Die seit Corona beschleunigte Entwicklung Richtung Digitalisierung von Dienstleistungen werde sich nicht aufhalten lassen. Gleichzeitig mit diesen Entwicklungen wurden in den letzten Jahren grosse neue Büroflächen gebaut. Das gehe nicht spurlos am Markt vorbei, sagt Prof. Klaus Wellershoff von Wellershoff & Partner. Die Corona-Rezession werde wohl länger anhalten als viele meinen.

Auf den Kapitalmärkten herrscht eine Phase der Stagnation. Verschiedene Oekonomen sprechen deshalb von einem «Japanisierungs»-Szenario. Also dass auch Europa nach dem japanischen Beispiel eine längere Phase von geringer Inflation / Deflation, niedrigen Zinsen und geringem Wirtschaftswachstum erleben dürfte. Teilen Sie diese Vorstellung kurz vor dem Jahreswechsel?

Prof. Klaus Wellershoff: Die Corona-Rezession wird wohl länger anhalten als viele meinen, aber danach sehen wir nicht die gleichen Strukturprobleme bei Unternehmen, wie sie mit der Überschuldung in Japan vorhanden waren. Die japanischen Unternehmungen konnten für viele Jahre nicht investieren, weil sie nach dem Börsen- und Immobiliencrash im Schnitt eine Unterbilanz aufgewiesen haben. Bis heute sind die japanischen Aktienkurse und Immobilienpreise nicht wieder zurück auf den Werten von Ende der achtziger Jahre. Unsere tiefen Zinsen sind vor allem die Folge der ultra-expansiven Geldpolitik der Zentralbanken und nicht der Investitionsschwäche der Unternehmen geschuldet.

Der Immobilienmarkt würde im «Japanisierungs»-Szenario ein Substitut für den Anleihemarkt darstellen, sodass institutionelle Investoren ihre Multi-Asset-Portfolios zulasten von Bonds und zugunsten von Alternativen Assets, wie Immobilien, ausrichten dürften. Also doch noch etwas Positives?

Am Japan-Szenario gibt es nichts Positives, man darf den Beginn dieses Szenarios, den Crash, nicht ausblenden. In Tokio liegen die Preise für Wohnimmobilien heute noch 60 Prozent unter dem Wert von 1990. Wenn Sie Recht haben sollten mit Ihrem Japan-Szenario, dann wäre es jetzt höchste Zeit alle Immobilien und Aktien zu verkaufen. Zum Glück ist unsere Lage aber eine andere. Bei uns ist der Immobilienmarkt bereits heute ein Substitut für Obligationenanlagen. Tiefe Zinsen bedeuten steigende Preise für Anlagen. Nimmt man die starke Nachfrage nach Wohnimmobilien hinzu, gibt das sogar trotz steigender Preise eine attraktive laufende Einnahmenrendite. Das macht die Immobilien stark.

Müssten wir uns nicht auch Gedanken machen zum Spannungsverhältnis von (Über-)Liquidität und dem anhaltenden Rückgang der Büromarktrenditen seit 2014 und den Auswirkungen der Corona-Krise?

Niemand sagt, dass es keinen Strukturwandel gibt. Die Schweiz hat in den letzten Jahren schrittweise als Unternehmensstandort an Attraktivität verloren. Der starke Franken hat nicht geholfen und die Steuerattraktivität der Schweiz hat trotz Unternehmenssteuerreform gelitten. Die Finanzkrise und die zunehmende Transparenz haben zum Beispiel den Druck auf die Banken deutlich erhöht, mit weniger Fläche auszukommen. Die seit Corona beschleunigte Entwicklung Richtung der Digitalisierung von Dienstleistungen wird sich auch nicht aufhalten lassen. Gleichzeitig mit diesen Entwicklungen wurden in den letzten Jahren grosse neue Büroflächen gebaut. Das geht nicht spurlos am Markt vorbei.

Gerade vor dem Hintergrund der Renditekompression in den letzten Jahren und der daraus entstandenen Renditewüste: Sollten Immobilieninvestitionen vermehrt auf ihre Werthaltigkeit überprüft werden?

Die Qualität der Immobilie ist das A und O einer Immobilienanlage in Phasen tiefer Zinsen. Bei tiefen Zinsen können schon kleine Zinsveränderungen deutliche Nachfrageverschiebungen ausmachen. Wer da auf einer unattraktiven Immobilie sitzt, muss mit mehr Preisvolatilität rechnen.

