Nunzio Lo Chiatto: «Innovation muss belohnt werden»

Die gegenwärtig hohe Nachfrage nach Immobilien führe oft dazu, dass die Nachhaltigkeitsethik verloren gehe und sinnvolle ökologische Massnahmen zugunsten einer höheren Rendite geopfert würden, sagt Nunzio Lo Chiatto, CEO der Berninvest AG. Er ist überzeugt, dass es ökologisch und wirtschaftlich oft sinnvoller ist, eine Liegenschaft zu sanieren anstatt einen Ersatzneubau zu planen.
Verschiedene Studien zeigen, dass die Klimaziele 2050 im Bereich Gebäude trotz der aktuellen Verbesserungsquote in der Schweiz schwierig zu erreichen sind. Wie wichtig sind dabei die ESG-Kriterien, auch während der Corona-Krise?
Nunzio Lo Chiatto: Es ist eine Tatsache, dass die Klimaziele im Bereich der Gebäude auf dem Papier besser dargestellt werden als in der realen Welt tatsächlich umgesetzt. Immobilien sind Güter mit langen Lenbenszyklen. Dies hat den Nachteil, dass Umpositionierungen nur langfristig vorgenommen werden können oder sehr teuer zu stehen kommen. Deshalb sind klar kommunizierte langfristige politische Ambitionen einer Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung, wenn man die Ziele erreichen will. Dabei rückt zwar in einer Pandemie wie die Corona Krise das Thema kurzfristig in den Hintergrund, aber für den langfristigen Pfad ändert dies wenig.
Mit den Studien zur 2000-Watt-Gesellschaft und den Empfehlungen von SIA 2040 hat die Branche bereits konzeptionelle Vorarbeit geleistet. Wird das reichen?
Studien aus der Wissenschaft sind immer gute flankierende Massnahmen. Die reale Wirtschaft reagiert jedoch erst auf Anreize. Diese können materiell aber auch subjektive Elemente beinhalten. So kann ich mir vorstellen, dass eine reife Gesellschaft eher bereit ist in die Nachhaltigkeit zu investieren, als eine Volkswirtschaft, welche mit Grundproblemen konfrontiert ist. Deshalb ist eine Investition in die Bildung und Sensibilisierung dieser Themen sehr wichtig, um das Fundament einer Zielerreichung zu legen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Produktivität einer Volkswirtschaft hoch ist oder bleibt. Dazu müssen die entsprechenden Anreizsysteme funktionieren und die Innovation muss belohnt werden.
Was unternehmen Sie konkret, um die Nachhaltigkeit im Gebäudebestand Ihrer Portfolios bei Berninvest systematisch zu erfassen und zu verbessern?
Zurzeit erfassen wir alle Daten mit der Hilfe des Gebäude Energie Ausweises der Kantone GEAK. Wir haben uns für dieses Instrument entschieden, weil die Energieetiketten mit den Stufen A bis G einfach zu verstehen sind und einen guten Überblick über die Verbrauchsdaten für den Konsumenten geben. Über eine mittlere Beobachtungsperiode lassen sich auch die richtigen Massnahmen ableiten. Selbstverständlich muss trotz diesen Leitblanken die Lagebeurteilung der zu treffenden Massnahmen für jede Sanierung oder Umpositionierung einer Liegenschaft einzeln vorgenommen werden. Dabei hilft es sehr, wenn man bereits viele Erfahrungen gesammelt hat und die Vor- und Nachteile der verschiedenen Handlungsoptionen kennt und beziffern kann.
Was geschieht mit den Bestandesobjekten, die punkto Energieeffizienz häufig schlecht abschneiden?
Zurzeit ist ein Trend zum Verkauf solcher Objekte zu beobachten. Ich möchte jedoch auf einen Rückkoppelungseffekt aufmerksam machen, welcher aus Sicht der Nachhaltigkeit eher ungünstig ausfällt. Die neuen Eigentümer solcher Liegenschaften haben vielfach keine Nachhaltigkeitsethik in ihrer Anlagepolitik und verhalten sich entgegen dem jüngsten Trend. Sie nehmen keine sinnvollen ökologische Massnahmen vor und pressen die Liegenschaften zulasten von externen Kosten langfristig aus.
Bewerten Sie auch Akquisitionsobjekte bereits nach ESG-Kriterien?
Für unsere Fonds erwerben wir in der Regel Neubauprojekte, welche mit modernsten Haustechnik ausgestattet werden. Während den letzten beiden Jahrezehnte haben wir sehr viel Wissen angesammelt und kennen die sinnvollsten und effizientesten Energiekonzepte.
Kann es sowohl aus ökologischer und ökonomischer Sicht sinnvoll sein, auch eine ältere Liegenschaften mit schlechter Nachhaltigkeitsbilanz zu erwerben und diese energetisch zu sanieren?
Auf jeden Fall. Es ist ökologisch und wirtschaftlich nicht immer die beste Lösung einen Ersatzneubau zu planen. Je nach individueller Situation bestehen heute viele Möglichkeiten, eine bestehende Liegenschaft mit neuester Technologie auszurüsten.
Wann ist ein Ersatzneubau sinnvoll?
Aufgrund der Tendenz zur Verdichtung besteht die Gefahr, dass die Opportunitätsrechnung einen Ersatzneubau attraktiver macht. Dann ist es wichtig, dass die Bauteile korrekt und ökologisch entsorgt oder teilweise rezykliert werden.
Genügen aus Ihrer Sicht die Anreizsysteme der Kantone und des Bundes zur CO2-effizienten Erstellung und Erneuerung von Liegenschaften?
Es ist sicher gut, wenn von der öffentlichen Hand gewisse Anreize gesetzt warden. Besser jedoch wäre, wenn die Nutzer die Produkte so auswählen, dass es selbstverständlich wird einen minimalen Standard in Liegenschaften bei Neubauten und bei Sanierungen zu berücksichtigen.
Welche Massnahmen und Anreize von seiten Gesetzgeber und Politik würden Sie aus Investorensicht begrüssen, um die Klimaziele in diesem Sektor schneller zu erreichen?
Es wäre sinnvoll, dass die ersten Investoren langfristig begünstigt würden und diejenigen, welche erst später auf den Zug aufspringen und die Massnahmen nachvollziehen nicht wirtschaftlich besser abschliessen. Heute ist es leider immer noch umgekehrt und es lohnt sich wirtschaftlich und risikobereinigt nicht, in eine ökologische Pioniertechnologie zu investieren.
Interview: Remi Buchschacher