Die Digitalisierung in der FinTech-Branche schreitet unaufhörlich voran. Nicht so im FM. «Es ist notwendig, dass sich jeder Besteller mit seinen Zielen für die Immobilienstrategie auseinandersetzt und im Anschluss die Informationsanforderungen für seine Organisation definiert» sagt Michael Ulli, CEO der ICFM AG.

Die pandemische Krise hat uns neben Nachteilen auch Potenziale aufgezeigt. Wir erleben neue Arbeitswelten, Kollaborationsmodelle und eine eingeschränkte Mobilität. Daraus können alle lernen. Was kann die Digitalisierung dazu leisten?

Michael Ulli: Die Digitalisierung konnte mit technischen Hilfsmitteln wie der Videotelefonie und den virtuellen, organisationsübergreifenden Projekträumen einen grossen Beitrag dazu leisten, so dass viele Menschen trotz Social Distancing weiter zusammen arbeiten können. Diese technischen Lösungen waren sehr rasch verfügbar und wurden beziehungsweise werden weiterhin optimiert.

Bisher war die Akzeptanz nicht überall gegeben.

Aufgrund des Zwangs wurden sie von den Menschen schnell akzeptiert und ebenso schnell in grossen wie kleinen Organisationen etabliert. Das Homeoffice wurde zum Segen für viele Organisationen. Die Art der organisationsübergreifenden Zusammenarbeit im Homeoffice hat sich trotz der anfänglichen Herausforderung positiv verändert. Durch die zwangsweise vermehrt proaktive und fokussierte Kommunikation aller Beteiligten, wird das gegenseitige Verständnis gestärkt und der Zusammenhalt verbessert. Gleichzeitig werden die Reisezeiten minimiert und somit die Work-Life-Balance für viele Menschen verbessert. Die flexible Arbeitstaggestaltung, welche bisher vor allem von digitalen Nomaden gelebt und geschätzt wurde, wird für viele Arbeitnehmende der Dienstleistungsbranche zur Normalität. Die Veränderung bedingt auch verbesserte interne Kommunikation. Meiner Meinung nach führen die neuen Arbeitswelten und Kollaborationsmöglichkeiten auch effektiv zu besseren Resultaten. Es profitieren sowohl die Arbeitgeber wie auch die Arbeitnehmenden von den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung.

Kann sich die FM Branche deshalb nun als Innovationstreiber für die Energiewende besser Gehör verschaffen?

Jein. Das Facility Management wurde während der Pandemiezeit nur wahrgenommen als Aufsteller der Desinfektionsständer und als Verhinderer der üblichen Sitzordnung während des Mittagessens oder an Meetings. Ich glaube aber das herausfordernde Jahr hat mindestens teilweise zu einem Umdenken geführt und bietet innovativen Ansätzen idealen Nährboden. Ob sich die FM-Branche aber als Treiber für Veränderungen etablieren kann, wage ich zu bezweifeln. Das liegt allerdings in der Natur der Sache. Die Unternehmensimmobilien bestehen bereits und deren Optimierung und Anpassungen an die veränderten Bedürfnisse erfordern Zeit und Geld. Nur wenn diese Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, können auch innovative Lösung für die neuen Arbeitswelten geschaffen werden. Ansonsten kann das FM nur wie bis anhin, in der bestehenden Substanz Optimierungen für die neuen Bedürfnisse vornehmen.

Als Immobilienbetreiber muss das FM also die Beratungskompetenz aufbauen, um den Kunden beim CO2-turn-around zu beraten?

Unbedingt. Dies ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es ist wichtig, dass den Eigentümern aufgezeigt werden kann, wie sie ihre Immobilien kontinuierlich nachhaltiger gestalten können. Nicht jede Massnahme passt mit der Immobilienstrategie des Eigentümers zusammen. Es ist wichtig, dass vor jedem Investitions- beziehungsweise Devestitionsentscheid das Ziel der Dekarbonisierung mitberücksichtigt wird, um so schrittweise eine Verbesserung zu erreichen.

Das ist eine Herausforderung: Können die angestrebten Klimaziele ohne regulatorische Eingriffe überhaupt erreicht werden?

Nein. Der Leidensdruck ist zu gering. Da wir bis jetzt nur minimal von der Auswirkung der globalen Klimaerwärmung betroffen sind, werden wir ohne monetären Anreiz unser Verhalten als Gesellschaft nicht ändern. Mobilität und auch Energie sind viel zu günstig als dass mit diesen nachhaltig umgegangen wird. In meiner Generation ist der Wochenendtrip nach London, in Folge des geringen Preises, immer noch normal und leider wird dieses Bedürfnis durch die Pandemie nicht verändert, sondern nur hinausgezögert. Natürlich helfen Entwicklungen in einzelnen Bereichen unseren Energiebedarf zu optimieren. Allerdings benötigen wir jährlich mehr elektronische Geräte, welche Ressourcen zur Herstellung und Strom für den Betrieb verbrauchen – das führt zu keiner Reduktion unseres Gesamtverbrauchs. Erst wenn die Preise der Energie und der Mobilität – inklusive der Transportkosten für unsere transkontinentalen Konsumgüter – den wirklich verursachten Kosten entsprechen, wird ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden.

BIM wird oft als Heilsversprechen für die Zukunft des FM bezeichnet. Sehen Sie das auch so?

