Tobias Straumann: «Auf die Dauer kommt es an»

Vor wenigen Wochen sprachen Ökonomen eher vorsichtig über die Folgen der Corona-Pandemie für die Wirtschaft. Jetzt ist alles anders – viel dramatischer. «Eine schnelle Rückkehr in die Normalität wird es nicht geben», sagt Wirtschaftshistoriker Professor Tobias Straumann von der Universität Zürich.
Ökonomen warnen mit immer deutlicheren Worten: Mittlerweile erwarten Forscher den heftigsten Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Teilen Sie diese Meinung?
Prof. Tobias Straumann: Nein. Es kann soweit kommen, aber es ist zur Zeit nicht das wahrscheinlichste Szenario.
Im Jahr 1918 suchte eine Seuche die Welt heim, gegen die keine Behandlung existierte und die oft mit einer Lungenentzündung endete: Die Spanische Grippe. Sie tötete in den Jahren 1918 bis 1920 rund 39 Millionen Menschen. Wie lassen sich Krisen in wirtschaftlicher Hinsicht vergleichen?
Der Vergleich ist schwierig, denn die Spanische Grippe fand in einem völlig anderen Umfeld statt. Es herrschte Krieg, das Gesundheitssystem war rudimentär, und der Staat hatte viel weniger Mittel.
Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung dürfte sein, ob es gelingt, die Ausbreitung des Coronavirus effektiv zu bekämpfen, sodass die verschiedenen Einschränkungen wirtschaftlicher Aktivitäten schnell aufgehoben werden können. Was geschieht, wenn das nicht gelingt?
Ich würde es anders formulieren: Wir müssen einerseits strenge Verhaltensmassnahmen für die Risikogruppen aufrecht erhalten, viel testen und die Kapazitäten der Spitäler auf einem hohen Niveau bewahren, anderseits nach 19. April überall dort lockern, wo es nur geht. Das heisst: Man muss beides gleichzeitig tun – nicht zuerst den Virus bekämpfen und erst dann an die Lockerung denken.
Und was geschieht, wenn es doch gelingt, ziemlich rasch in eine neue Normalität zu gelangen?
Eine schnelle Rückkehr in die Normalität wird es nicht geben. Die Verhaltensmassnahmen müssen wir längere Zeit aufrecht erhalten.
Wie lange kann eine solche Erholungsphase dauern?
Es hängt von der Branche ab. Der Tourismus und die Freizeitindustrie dürften wohl längere Zeit Mühe haben. Der Detailhandel hingegen dürfte sich innerhalb einem oder zwei Quartalen wieder erholen.
Die Credit Suisse befürchtet einen BIP-Einbruch um 1 Prozent, die Expertengruppe des Bundes sogar um 1,5 Prozent. Das hätte auch Wertberichtigungen bei den Immobilien zur Folge.
Das wäre ein milder Einbruch. Ob es zu Wertberichtigungen kommt, hängt von der Ausbreitung der Arbeitslosigkeit und der Einwanderungsrate ab. Hier ist eine Prognose schwierig. Aber je nach Region könnte es durchaus zu grösseren Anpassungen auf dem Immobilienmarkt kommen. Das haben die meisten Politikerinnen und Politiker noch nicht auf dem Radarschirm.
Die Sorge der Wirtschaft ist der Konsum. Wie gross ist die Gefahr, dass dieser nun einbricht?
Er ist schon dramatisch eingebrochen. Die Frage ist eher, wie lange geht es, bis er sich erholt. Selbst bei einer schrittweisen Lockerung dürften die Leute eine Weile zögern, zum normalen Konsumverhalten zurückzukehren.
Die Hilfsprogramme des Bundesrats kamen prompt und sind sehr hoch, doch die Wirtschaft wird nun fast auf null abgebremst. Wartet eine verheerende Rezession?
Ich glaube nicht. Verheerend wäre die Rezession nur, wenn sie eine Konkurswelle auslösen und eine hohe Arbeitslosigkeit verursachen würde. Mit der finanziellen Hilfe an die Unternehmen und der Kurzarbeitsentschädigung sollte dies verhindert werden. Eventuell muss man noch mehr Geld einsetzen und die Unternehmen auch bei der Finanzierung der Kapitalkosten stärker unterstützen.
Die Wirtschaft eilte in den letzten Jahren von einem Rekordhoch zum andern. Eine Beruhigung könnte deshalb nicht schaden. Wäre dies der Zeitpunkt für ein neues, gerechteres Wirtschaftssystem oder gehen wir ohne Marschhalt zum vorherigen Tempo zurück?
Eine Beruhigung könnte nicht schaden, aber was wir jetzt erleben, ist keine Beruhigung, sondern ein Schock. Ich zweifle, dass daraus ein neues, gerechteres Wirtschaftssystem hervorgehen wird.
Auch wenn die Schweiz vielleicht etwas früher in die Normalität zurückfinden kann als andere Länder, ist sie doch vom Ausland stark abhängig. Wie könnte sich das auf die Immobilienmärkte auswirken?
Die Entwicklung der Weltwirtschaft ist für mich am gefährlichsten. Die Binnenwirtschaft können wir mit unseren Mitteln wieder beleben, aber wir wissen nicht, ob es in einzelnen Exportmärkten zu grösseren Einbrüchen kommen wird. Die Auswirkungen auf die Immobilienmärkte dürften allerdings nur dann heftig werden, wenn der Einbruch längere Zeit dauern würde.
Interview: Remi Buchschacher
Tobias Straumann ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich.