Die Digitalisierung in der Bau- und Immobilienwirtschaft fordert eine intensivere und längere Planungsphase, sagt Susanna Caravatti-Felchlin, Leiterin baubegleitendes Facility Management Universitätsspital Zürich. Ein Vorgehen, das auch Investoren zunehmend interessieren sollte. Von Susanna Caravatti-Felchlin*
Die Digitalisierung im Baubranche ermöglicht Transparenz und Effizienz. Beides sind wichtige Voraussetzungen für die Kommunikation und das Verständnis unter den Beteiligten (Eigentümer, Portfolio Manager, Architekt, Fachplaner, Facility Manager, Nutzer, u.a.). Die wachsenden Anforderungen der Immobilienverantwortlichen an die Ökonomie und Nachhaltigkeit eines Gebäudes, also an die Flexibilität auch über Jahrzehnte, fordern eine intensivere und längere Planungsphase. Die Gebäudestruktur, die Prozesse im Gebäudeinneren und die Gebäudetechnik erhalten einen sehr hohen Stellenwert. Genau da kommt das Fachwissen des Facility Managers zum Einsatz.
Gute Voraussetzungen schaffen
Immer wichtiger wird das Planungs- und baubegleitende Facility Management (pbFM). Es hat zum Ziel, den ganzheitlichen, strategischen Ansatz, Gebäude, Anlagen, Arbeitsplätze, Flächen und Dienstleistungen kontinuierlich über den Lebenszyklus bereitzustellen, funktionsfähig zu erhalten und den wechselnden Bedürfnissen anzupassen. Also die Voraussetzung zu schaffen, um Bewirtschaftung und Betrieb eines Gebäudes im Planungs- und Realisierungsprozess optimal vorzubereiten und damit den Wert und die Nutzbarkeit einer Immobilie zu steigern.
Das ist eine grosse Verantwortung. Was ist vom pbFM gefordert, um dies wahrzunehmen? Abgeleitet von der Unternehmensvision und -strategie entwickelt das pbFM eine FM Strategie und entsprechende FM Konzepte, die auf die neuen Technologien, die Digitalisierung sowie auf die Marktentwicklungen (z.B. Globalisierung, Automatisierung, etc.) ausgerichtet sind. Beispiele dazu können ein Corporate Workplace Governance, ein Zonierung- und Zutrittskonzept, ein Intralogistikkonzept oder ein Gastronomiekonzept sein. Daraus abgeleitet erstellt das pbFM die Anforderungen an die Immobilie im Rahmen der Liegenschaften-Informationsanforderungen (LIA).
Wichtiger Wissenstransfer
Im Januar fand die Fachmesse Swissbau 2020 statt. Die Wichtigkeit von Networking und Wissenstransfer in der Baubranche, die mit der Digitalisierung aktuell vor grossen Herausforderungen steht, zeigte sich insbesondere in der Plattform Swissbau Focus. Das Swissbau Innovation Lab fokussierte voll und ganz auf die digitale Transformation. Im angrenzenden «iRoom» konnte in einer eindrücklichen 3D-Show mit den Trendsettern die Digitalisierung in der Planungs- und Realisierungsphase live erlebt werden.
pom+ hat mit ihrer vierten «Digital Real Estate Umfrage 2019 erstmals den Digital Real Estate Index für die Schweiz und für Deutschland berechnet. Der Index beruht auf 37 Indikatoren in fünf Clustern. Auf einer Skala von 1 bis 10 wurde die aktuelle Digitalisierungsreife über den gesamten Markt mit 4,67 beurteilt. Die Befragten in Deutschland stufen ihren Reifegrad mit einem Wert von 4,99 höher ein als die Schweizer Teilnehmenden (Index 4,55). Vor allem die Facility Management und Bau Branche in Deutschland schätzt ihren Digitalisierungsstand als weiter fortgeschritten ein als die entsprechenden Akteure in der Schweiz.
Schweiz ist am Aufholen
Die Produktepräsentationen, die Vorträge und die Diskussionen an der Swissbau haben jedoch viele Fachbesucher überrascht. Die Schweiz ist in grossen Schritten am Aufholen. Ganz unter dem Charakter der Schweiz föderalistisch und mit hoher Qualität. Verantwortlich dafür ist mit einem grossen Anteil die Initiative «Bauen digital Schweiz». In einem Artikel von Markus Weber,Präsident Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland, war kürzlich zu lesen «Die Bau- und Immobilienwirtschaft befindet sich an einem entscheidenden Übergangspunkt, an dem der Einfluss der Digitalisierung deutlich zunehmen wird. Die Schweiz hat die Herausforderung an der Wurzel gepackt und übernimmt jüngst sogar international eine Führungsrolle im digitalen Planen, Bauen und Betreiben.»
