Wenig Leverage, gutes Liquiditätsmanagement und Zurückhaltung bei Neuinvestitionen sind die Gebote der Stunde, sagt Marie Seiler von PriceWaterhouseCoopers in Zürich. Die Bewertungsunsicherheit sei durch die Coronakrise und deren Auswirkungen enorm gestiegen. Gespannt ist sie auf die Halbjahresabschlüsse der Immobilien-Anlagegefässe. 

Die Coronavirus-Krise sorgt am Schweizer Immobilienmarkt für Nervosität. Wird es nun zu einer Abwärtsspirale kommen?

Marie Seiler: Die Volkswirte zeichnen unterschiedliche Szenarien. Das Optimistische, mit schnellem Rückgang der Fälle und Rückkehr zur Normalität, schätzen sie leider als ziemlich unwahrscheinlich ein. Wir stehen am Rande einer hoffentlich kurzen Rezession und das BIP wird in den Frühlingsmonaten um bis zu 20 Prozent sinken. Selbst wenn die Erholung danach schneller kommt als erwartet, die Rückzahlung der Überbrückungskredite und der gestundeten Mieten wird die Wirtschaft auch nach der Pandemie belasten. Der Schweizer Immobilienmarkt hat sich in der letzten Krise als sehr resistent gezeigt. Diese Krise ist in vielen Aspekten anders und trifft zumindest zwischenzeitlich auch die Immobilienanlagen.

Unter Druck geraten sind auch die Immobilienfonds. Sie sind ein eigentlicher Indikator für den Zustand der Immobilienmärkte. Wie entwickeln sich die Agios?

Der kotierte Immobilienmarkt reflektiert die Marktstimmung tatsächlich am schnellsten. Die Performance der Fonds seit Beginn des 2020 ist durchgehend negativ. Besonders betroffen sind die Fonds, die einen hohen Anteil an Geschäftsliegenschaften haben. Und das gilt auch für die Immobilien-AGs.  Die Analysten sehen den Grund dafür vor allem in Umschichtungen in andere Anlagen. Fund-of-Fund-Konstrukte, die eine passive Strategie verfolgen, mussten nach der Korrektur der Aktienmärkte deren Portfolios ausbalancieren.

Aus der Sicht der Bewerter sind in der aktuellen Lage die Geschäftsliegenschaften im Fokus, wo es zu Stundungen und Mietzinsausfällen kommen wird. Sind diejenigen Fonds, welche stark in Geschäftsimmobilien investiert sind, besonders betroffen?

Bei Geschäftsliegenschaften ist die Unsicherheit am höchsten. Auch die rechtlich unklare Lage macht deutliche Mietzinsausfälle auf einzelnen Objekten möglich. Besonders betroffen sind die von Konjunktur stark abhängige Nutzungen wie Hotels, Freizeitliegenschaften und Shopping Center. Diese sind nicht nur jetzt ertragslos, sondern werden auch noch eine längere Erholungsphase hinnehmen müssen, bis wir die Levels von Vor-COVID-19-Zeiten erreichen.

Wie sieht es im Wohnungsmarkt aus? Kann dieser seinem Ruf als Sicherer Hafen gerecht werden?

Der starke Fokus der Schweizer Anleger auf das Wohnsegment ist im europäischen Vergleich unüblich, wird sich aber für den hiesigen Immobilienmarkt als Rettungsanker erweisen. Die Renditeliegenschaften im Bereich Wohnen werden deren Ruf als sicherer Hafen vorerst noch weiter verstärken. Aufgrund der Kurzarbeit-Unterstützung werden nur wenige Wohnungsmieter zahlungsunfähig. Die Verwalter melden zwar die ersten Anfragen zu Mietstundungen. Dies hat aber mehr mit der «Gelegenheit keine Miete zu zahlen» zu tun, als mit tatsächlicher Zahlungsunfähigkeit. Anders sieht es bei der Veräusserung von Eigenheimen aus. Dieser Markt wird sicher zwischenzeitlich zum Stillstand kommen, wenn es noch nicht bereits passiert ist. Für die längerfristige Entwicklung der Wohnungsmärkte ist entscheidend, wie sich die Zuwanderung in den nächsten zwei Jahren entwickelt. Das kann man heute noch nicht einschätzen.

Die Fonds müssten auf Wunsch der Anleger die verwalteten Vermögen auszahlen. Ein schlimmes Szenario, denn das ginge nur über den Verkauf von Investments. Zeichnet sich dieses Szenario ab?

Zum Glück noch nicht und ich glaube auch, dass diese Gefahr nicht unmittelbar besteht. Das Verständnis der Anleger ist da, dass diese Krise zwar zwischenzeitlich den Immobilienmarkt trifft, eine Investition in Immobilien für die Portfoliodiversifikation jedoch Sinn macht und die Fundamentaldaten stimmen. Trotzdem waren unsere Kunden zum Teil verunsichert. Als die Kurse zu fallen begannen, sind solche Befürchtungen auch tatsächlich ausgesprochen worden. Deswegen ist jetzt eine smarte Kommunikation mit den Anlegern gefragt. Die Anlagevehikel mit einem hohen kommerziellen Anteil müssen sorgfältig die Hausaufgaben machen, das Stress-Testing für alle Möglichkeiten durchspielen und den Anlegern genügend Komfort geben. Eine konservative Ausschüttungspolitik ist heute sicher ein Vorteil. Wenig Leverage, Liquiditätsmanagement und Zurückhaltung bei Neuinvestitionen sind die Gebote der Stunde.

Um Verkäufe zu tätigen, müssen auch Käufer vorhanden sein. Entstehen nun plötzlich wieder Kaufopportunitäten?

