Auf dem Gebiet der Immobilienanlagen sind Blockchain-Abwicklungen gegenwärtig noch eine Randerscheinung. Ob der Einsatz der Blockchain-Technologie die herkömmlichen Immobilienanlageformen wirksam konkurrenzieren oder gar verdrängen könnte, wird massgeblich von den technologischen und rechtlichen Entwicklungen abhängen.
Von Etienne Trandafir*
Bei einem Initial Coin Offering (ICO) gibt ein Emittent Tokens aus, welche von In- vestoren gegen eine Zahlung in einer Kryptowährung (zum Beispiel Bitcoin oder Ether) erworben werden. Die Ausgabe der Tokens und die Zahlung des Ausgabepreises erfolgen auf einer Blockchain – einem dezentral geführten, elektronisch- en Register. Das ICO stellt somit eine Form von Crowdfunding dar. Grundsätzlich können beliebige Projekte auf diesem Weg finanziert werden. Zu solchen Projekten gehören auch Immobilieninvestitionsvorhaben. So wurde im März 2019 ein wegweisendes Immobilieninvestitionsprojekt in der Schweiz mittels Blockchain-Technologie durchgeführt: Vier Investoren beteiligten sich am Kauf einer aus einem Restaurant sowie achtzehn Wohnungen bestehenden Liegenschaft in Baar (ZG). Weitere Blockchain-basierte Immobilienanlageprojekte sind gegenwärtig im Gang oder befinden sich noch in der Planungsphase.
Die Bereitschaft von Investoren, ein bestimmtes Immobilieninvestment zu tätigen, hängt insbesondere von den im Gegenzug für ihre Investition erhaltenen Beteiligungsrechten ab. Entscheidend ist daher die Frage, welche Rechte an Immo- bilien mit Tokens verknüpft und somit an die Investoren übertragen werden können.
Eigentum und andere dingliche Rechte
Zur Übertragung des Grundeigentums bedarf es in der Schweiz eines öffentlich beurkundeten (Kauf-)Vertrags; zudem geht das Eigentum am Grundstück erst im Zeitpunkt der Eintragung des Erwerbers als neuer Eigentümer in das Grundbuch über. Diese Formerfordernisse gelten ebenfalls für die Begründung von beschränkten dinglichen Rechten an Grundstücken (zum Beispiel Dienstbarkeiten wie Nutzniessungsrechte oder Wohnrechte). Sie verunmöglichen die Begründung und anschliessende Übertra- gung von dinglichen Rechten an Grundstücken auf einer Blockchain. Dieser Grundsatz wird von der Gesetzesvorlage des Bundesrats zur Anpassung des Bundesrechts an die Distributed Ledger Technologie nicht tangiert und dürfte sich in absehbarer Zukunft nicht ändern.
Vertraglicher Anspruch auf Nutzung
Die auf die Übertragung von dinglichen Rechten anwendbaren Formvorschriften gelten nicht für die Begründung von vertraglichen Nutzungsansprüchen an Immobilien. Insbesondere könnten Miet- oder Pachtverträge durch den Austausch von Tokens auf einer Blockchain zustandekommen. Denkbar wäre beispielsweise, dass ein von einem Vermieter programmierter Smart Contract beim Eingang bestimmter Kryptogeldbeträge Tokens ausgibt, wodurch Mietverträge zustande kämen. Die Blockchain-Technologie könnte namentlich im Hotel- und Apparthotelbetrieb zum Einsatz kommen und den Abschluss von Beherbergungsverträgen sowie die Abwicklung von Zahlungen erleichtern.
Beim Abschluss von Verträgen betreffend die Nutzung von Immobilien wäre jedoch stets zu beachten, dass der Einsatz der Blockchain-Technologie an der Qualifikation des Privatrechtsverhältnisses als Miet- oder Pachtvertrag beziehungsweise an der Anwendbarkeit der für diese Vertragsarten geltenden, zwingenden Gesetzesvorschriften – insbesondere der Bestimmungen betreffend den Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen und den Kündigungsschutz – nichts ändern würde. Namentlich wäre seitens des Vermieters von Wohn- und Geschäftsräumen die Formularpflicht für die Mitteilung des Anfangsmietzinses oder die Kündigung des Mietverhältnisses weiterhin zu beachten.
Tokenisierung von indirekten Immobilienanlagen
Indirekte Immobilienanlagen zeichnen sich dadurch aus, dass der wirtschaftlich Berechtigte die betreffenden Immobilien über ein zwischengeschaltetes Anlagevehikel erwirbt. Die Blockchain-Technologie kann auch in diesem Kontext zum Einsatz kommen. Dabei werden nicht die Immobilie selbst oder vertragliche Ansprüche im Zusammenhang mit deren Nutzung tokenisiert, sondern die Anteile am gewählten Anlagevehikel (zum Beispiel Aktien oder Fondsanteile).
Als die in der Schweiz meistverbreitete Gesellschaftsform stellt die Aktiengesellschaft das nächstliegende juristische Gefäss dar, um Immobilien zu halten. Die Einbringung von Grundstücken in eine als AG gegründete Immobiliengesellschaft hätte zudem den Vorteil, dass mit dem Erwerb von (tokenisierten) Aktien nicht nur Vermögensrechte an die Token-Inhaber übertragen würden, sondern auch Mitgliedschaftsrechte und somit – je nach den Mehrheitsverhältnissen – die Möglichkeit, über die sich im Gesellschaftseigentum befindenden Immobilien zu verfügen. Gegenwärtig stehen jedoch die auf die Übertragung von Namenaktien anwendbaren zivilrechtlichen Erfordernisse (Indossierung, Schriftform) einer solchen Nutzung der Blockchain-Technologie entgegen.