Jein. Das kommt auf die Implementierung der Methode und das Verständnis aller Projektbeteiligten an. Solange BIM als 3D-Planung angeschaut wird bringt sie dem FM überhaupt nichts. Ob die benötigten Daten über die herkömmliche Planung oder über ein 3D-Modell der Bewirtschaftung nicht fristgerecht oder nicht in der gewünschten Qualität übergeben werden, macht keinen Unterschied. Wenn BIM jedoch als Methode der interdisziplinären Zusammenarbeit gelebt wird, können auch die Interessen des FMs berücksichtigt werden. Um dies zu erreichen bräuchte man kein 3D-Model und auch kein BIM. Es wäre lediglich nötig, dass sich alle Beteiligten innerhalb eines Bauprojektes auf Augenhöhe begegnen können und gemeinsam nach der bestmöglichen Lösung gesucht wird. BIM könnte somit ein Katalysator dieser Entwicklung sein.

BIM ist also eine gewaltige Herausforderung – und zwar für sämtliche Beteiligten in der Entwicklung, Planung und Realisierung von Immobilienprojekten?

Natürlich ist es für alle Beteiligten eine riesige Herausforderung, wenn die neue Methode sinnvoll implementiert werden soll. Man muss sich nicht nur von den bestehenden, konfrontativen Verträgen verabschieden, sondern man muss auch innerhalb eines dynamischen, sich verändernden IT-Umfelds auf die neuen Möglichkeiten reagieren. Das Ganze muss geschehen, ohne auf bestehende Erfahrungen zurückgreifen zu können. In der IT versucht man dies mittels agiler Projektabwicklungsmethoden. Diese Methoden müssen aber erst noch von der Baubranche adaptiert werden. Meiner Meinung nach ist diese noch zu sehr gefangen in einem normativen, nicht digitalisierten Umfeld. Ich denke da gibt es noch viel zu tun bis wir ein gemeinsames Verständnis der neuen Methode geschaffen haben und auch leben können. Der Ball liegt bei allen Beteiligten.

Wenn eine Immobilie in den Betrieb übergeht müssen die für eine nachhaltige und effiziente Immobilienbewirtschaftung relevanten Daten, wie aktuelle CAD-Pläne, Anlagelisten und Wartungsinformationen oft mit viel Aufwand zusammengesucht werden. Das kostet viel Geld. Fehlt es an den Richtlinien?

Es fehlt nicht nur an Richtlinien und Standards, sondern auch an Know-How auf Bestellerseite und deren Beratern. Was für ein Spital die richtige Datentiefe und Detailtiefe ist, kann für einen institutionellen Anleger viel zu viel Informationen sein. Dies führt dann nicht zu einem Mehrwert, sondern lediglich zu einem Datenfriedhof. Auch ist das organisatorische wie auch das IT-Umfeld des Bestellers entscheidend für die benötigten Informationen. Es nützt nichts, wenn ich die 20 Steckdosen-Attribute aus einer BIM-Planung erhalte aber mein externer FM-Provider das Nachführen nicht in seinem Vertrag hat oder kein CAFM-System im Einsatz hat um dies bewirtschaften zu können. Es ist notwendig, dass sich jeder Besteller mit seinen Zielen für die Immobilienstrategie auseinandersetzt und im Anschluss die Informationsanforderungen für seine Organisation definiert. Während diesem Prozess muss auch definiert werden, wer diese Informationen wie und wo nachführt. Wenn dies nicht gewährleistet ist, wird der digitale Zwilling sterben, da die Datenqualität nicht mehr gewährleistet ist.

Die zur Immobilie gehörenden Daten sollten also beim Bauherr bleiben und dem Bewirtschafter, dem Mieter oder Hauswart über den ganzen Lebenszyklus der Immobilie zur Verfügung stehen. Dies ist aber heute nicht immer der Fall?

Leider noch nicht immer und überall. Das kollaborative Arbeiten muss auch in der Bewirtschaftung noch zum Standard werden. Es profitiert niemand, wenn alle drei Jahre, bei der neuen FM-Ausschreibung sämtliche Daten neu erhoben werden müssen. Die Daten werden vielfach in unterschiedlichen Systemen und Detailgraden geführt. Nur wenn der Eigentümer eine zentrale Lösung für die Bewirtschaftung der Daten zu Verfügung stellt, kann sichergestellt werden, dass alle Beteiligten die für sie notwendigen Informationen verfügbar haben. Dafür muss auch definiert sein, welche Daten vom wem im Minimum nachgeführt werden müssen. Die Betreiberverantwortung und Eigentümerhaftung können nur mit definierten Prozessen und Systemen lückenlos dokumentiert werden. So ist es im Interesse aller an einem gemeinsamen Datenpool zu arbeiten.

Oft wissen die am Bau Beteiligten aber nicht, dass die Nachhaltigkeit einer Managementlösung beim baubegleiteten Aufbau liegt und sie erstellen ihre eigenen Flächenmanagementlösungen zur Dokumentation ihres Leistungsauftrages. Fehlt es an der Kommunikation zwischen Architekten und Bauherren?

Kommunikation ist sicherlich ein Problem, jedoch bedingt durch unterschiedliche Erwartungen und dem fehlendem gemeinsamen Verständnis.  Meiner Meinung nach ist aber die grösste Herausforderung für alle Beteiligten, bei den unendlich vielen Möglichkeiten die momentan präsentiert werden, denjenigen Weg zu finden, der die aktuellen Bedürfnisse abdeckt und zukünftig neue Optionen ermöglicht. Deshalb ist es unumgänglich sich mit den bestehenden Prozessen auseinander zu setzen, um zu verstehen was die zukünftigen Prozesse einfacher machen könnte. Im Bauprojekt müssen die daraus entstehenden Informationsanforderungen dann zu einem gemeinsamen Projektabwicklungsplan zusammengeführt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle benötigten Informationen, am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Qualität vorhanden sind.

Interview: Remi Buchschacher

Michael Ulli ist CEO der ICFM AG in Urdorf, welche darauf spezialisiert ist, kundespezifische CAFM-Lösungen zu entwickeln.