BIM im Vormarsch
Die Digitalisierung in der Baubranche wird in erster Linie durch die Methode BIM (Building Information Modelling) unterstützt. Diese Methode optimiert die Zielformulierung und die Zusammenarbeit unter den am Bauprojekt Beteiligten. Die datenbasierten Anforderungen der Nutzer und des Facility Managements werden digital erfasst und im digitalen Zwilling des zukünftigen Neu- oder Umbaus aufgenommen. Der Zwilling dient als Anschauungsmodell in den Diskussionen, um die optimale Gebäudestruktur, effizienten Prozessen im Gebäudeinneren und um die angeforderte Gebäudetechnik – und dies immer unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit, das heisst auf den Lifecycle der Immobilie ausgerichtet.
Wichtige Funktion der FM Planer
Das pbFM hat den strategischen Lead auf Seite des Eigentümers und ist im Projektgremium mit einem FM Berater über alle Bauphasen vertreten. Auf der Seite der Planergemeinschaft beziehungsweise des Generalplaners sichert ein FM Planer die Umsetzung der FM Anforderungen. In der strategischen Planung analysiert das pbFM die Bestandesimmobilie oder entwickelt Lösungsstrategien und FM Konzepte für den Neubau. Im Rahmen der Vorstudien formuliert das pbFM die Anforderungen zur Projektdefinition (begleitet mit einem Raumprogramm), unterstützt den Nachweis der Machbarkeit und definiert Kriterien beziehungsweise bewertet sie bei Auswahlverfahren und schlägt Verbesserungsmassnahmen vor. Für das BIM-Modell ist auch die Definition der Kennzeichnungen und Codierung sowie die Bestellung mittels Datenfeldkatalog eine wichtige Aufgabe für den späteren Betrieb. In der Projektierungsphase detailliert das pbFM die FM Anforderungen an das Bauprojekt, führt Revisionen durch, beurteilt Variantenvergleiche und unterstützt bei Bewilligungsverfahren. Im BIM-Prozess wird dies mit Prozessabbildungen und Simulationen im digitalen Zwilling unterstützt.
Idealerweise werden im BIM-Prozess Bauausschreibungen entscheidender Fachspezialisten in die Projektierungsphase vorverschoben. Andernfalls besteht die Gefahr, dass nach der Ausschreibung in der Realisierungsphase definierte Konzepte vom Fachspezialisten nicht umgesetzt werden können und umgeplant werden müssen. Dies verzögert den Bauprozess unnötig. Hauptaufgaben des pbFM in der Realisierungsphase ist die Qualitätssicherung. Werden die FM Anforderungen wie geplant umgesetzt beziehungsweise eingehalten oder sind Anforderungen weiter zu detaillieren? Zudem wird der Übergabeprozess geplant und die Bewirtschaftung vorbereitet. Mit dem Übergang zur Bewirtschaftung begleitet das pbFM den Abnahme- und Übergabeprozess und überprüft die richtige digitale Übernahme der definierten Daten (gemäss Datenfeldkatalog).
Veränderungen brauchen Zeit
Vom Planungsstart bis zur Übernahme hat das pbFM zudem eine wichtige Funktion mit der Transformationsbegleitung. Nutzer und Betreiber müssen die neuen Räumlichkeiten und Prozesse verstehen und akzeptieren. Für Veränderung benötigen wir Menschen Zeit. Da sind Pilote neuer FM Konzeptionen, 3D-Darstellungen der virtuellen Realität des künftigen Gebäudebetriebs oder eine laufende Information und Kommunikation sehr wichtig für einen möglichst reibungslosen Übergang in den Betrieb. Um den vollen Nutzen aus der Digitalisierung der Bau- und Immobilienwirtschaft zu ziehen, ist das pbFM ein wichtiger Partner mit dem Blick auf die Nachhaltigkeit und den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie.
*Susanna Caravatti-Felchlin ist Leiterin baubegleitendes Facility Management Universitätsspital Zürich und Präsidentin IFMA Schweiz