Die Innenstädte in den Schweizer Gross- und Mittelzentren leiden unter der Veränderung im Konsumverhalten. Der Onlinehandel macht den Ladenbetreibern zu schaffen, Leerstände sind die Folge. Mietzinsreduktionen sind wohl nicht mehr zu verhindern.

Die Corona-Krise hat eine weitere Verschiebung
hin zum Onlinehandel ausgelöst. Die Auswirkungen auf die Innenstädte sind bereits deutlich feststellbar: Leerstände in den Ortskernen vor allem in den Erdgeschossen, wo die Nutzungen und Mieterträge wegbrechen, gerade an weniger guten Lagen. Wo Läden wegbrechen, müssen andere Nutzungen gesucht werden, beispielsweise Non-Profit-Läden, Startups, Pop-Ups, persönliche Beratungen, soziale Angebote, Kultur, Gesundheit etc. Dies erfordert die Mithilfe der Eigentümerschaft, welche die Diversifizierung in den Erdgeschossen unterstützen muss – teilweise durch Kompensation mit Mieterträgen aus den Obergeschossen.

«Wir befinden uns seit über 50 Jahren in einem stetigen Transformationsprozess. Das Auto macht die Städte quasi überflüssig. Nun kommt noch der Internethandel hinzu. Die Situation ist nicht einfach. Was bleibt, ist die „Lust am Zentrum“, also die Begegnungsfunktion, der Austausch, die Gastrono- mie, Kultur und teilweise das Einkaufen», sagt dazu Paul D. Hasler,  Mitgründer des Netzwerks Altstadt und externer Experte von EspaceSuisse. Er hat über 50 Städte zu Fragen der Altstadt-/Zentrumsnutzung und -belebung beraten Die Grundversorgung werde oft nicht mehr in der Altstadt abgedeckt. Kleider, Schuhe, Haushaltartikel werden aufgrund von Corona noch häufiger im Internet gekauft als vorher. «Und doch wünschen sich alle Innenstädte von Menschen belebte Strassen, attraktive Schaufenster und Restaurants, die den Aussenraum beleben. Orte zum Sehen und Gesehen werden. Die Kombination von Nutzung und Aussenraum wird wichtiger», ergänzt Heidi Haag, Raumplanerin und Leiterin Siedlungsberatung bei EspaceSuisse.

Lebendige Orte schaffen

Das neue Zauberwort heisst Placemaking. Dieses soll lebendige und beliebte Orte schaffen und 
damit Mehrwert für das gesellschaftliche Leben und für den Markt generieren. Art und Qualität
der Nutzungen entscheiden wesentlich darüber, wie sehr ein öffentlicher Raum, ein Areal oder
eine Immobilie von den Zielgruppen, respektive vom Markt angenommen werden. «Das heutige Mobilitätsverhalten entwickelt sich immer noch in Richtung amerikanischer Verhältnisse, auch in der Schweiz. Das Auto nimmt immer noch an Bedeutung zu. Die Kernstädte können dem nicht folgen. Zumindest in den grösseren Städten ist der Trend zum Auto aber ausgereizt», hält Paul D. Hasler fest.

Die Einflussfaktoren auf die Nutzungsentwicklung für Areal- und Immobilienentwicklungen sowie für öffentliche Räume wie Stadt- und Gemeinde- zentren sind einem Wandel ausgesetzt, der durch die Corona-Krise noch verstärkt wird. Immobilien und Areale können nur zukunftsfit am Markt gehalten werden, wenn öffentliche Räume besser auf die Bedürfnisse der heutigen und zukünftigen Zielgruppen ausgerichtet werden. Markt- und Zielgruppenanalysen, Nutzungskonzepte und gezielte Nutzersuche sind entscheidend von der Akzeptanz der Menschen abhängig. Von Nöten ist eine Schärfung des Verständnisses, wie durch die Nutzungsentwicklung in einem kooperativen Vorgehen öffentlich-private Win-Win-Situationen generiert werden können.

Doch nicht alle Städte nehmen das Thema Placemaking gleich ernst und bewilligen nach wie vor Magnete in Aussenquartieren. Das führt zusätzlich zum Verlust von Passanten-Frequenz in den Innenstädten und somit zu weniger potenzieller Kundschaft. «Man kann Zentralität nicht verlagern oder ersetzen. Was an täglichem oder periodischem Bedarf aus dem Zentrum verschwindet, ist für dieses verloren. Es gibt kaum Gegentrends. Andererseits muss man die räumlichen Realitäten akzeptieren. Wir haben enge Verhältnisse im Ortskern», hält Hasler fest. Er empfehlt eine aktive Raum- und Liegenschaftspolitik um dem entgegenzuwirken. Wer die «Grossen» im Zentrum haben wolle, müsse sich um sie bemühen, auch durch eine vorausschauende Raumentwicklung. Man dürfe die Möglichkeiten der Städte aber nicht überschätzen. Eine aktive Boden- oder Liegenschaftspolitik und eine kooperative Haltung gegenüber den «grossen Playern» sei schon viel.