Niedrige Zinssätze führten in der Vergangenheit zu regelrechten Aufwertungsblasen. Schauen Investoren zu sehr auf Preise – und nicht auf nachhaltige Werte?

Grosse Teile des Marktes sind immer noch mit Vernunft und gesundem Menschenverstand unterwegs. Wenn die Immobilienpreise steigen, dann registrieren wir das sicher positiv. Das ist doch ganz normal. Dass man nur auf steigende Preise setzt, wie in den achtziger Jahren auch bei uns in der Schweiz, sehen wir aktuell noch nicht.

Die Preise für Immobilien haben sich in Europa sehr stark erhöht. Das klingt angesichts der gegenwärtigen Coronakrise paradox. Das Renditeumfeld auf den europäischen Immobilienmärkten geriet in der jüngsten Vergangenheit stark unter Druck. Sind Renditen von unter drei Prozent noch nachhaltig?

Wenn das Zinsniveau tief bleibt, sicherlich. Dann werden die Renditen auf den Immobilienmärkte sogar noch weiter sinken. Wir müssen uns aber daran gewöhnen, dass Immobilien genau wie alle anderen Anlageklassen auch ein Zinsrisiko besitzen.

Zur Coronakrise: Drohen uns gesamtwirtschaftliche Wohlstandsverluste?

Die sind schon da. Je nach Betroffenheit und dem von der Politik eingeschlagenen Weg allerdings in sehr unterschiedlicher Grösse. Wir werden sehr lange brauchen, bis unsere Volkswirtschaften wieder auf den vor Corona zu erwartenden Pfad der Wirtschaftsentwicklung zurückkommen. Das ist schwierig zu erklären. Aber Ende 2019 durften wir damit rechnen, dass wir Ende 2021 real ein gut dreieinhalb Prozent höheres Volkseinkommen haben würden. Jetzt wären wir froh, wenn wir dann wieder auf dem Niveau von Ende 2019 ankommen würden. Gleichzeitig ist unsere Staatsverschuldung und die Verschuldung vieler Unternehmen deutlich angestiegen. Wenn man das genau berechnet fehlen uns schnell einmal gegen 100 Milliarden Franken.

Wie werden Kleinsparer davon betroffen sein?

Das ist das Paradox dieser Zeit: Sparen lohnt nicht mehr und dennoch haben wir aufgrund der tieferen erwarteten Renditen in unserem Altersvorsorgesystem vermehrt Grund zu sparen. Wir haben also nicht nur tieferes heutiges Einkommen, sondern auch ein tieferes zukünftiges Einkommen aufgrund der tieferen Zinsen. Wer da nicht von dem Aufwertungseffekt der Anlagepreise aufgrund eben der tieferen Zinsen profitiert, gehört relativ betrachtet klar zu den Verlierern der Entwicklung. Hier schlummert ein Umverteilungsthema, dass die politische Linke noch gar nicht aufgegriffen hat.

Die meisten Menschen arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen. Doch KMU sind in Gefahr: Grosse Firmen nutzen zurzeit die Situation für Firmenübernahmen und Mega-Fusionen. Wie gefährlich ist diese Wettbewerbseinschränkung?

Der Markt ist aktuell ziemlich verzerrt. Das liegt nicht nur an Corona und den Hilfsmassnahmen, sondern auch an dem leichteren Zugang zu Kapital für Grossunternehmen an boomenden Finanzmärkten. Wir sind aber zuversichtlich, dass sich diese Situation wieder normalisieren wird. Mittelfristig werden die KMU auch weiterhin die meisten Arbeitsplätze schaffen.

Wie lange werden uns die Auswirkungen der Coronakrise beschäftigen?

Dank der gestiegenen Staatsverschuldung, den zu erwartenden politischen Kämpfen bei der Defizitreduktion und dem ins Haus stehenden tieferen Trendwachstum werden die ökonomischen Auswirkungen uns sicherlich ein Jahrzehnt lang beschäftigen.

Interview: Remi Buchschacher

Prof. Klaus W. Wellershoff ist einer der profiliertesten Oekonomen in der Schweiz. Er war Chefökonom der UBS, heute ist er Verwaltungsrat bei Wellershoff & Partner, einem unabhängigen Beratungsunternehmen.