Die Rechtsform des vertraglichen Anlagefonds könnte sich ebenfalls für Blockchain-basierte Geschäftsmodelle eignen. Der Anleger erwirbt durch die Zeichnung seiner Anteile und die Einzahlung in bar eine Forderung auf Beteiligung am Wert und am Ertrag des Anlagevermögens. Es wäre vorstellbar, dass eine Fondsleitungsgesellschaft mittels Smart Contract tokenisierte Fondsanteile emittiert und im Gegenzug Zahlungen in Kryptowährungen erhält, sofern dies mit der Anlagepolitik des Fonds vereinbar ist und die FINMA eine solche Sacheinlage («payment in kind») bewilligt. Spätestens beim Kauf von Immobilien durch die Fondsleitung müsste jedoch in den meisten Fällen eine Umwandlung in eine offizielle Währung stattfinden, da Kaufpreiszahlungen in Kryptowährungen im gegenwärtigen Marktumfeld – zumindest was Immobilien betrifft – weitgehend unüblich sind. Zudem verfügen die Anleger eines vertraglichen Anlagefonds – anders als die Aktionäre einer als AG gegründeten Immobiliengesellschaft – über keine Mitgliedschaftsrechte. Die Inhaber tokenisierter Fondsanteile hätten somit keine Möglichkeit, über das rechtliche Schicksal der zum Kollektivvermögen gehörenden Immobilien zu bestimmen.
Schliesslich kann der Kauf einer Immobilie durch die Ausgabe tokenisierter Anleihensobligationen finanziert werden. In diesem Fall leihen die Anleger der Projektgesellschaft finanzielle Mittel für den Kauf einer Immobilie, indem sie die von ihr ausgegebenen Anleihensobligationen in Form von Tokens zeichnen.
Geplante Gesetzesänderungen
Am 27. November 2019 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft betreffend das Bundesgesetz zur Anpassung des «Bundesrechts an Entwicklungen der Technik verteilter elektronischer Register». Diese Vorlage schlägt punktuelle Gesetzesänderungen – namentlich im Wertpapierrecht, im Insolvenzrecht und im Finanzmarktrecht – vor. Damit soll die Entwicklung Blockchain basierter Geschäftsmodelle in der Schweiz gefördert werden. Zu den zentralen Vorschlägen gehört die Möglichkeit, Wertrechte mit Wertpapierwirkungen durch Eintragung in einem elektronischen Register (Registerwertrechte) zu schaffen, wobei das Register gewisse Anforderungen betreffend Transparenz, Sicherheit und Publizität erfüllen muss. Zu den Rechten, welche als Registerwertrechte ausgestaltet werden könnten, gehören namentlich obligationenrechtliche Forderungen und Aktien.
Die Schaffung übertragbarer Registerwertrechte dürfte den Handel mit Tokens in vielen Fällen ermöglichen, da die üblichen, für die Übertragung der zugrundeliegenden Rechte geltenden Formvorschriften des Zivilrechts keine Anwendung mehr fänden oder durch eine neu eingeführte Form – die Eintragung des Rechts in ein verteiltes Register und seine Übertragung durch dieses Register – ersetzt würden. Obwohl die vorgeschlagene Revision nicht spezifisch auf den Immobilienmarkt abzielt, dürften die darin enthaltenen Regelungen neue Möglichkeiten für die Übertragung von obligatorischen Rechten auf diesem Gebiet (zum Beispiel Mietzinsforderungen des Vermieters beziehungsweise der vertragliche Anspruch des Mieters auf Nutzung der Immobilie) sowie von Anteilen an Immobilienanlagevehikeln (insbesondere Aktien von Immobiliengesellschaften) eröffnen, sei es anlässlich eines ICOs oder anschliessend auf einem Blockchain basierten Sekundärmarkt.
Viele Erwartungen
Mit der Blockchain-Technologie verbinden sich viele Erwartungen: die Automatisierung und Beschleunigung von Transaktionen, die Unverfälschbarkeit der gespeicherten Daten und nicht zuletzt wichtige Einsparungen bei den Transaktionskosten durch die Vermeidung kostspieliger Intermediäre wie Banken oder Börsen. Auf dem Gebiet der Immobilienanlagen sind ICOs gegenwärtig noch eine Randerscheinung. Ob der Einsatz der Blockchain-Technologie die herkömmlichen Immobilienanlageformen – wie etwa der direkte Grundeigentumserwerb oder die Beteiligung an börsenkotierten Immobilienfonds und -gesellschaften – wirksam konkurrenzieren oder gar verdrängen könnte, wird massgeblich von den technologischen und rechtlichen Entwicklungen abhängen. Die in der Gesetzesvorlage vom 27. November 2019 enthaltenen Vorschläge haben das Potenzial, der Blockchain-Technologie – unter anderem auf dem Gebiet der Immobilienanlagen – einen entscheidenden Schub zu verleihen.