Politik schaltet sich ein

Nun greift die Politik ein: Die Stadtberner Regierung möchte künftig nur noch jenen Nutzungen Räume im Erdgeschoss erlauben, die man auch betreten kann – ohne vorgängig einen Termin zu vereinbaren. Darüber wird in Bern im Herbst abgestimmt. Sind noch mehr Gesetze der richtige Weg? Heidi Haag: «Der Reiz der Altstadt für Touristen besteht neben der Architektur auch im Leben und im Flanieren unter den Lauben. Wenn es hier nichts mehr zu sehen gibt, die Schaufenster verklebt sind, verliert die ganze Stadt. Ich verstehe diese Sorge schon. Unproblematisch ist es, wenn die oberen Geschosse für Gewerbe oder auch wieder vermehrt für Wohnen genutzt werden». Jede Reglementierung bremst aber die Kreativität derjenigen, die für lebendige Innenstädte sorgen sollten. Beim Placemaking geht es denn auch um die Verweildauer der Besucherinnen und Besucher. Doch nicht jedes Verweilen ist für alle erbaulich. «Wir müssen auch über Nachtlärm, Littering und soziale Zentrumslasten sprechen. Die Stadt ist kein Selbstbedienungsladen für soziale Funktionen. Es ist ein Geben und Nehmen», ergänzt Paul D. Hasler.

Auch in Luzern ist die Leerstandsproblematik
 gross. Zum Beispiel leidet die Pfistergasse (im Bild oben) in der Innenstadt unter einem grossen Leerstand in
den Erdgeschossen. Einige Ladenlokale stehen schon seit längerer Zeit leer. Müssten die Mieten gesenkt werden, um die Innenstädte zu beleben? Paul D. Hasler: «Der Markt sagt ja. Das wissen die Eigentümer. Wir empfehlen den Eigentümern, nicht den Weg über Leerstände zu gehen, weil sie unter dem Strich Geld verlieren werden und die Nachbarn schädigen». Lasse man Flächen leer stehen, werte man eine ganze Lage ab. «Das will niemand. Besser, man nimmt die Eigentümer zusammen und berät, wie man die Zukunft anpacken will». Er empfiehlt sogenannte «Gassenclubs» zur Solidarisierung unter den Liegenschaftsbesitzern. Es sei das schweizerische Format eines «Business Improvement District». Liberal, ohne Zwang, aber gangbar. Das amerikanische Format der Zwangssolidarisierung sei bei uns bisher chancenlos geblieben. «Die Schweizer lassen sich nicht gerne etwas vorschreiben, auch wenn es ihnen helfen könnte», resümiert er.

Zwei Beispiele:

Delémont hat sich mit den Nachbargemeinden auf eine exklusive Zentralität geeinigt. Alles, was an Detailhandelsanfragen daherkommt, wird an die Kernstadt weitergeleitet. Die kann die Nutzungen dann platzieren. Das Konzept hat sich seit über 10 Jahren bewährt und dazu geführt, dass Delémont auch die Grossen im Zentrum hat, mit einem Gewinn für die ganze Region.

In Aarberg hat es die Gemeinde dank einer aktiven Bodenpolitik geschafft, die Migros ins Zentrum zu holen. Man hat extra Platz geschaffen für den Grossverteiler, indem man Kontakte zwischen Post und Migros geknüpft und so erreicht hat, dass die Migros das Postgebäude erwerben konnte. Die Stadt und die Migros möchten nun gemeinsam einen massgeschnei- derten Neubau an die Altstadt setzen. Auch die Denkmalpflege hilft mit. Das ging nur, weil man gleichzeitig Migros signalisiert hat, dass man periphere Standorte verhindern wird. Es braucht also Push-Pull.

(vgl. densipedia.ch > Gute Beispiele > Aarberg) Das Projekt ist ausführbereit aber derzeit sistiert. (https://www.aarberg.ch/de/aktuelles/meldungen/ Migros.php)

Lesen Sie auch das Interview mit Sreten Petkovic von der Swiss Retail Solutions G zum Thema Innenstädte:

Sreten Petkovic: Tiefere Mieten für besseren Mieter-Mix