungsmarktes bleiben gleich. Die Corona- Pandemie hat allerdings einen Digitalisierungsschub ausgelöst, welcher die Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten, insbesondere im Bereich der Büroberufe, verwischen könnte. Eine Zunahme des Interesses nach grösseren Wohnungen sowie die Verlagerung der Wohnungsnachfrage in periphere und ländliche Lagen liegen möglicherweise nur teilweise in der Pandemie begründet, sondern können auch Ausdruck eines sich stets wandelnden Wohnungsmarkts sein.

Moderate Bautätigkeit und Leerstände

Die Bautätigkeit hat während der Corona-Pandemie keinen Einbruch erlebt und bewegt sich auf dem Niveau des Vorjahres. Bei anhaltend tiefen Zinsen und mangelnden Anlegemöglichkeiten wird die Bautätigkeit nur leicht zurückgehen. Nach zwölf Jahren ansteigender Leerwohnungsziffern ergab sich 2021 gemäss BFS eine Trendwende: Die Zahl der leeren Wohnungen geht vielerorts (v.a. in den Agglomerationen) zurück. Die regionalen Unterschiede sind nach wie vor sehr gross: während in Zentren Wohnungen gesucht bleiben, nehmen die Leerstände an peripheren Lagen zu.

Mietwohnungsbau auf hohem Niveau

Weiterhin werden zum grossen Teil Mietwohnungen gebaut – aufgrund des Anlagenotstandes und weil diese eine stetige Rendite versprechen. Auch nach der Corona-Pandemie bleibt die Nachfrage nach Mietwohnungen an zentralen Lagen hoch. Die Entwicklung der Mietpreise gemäss Mietpreisindex des BFS weist nach oben. Ausser in den grossen Zentren gehen die Angebotsmieten allerdings tendenziell zurück.

Problematische Beschaffung von Rohmaterial

Im Moment bestehen auf den Baustellen grosse Probleme bei der Materialbeschaffung. Das hat einen Einfluss auf die Terminplanung und die Kosten. Einige Firmen garantieren ihre Preise nur noch für wenige Tage.

Perspektiven

Die Kommission ist sich bewusst, dass die Corona-Pandemie auch Auswirkungen auf weitere Themen hat, die ebenfalls in einem Zusammenhang mit dem Thema «Wohnen» zu sehen sind. Folgende Aspekte sind dabei besonders zu beachten:

  1. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Home-Office und das dezentrale Arbeiten in vielen Branchen funktioniert.
  2. Ein anhaltend höherer Anteil an Home-Office hat Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis, auf die Arbeitsorganisation und somit auch auf arbeitsrechtliche Aspekte.
  3. Durch ein vermehrtes Home-Office können im Wohnumfeld Nutzungskonflikte entstehen (ungestörtes Arbeiten versus soziales Leben: Musizieren / spielende Kinder etc.).
  4. Home-Office eröffnet jedoch auch neue Möglichkeiten für die Gestaltung des Alltags (Hausarbeit, Einkaufen, Freizeit etc.).
  5. Die Corona-Pandemie wirkt sich auf das Verhältnis zwischen den Mietparteien und ihren Organisationen aus. Beratungsdienstleistungen der Verbände sind häufiger gefragt. Insbesondere regionale Verbände nehmen dabei eine beratende und vermittelnde Rolle ein. Neben vermehrten Spannungen und ungelösten Fällen kam es aber auch zu zahlreichen individuellen Einigungen – sowohl im Bereich der Mietwohnungsverhältnisse als auch der Geschäftsmieten.