Ja sicher! Insbesondere für equity-starke Käufer. Das sind insbesondere die grossen Versicherer und Pensionskassen, die deutlich unter der Immobilienquote sind und schon länger aufstocken wollten. Diejenigen Vorsorgeeinrichtungen hingegen, die bereits stark in Liegenschaften investiert sind, verfügen plötzlich über eine noch höhere Immobilien-Allokation. Denn andere Anlagen haben an Wert verloren während die Immobilien noch zu den Werten vom Jahresabschluss 2019 in den Büchern berücksichtigt sind. Diese Vorsorgeeinrichtungen werden wahrscheinlich eher weniger neue Immobilien einkaufen. Insgesamt wird sich die Anzahl aktiver Käufer stark reduzieren. Es bleibt offen, ob deswegen Transaktionen gestoppt werden – was aktuell der Fall ist – oder ob trotzdem Objekte auf den Markt kommen und die Preise dadurch stark fallen. Das wissen wir heute noch nicht.

Experten gehen davon aus, dass die Immobilienmärkte eine Preiskorrektur um bis zu 20 Prozent wegstecken könnten. Teilen Sie diese Meinung?

Die hohen Agios der kotierten Anlagegefässe in der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Anleger die Immobilien in den NAVs als unterbewertet einschätzen. Auch die REIDA Datenbank konnte über die letzten Jahre über eine positive Differenz der Preise auf dem Transaktionsmarkt gegenüber den Marktwerten in den Bestandsportfolios berichten. Diese Fakten würden die Experten-Annahme stützen, dass gewisse «Reserven» bei den Marktwerten vorhanden waren. Darüber hinaus ist der Schweizer Immobilienmarkt stark von Bestandshaltern geprägt, die eine sehr langfristige Perspektive annehmen und gewisse Glättungseffekte bei kurzfristigen Schwankungen zulassen. Ich bin selber auf die Halbjahresabschlüsse gespannt. Offensichtlich ist, dass die Unsicherheit auf der Cashflow-Seite, insbesondere für kommerziell genutzte Liegenschaften zugenommen hat und die Bewerter diese Trends genau beobachten.

Andere Akteure sprechen von einer gegenwärtigen Überreaktion, die dann von einer Gegenbewegung wieder wettgemacht werden kann. Wie lange kann diese Ausgleichsphase dauern?

Der Immobilienmarkt hat das Tempo rausgenommen, es finden nur wenige Transaktionen statt und die meisten Teilnehmer beobachten vorerst die Entwicklung. Von einer Überreaktion können wir hier nicht sprechen. Die Anlagegefässe werden mehrheitlich erst im Juni wieder bewertet und bis dann klärt sich die Situation hoffentlich. Mein Wunschdenken wäre eine Normalisierung im Sommer. Wenn es so kommt, werden wir sehr viel zu tun haben, da der Nachholeffekt greifen wird. Es würde ein geschäftiges zweites Halbjahr für die ganze Branche bedeuten. Ich freue mich darauf.

Zu einem Immobilien-Crash müsste es mit der Kreditgarantie des Bundesrats eigentlich nicht kommen. Haben wir Zeit, um diesen zu verhindern?

Ich denke nicht, dass es zu einem Immobilien-Crash kommt. Dafür sprechen noch immer sehr viele Fundamentaldaten für eine Investition in Immobilien. Selbst in sehr volatilen Immobilienmärkten, wie zum Beispiel UK, haben wir bisher nur moderate Wertreduktionen beobachtet. Die institutionellen Immobilieneigentümer sprechen über eine mögliche Ertragsreduktion von durchschnittlich unter 10 Prozent in 2020. Die wenigen Investitionsvehikel, die auf konjunkturabhängige kommerzielle Nutzungen ausgerichtet sind, könnten eine stärkere Ertragsreduktion erfahren. Die Portfoliomanager steuern hier jedoch mit einer tieferen Capex-Planung entgegen. Insgesamt fallen die Nettoerträge nicht so viel tiefer aus. Durch diese kurzfristigen Effekte sollte die langfristige Ertragskraft der Investitionen kaum in Frage gestellt werden.

Gefordert sind nun auch die Bewerter. Diese hatten in den letzten Jahren nur noch eine Richtung vorgegeben: Nach oben. Das IAZI hat im Swiss Property Benchmark 2019 deshalb eine starke Erhöhung der Performance festgestellt. Diese basiert jedoch grösstenteils auf Aufwertungen. Wird es nun zu schmerzlichen Wertkorrekturen kommen?

Die Bewerter haben es zurzeit nicht so einfach. Es liegen kaum Transaktionsdaten aus der jüngsten Zeit vor und eine allfällige Marktbewegung ist entsprechend schwierig einzuschätzen. Bewerter können sich lediglich nach den Cashflows und nach der Einschätzung der Volkswirte orientieren. Die Bewertungsunsicherheit ist deswegen enorm gestiegen. Trotz dem unklaren Bild erwarten wir keine schmerzlichen Wertkorrekturen. Das grösste Anlagesegment sind Rendite-Wohnimmobilien, die von der aktuellen Situation noch kaum betroffen sind. Die zweitgrösste Anlageklasse sind Büroliegenschaften, die bisher ebenfalls nicht wesentlich unter Druck geraten sind. Deutliche Mietzinsausfälle sind nur im Bereich der Liegenschaften mit einem operativen Betrieb zu erwarten, wie zum Beispiel Hotels, Business Apartments und reine Retailobjekte. Die sind aber in den institutionellen Portfolios in der Regel nur wenig vertreten. 

Interview: Remi Buchschacher

Marie Seiler ist Partner und Head Real Estate Advisory bei PwC in Zürich.